Was macht eigentlich eine
historische Persönlichkeit aus?
Im September RF erschien ein interessanter Artikel Horst Neumanns über die Rolle und Unverzichtbarkeit herausragender Führer im proletarischen Klassenkampf. Als Student der Philosophie frage ich: Was charakterisiert eine historische Persönlichkeit und wodurch geht jemand in die Geschichte ein?
Zwischen den beiden Richtungen der Anhänger Hegels bestand die entscheidende Differenz in der Frage, in welchem Maße die Praxis – also konkrete menschliche Tätigkeit – die Geschichte voranbringt. Der später vom historischen Materialismus aufgegriffene linkshegelianische Standpunkt zeichnet sich durch eine sehr bedeutungsvolle Feststellung aus: Geschichte kann sich nicht im Selbstlauf gestalten, nur Menschen vermögen das zu tun. Dieser Gedanke findet sich auch in den Marxschen Feuerbachthesen wieder. „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber drauf an, sie zu verändern“, heißt es dort.
Man kann also sagen: Alles menschliche Wirken ist Praxis. Persönlichkeiten sind jene Subjekte der Gesellschaft, welche innerhalb ihrer Lebenswelt besondere Aktivitäten entwickeln.
Was aber läßt nun eine Persönlichkeit in die Geschichte eingehen, und inwieweit ist das für den Sozialismus von Bedeutung? Es handelt sich um Aktivitäten, die auf die Existenzbedingungen eines Teils der Menschheit nachhaltig einwirken oder diese sogar verändern. Um das tun zu können, muß der Handelnde die Weitsicht besitzen, gesellschaftliche Prozesse erkennen und deren Verlauf abwägen zu können. In der Arbeiterbewegung waren das immer Personen, die für die Klasse und in deren Kampf tatsächliche Erfolge von dauerhafter Wirkung erzielt haben oder anderen den Weg bahnten, um ihr eigenes Werk fortzusetzen.
Man kann keine einzige historische Persönlichkeit benennen, ohne zugleich auch über deren Wechselbeziehung zu anderen Akteuren ihrer Zeit nachzudenken. Besteht eine solche nicht, dann bleiben als Einzelpersonen Handelnde in ihrem Wirken zwangsläufig eingeschränkt.
Wenn man nach den Gründen des Untergangs der UdSSR und der anderen sozialistischen Staaten Europas fragt, sollte man sowohl die historischen Bedingungen als auch das subjektive Handeln von Personen in Betracht ziehen. Diesen Zusammenhang nicht zu sehen, wäre undialektisch.
Berechtigterweise macht Horst Neumann auf die Problematik des karrieristischen Agierens von Personen aufmerksam. Welche Bedingungen aber führen zu einer solchen Haltung? Nach meiner Auffassung läßt sich diese Frage – bezogen auf die DDR – nur unter Berücksichtigung der Umstände und Herausforderungen beantworten, mit denen der sozialistische deutsche Staat unmittelbar konfrontiert war.
Die Analyse dieser Problematik ist eine Generationenaufgabe marxistischer Historiker. Sie verlangt eine gründliche Untersuchung von Aufstieg und Fall des Sozialismus in dieser historischen Etappe, wobei in die Zeit weit vor Gorbatschow zurückgegangen werden muß. Erscheinungsformen wie Bürokratismus, Machtmißbrauch und Personenkult können niemals zum Wesen der Sache erklärt werden, wenn es um die Untersuchung von Deformationen geht.
Man sollte indes die Frage nicht ausklammern, weshalb historische Prozesse so und nicht anders verlaufen sind. Marxisten müssen dabei den Fehler vermeiden, ihren heutigen Erkenntnisstand zum Maßstab der Beurteilung des jeweiligen geschichtlichen Geschehens zu nehmen. Tun sie es, dann verfallen sie unweigerlich in ein Denkschema, bei dem allein der Wille des Handelnden zum Historischwerden einer Persönlichkeit ausreicht.
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