Was ist linke Außenpolitik?
Linke Außenpolitik in Deutschland ist zuallererst oppositionell. Die Außenpolitik der rot-grünen, schwarz-roten und schwarz-gelben Bundesregierungen war von der Umwandlung der Bundeswehr zu einer Armee im Einsatz geprägt und von einer kontinuierlichen Zunahme ihrer Auslandsoperationen nicht nur nach Zahl und geographischer Ausdehnung, sondern auch in der Intensität begleitet.
Die Ziele dieser Auslandseinsätze werden zwar immer wieder humanitär verbrämt, sind aber klar festgeschrieben, so in den Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2011: „Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet … Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und Warenströme, z. B. durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar.“ Ähnliche Formulierungen fanden sich schon seit den 90er Jahren in den Verteidigungspolitischen Richtlinien und den Weißbüchern der Bundeswehr sowie in den offiziellen Strategiedokumenten der jeweils amtierenden Regierungen von Grün bis Schwarz. Sie stellen den Konsens unter den „politischen Eliten“ der BRD dar, die hier ein nationales Interesse definieren, dem „wir“ – wörtlich! – „dienen“ und für das „wir“ erforderlichenfalls auch sterben sollen.
Gegenwärtig ist die Bundeswehr in Afghanistan, im Kosovo, vor der Küste Libanons, in der Türkei an der Grenze zu Syrien, am Horn von Afrika, in Sudan, in Kongo und in Mali, Senegal und angrenzenden Ländern Westafrikas im Rahmen mandatspflichtiger Einsätze aktiv.
Deren Intensität nimmt auch dann zu, wenn offiziell, wie in Afghanistan, von einem „Abzug“ die Rede ist. So wurden um die Jahreswende 2012/2013 erstmals Kampfhubschrauber der Bundeswehr vom Typ Tiger nach Afghanistan verlegt. Überspitzt könnte man sagen, diejenigen Einheiten, die eher zum Brunnenbauen gedacht waren, werden abgezogen, dafür aber Einheiten mit großer Kampfkraft verstärkt. Auch als potentielles Einsatzgebiet der bewaffneten Kampfdrohnen, die angeschafft werden sollen, wird immer wieder Afghanistan genannt, was viel darüber aussagt, was wir uns unter diesem „Abzug“ vorzustellen haben.
Eine massive Intensivierung hat auch der Einsatz am Horn von Afrika erlebt, bei dem es der Bundeswehr nach dem neuen Mandat seit Mai 2012 auch erlaubt ist, die Küste unter Beschuß zu nehmen. Die Atalanta-Mission machte davon auch prompt Gebrauch, erstmals nur fünf Tage nach Ausweitung des Mandats. Die Presse berichtet hierüber kaum. Ich habe mich im Rahmen des parlamentarischen Fragerechts mehrfach erkundigt, doch die Bundesregierung macht zu diesen Angriffen keine brauchbaren Angaben. Eine Intensivierung des Einsatzes läßt sich sogar im Kosovo beobachten, wo die NATO lange Zeit eigentlich „nur“ Präsenz gezeigt oder ab und an Demonstrationen mit Tränengas aufgelöst hat. Seit einiger Zeit aber versuchen die deutschen Truppen der KFOR die völkerrechtswidrige Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo mit Gewalt durchzusetzen: Sie fliegen albanische Zöllner über die von Serben bewohnten Gebiete des Kosovo und versuchen von der Bevölkerung geschaffene Grenzübergänge zu schließen. Auch hier kommt es zu Schußwechseln, über die in der BRD nicht berichtet wird.
Neben diesen vom Bundestag mandatierten Aktivitäten sind aber die Bundeswehr und eine zunehmend militarisierte deutsche Polizei noch in vielen weiteren Einsätzen aktiv: Sie patrouillieren an Grenzen oder schulen Soldaten und Polizisten in Zentralasien, für Irak, in den palästinensischen Gebieten und auf dem halben afrikanischen Kontinent. Beispielhaft – und auch Vorbild für die Mission jetzt in Mali – ist der als EUTM Somalia bezeichnete Einsatz. Hier werden junge Somalier, die zuvor von den USA in ihrer Heimat rekrutiert wurden, von der Bundeswehr und anderen europäischen Armeen im Häuserkampf ausgebildet und anschließend, mit Waffen ausgerüstet, in den somalischen Bürgerkrieg geflogen. Die Partei Die Linke hat hierzu mehrere kleine Anfragen und einen Antrag gestellt, somit immerhin öffentlich machen können, daß die Bundesregierung nicht ausschließen kann, daß sich Minderjährige unter den jungen Männern befinden, die für den Bürgerkrieg ausgebildet und ausgerüstet werden.
In einem anderen Fall, in dem die äthiopische Armee im Auftrag der Bundesregierung vermeintliche somalische Polizisten ausgebildet hatte, mußte Staatssekretär Werner Hoyer auf meine Frage hin vor dem Bundestag einräumen, daß sich nachweislich Minderjährige unter diesen befunden haben und daß diese seither in Somalia eher die Rolle einer Miliz spielen.
Solche Einsätze gibt es noch eine ganze Menge. Allein im letzten Jahr haben die Missionen EUCAP Niger – hier werden Gendarmeriekräfte in Niger aufgebaut – und EUCAP Nestor – hier werden Marinekräfte der ostafrikanischen Staaten fortgebildet und aufgerüstet – begonnen. Diese Missionen finden ganz überwiegend im EU-Rahmen statt, und viele davon werden im Bundestag überhaupt nur behandelt, wenn wir sie durch mündliche und kleine Anfragen oder Anträge thematisieren. Die Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik entpuppt sich also vor allem auch als Instrument zur Entparlamentarisierung und Entdemokratisierung der Außen- und damit zugleich der Kriegspolitik. Auch hier wurde inzwischen recht klar formuliert, was deren Ziele sind.
In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament zur Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes – einer Art zivil-militärischer Superbehörde, welche abseits demokratischer Kontrolle die Kompetenzen eines Außen- wie eines Verteidigungsministeriums und vieler Bereiche nationaler Entwicklungs-, Wirtschafts- und Innenministerien umfaßt – wurde die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sehr deutlich. Es geht den „europäischen Eliten“ darum, die EU zum mächtigsten globalen Akteur aufzubauen und darüber zu entscheiden, wer die Profite einstreicht und wer die Lasten zu tragen hat. Wenn wir die Rolle der Bundesrepublik in der Schuldenkrise betrachten und den von höchster diplomatischer Ebene geäußerten deutschen Hegemonieanspruch für Europa, dann wird endgültig klar, daß es sich hier um ein wesentlich von der BRD geprägtes imperiales Projekt handelt. Dafür ist es notwendig, die Möglichkeiten der Bevölkerung und der Parlamente, Einfluß auf die Außenpolitik zu nehmen, möglichst weit einzuschränken.
Doch nicht nur die parlamentarischen Kontrollrechte stehen einer derart imperialistischen Außenpolitik im Wege, sondern auch die Menschenrechte und das Völkerrecht. Wie selektiv Menschenrechte wahrgenommen und wie sie selbst zum Instrument der Außenpolitik gemacht werden, muß ich hier nicht weiter ausführen, das ist ja tagtäglich spürbar. Ich möchte nur einen Fall aus meiner parlamentarischen Arbeit nennen: Die Bundeswehr macht keine Kriegsgefangenen. Entweder sie tötet ihre Gegner, oder sie übergibt sie irgendwelchen Behörden vor Ort, in Afghanistan etwa dem Kabuler Geheimdienst NDS, der für seine Folter in dortigen Gefängnissen berüchtigt ist. Durch Fragen, die ich an die Bundesregierung gestellt hatte, kam heraus, daß der BND den folternden NDS mit mehreren Millionen Euro unterstützt und ihm Ausrüstung zur Verfügung gestellt hat, wobei er dieses Geld aus dem Haushaltsposten „Stabilitätspakt für Afghanistan“ des Auswärtigen Amtes erstattet bekam. Das ist nur ein Beispiel, um zu verdeutlichen, daß eine Politik, andere Länder zu erobern und dort Regierungen zu installieren, welche die Ausbeutbarkeit von Mensch und Natur sicherstellen sollen, mit Menschenrechten nicht vereinbar ist.
Sie ist auch mit dem Völkerrecht nicht zu vereinbaren, das immer stärker unterwandert wird. Hier spielen doppelte Standards ebenfalls eine wichtige Rolle. Wir haben jüngst mit einer kleinen Anfrage am Beispiel Syriens herausgearbeitet, daß sich die Bundesregierung und deren Verbündete jeder Kritik an der Verletzung syrischer Souveränität – von Waffenlieferungen und der Einschleusung von Kämpfern bis zu Luftangriffen aus der Türkei und Israel – enthalten. Andererseits nehmen sie den Abschuß eines türkischen Kampfflugzeuges durch die syrische Luftverteidigung, das in den Luftraum des Landes eingedrungen war, zum Anlaß nehmen, die NATO und mit ihr die „Patriot“-Staffeln der Bundeswehr an der Grenze zu mobilisieren. Das Völkerrecht verletzen immer nur die anderen, die politischen Gegner. Zugleich versuchen die westlichen Staaten unter dem Schlagwort der „Schutzverantwortung“ wie etwa in Libyen, die Intervention selbst zu einer völkerrechtlichen Pflicht umzudeuten. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen! Denn der Kern des Völkerrechts und seiner friedenserhaltenden Wirkung ist das Souveränitätsprinzip, das Einmischungsverbot. Schon lange vor der Eskalation in Syrien habe ich vor dem Hintergrund auch der Erfahrungen in Somalia darauf hingewiesen, daß die Aufweichung des Souveränitätsprinzips auf das hinausläuft, was ich als „ferngesteuerte Bürgerkriege“ bezeichne und wovon die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe – als „Sicherheitssektorreformen“ und Waffenlieferungen deklariert – ein zentraler Bestandteil ist. Das hat noch ganz andere Auswirkungen, wovon meiner Meinung nach die wichtigste darin besteht, daß die Machtfrage ins Ausland verlagert wird. Wir können in letzter Zeit immer deutlicher beobachten, daß sich Bewegungen, die eine unerwünschte Regierung stürzen möchten, gar nicht mehr an die eigene Bevölkerung wenden müssen, sondern an internationale Verbündete, die NATO-Staaten und die Golfmonarchien.
Was ergeben sich daraus für Forderungen an eine linke Außenpolitik? Als Bewegung in einem mächtigen EU- und NATO-Staat müssen wir uns zuallererst gegen den westlichen Interventionismus stellen. Das bedeutet, daß wir uns einer Militarisierung der EU widersetzen und den Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO mit dem Ziel ihrer Auflösung fordern müssen. Denn diese Strukturen beinhalten einen klaren Automatismus zur Intervention: Wenn ein Staat angegriffen wird, müssen auch alle anderen in den Krieg ziehen. Solche Angriffe, das sehen wir gerade in der Türkei, werden laufend provoziert. Auch innerhalb der EU dominiert die Vorstellung, daß man sich an jedem möglichen Einsatz beteiligen müsse, nur um die Gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu „stärken“.
Wir müssen außerdem den beständigen Lügen entgegenwirken, mit denen neue Kriege – auch etwa gegen Iran – vorbereitet werden. Das sehe ich als eine meiner Hauptaufgaben. So haben wir zum Beispiel eine kleine Anfrage zu dem Massaker in Hula auf den Weg gebracht, für das die Bundesregierung von Anfang an die syrische Regierung verantwortlich gemacht hat. Zur Verhinderung solcher Kriegslügen gehört auch die Unterstützung für Whistleblower, die unter Einsatz ihres Lebens und ihrer Freiheit Informationen über westliche Kriegführung öffentlich machen. Deshalb habe ich als erste Abgeordnete Julian Assange in der Londoner Botschaft Ecuadors besucht, deshalb unterstütze ich die Solidaritätsbewegung für Bradley Manning und Edward Snowden.
Wir müssen aber auch selbst ins Detail gehen und beobachten, wohin Deutschland, die EU und die NATO Waffen liefern, wo sie Militärs und Polizeikräfte für wen aufbauen und unterstützen und welche Rolle westliche Geheimdienste in Bürgerkriegssituationen spielen. Natürlich bin ich für ein Verbot aller Waffenexporte, die Beendigung aller Ausbildungs- und Ausstattungshilfe und die Auflösung des Auslandsgeheimdienstes. Zugleich müssen wir größere Transparenz und demokratische Kontrolle – das sind unsere von der Verfassung eigentlich garantierten Rechte – einfordern. Erst das ermöglicht uns, der imperialistischen Politik ernsthaft Steine in den Weg zu legen und die Öffentlichkeit zu informieren, welch unmoralische Politik da im Namen von Demokratie und Menschenrechten vollzogen wird.
Nicht nur deshalb, sondern vor allem auch, weil es unsere menschliche Pflicht ist, müssen wir uns auf der ganzen Welt gegen Menschenrechtsverletzungen, gegen die Enteignung und Entmündigung der Bevölkerungen und Gemeinwesen stellen. Wir dürfen uns dabei nur nicht an der Agenda der westlichen Staaten und ihrer Hofberichterstatter orientieren. Im Gegenteil müssen wir uns auf die Orte konzentrieren, wo Menschen durch deutsche Unternehmen und deutsche Politik eingeschränkt, verarmt und unterdrückt werden. Hier haben wir Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten. Hier sind es europäische Fischereiabkommen wie in Westafrika oder Freihandelsabkommen, welche zum Hunger der Bevölkerung beitragen.
Es sind europäische Pläne wie das Desertec-Projekt, welche die Aussichten der Sahrauis auf Selbstbestimmung in der Westsahara weiter untergraben. Es ist die Europäische Migrationspolitik, welche ganze Völker zu Gefangenen ihrer eigenen Regierungen oder sogenannter sicherer Drittstaaten macht. Und es sind die Menschen in Afghanistan, dem früheren Jugoslawien, Somalia, Libyen und Syrien, welche durch die imperialistischen Konflikte zwischen Großmächten und westlichen Plänen zur Neuordnung ganzer Territorien in unsägliches Leid gestürzt werden. Wir müssen uns für deren Rechte stark machen, indem wir zuallererst die Lehre aus der faschistisch-imperialistischen deutschen Vergangenheit aktualisieren: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!
Nachricht 1873 von 2043