Was Sprache verschweigt
Ausbeutung und Unterdrückung haben viele Gesichter, tragen oft Masken und verstecken sich gern hinter anscheinend unverfänglichen, einfach nur sachlich oder gar positiv klingenden Begriffen wie z. B. Globalisierung, Fischfangquoten, Forschung, Bankenrettung, ethnische Säuberung, Entwicklungshilfe oder vertrauliche Gespräche. Ich will mir diese Vokabeln einmal der Reihe nach vorknöpfen, um mir ihre zu vermutenden, wahrscheinlichen oder tatsächlichen Bedeutungen (oft verbrecherische Sachverhalte) bewußtzumachen:
1. Globalisierung – Globalisierung beinhaltet u. a. eine neue Form der Ausbeutung. Sie ermöglicht, daß Millionen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt für Hungerlöhne arbeiten, damit die Reichen in Europa billige Textilien, billiges Schuhwerk und andere besonders billige Konsumgüter kaufen können. Den Profit machen die Industriebosse. Kurz: Die Globalisierung schafft Voraussetzungen dafür, daß die Reichen weltweit immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
2. Fischfangquoten – Das Wort lenkt ab von der Tatsache, daß Fischereiunternehmen der reichen Länder (deren Einwohner eher über- als unterernährt sind) mit riesigen Trawlern an der Westküste Afrikas den Atlantik leerfischen und den Küstenbewohnern dadurch ihre Hauptnahrungsgrundlage entziehen. Die Fische werden von einheimischen Arbeitskräften filetiert, die Filets werden in alle Welt verkauft – den Rest (Köpfe, Flossen und Gräten der Fische) dürfen die Einheimischen behalten.
3. Forschung – Hier muß man nicht nur an Dr. Mengeles „Zwillingsforschung“ denken. Was Grausamkeit betrifft, so sind die USA inzwischen moralisch so heruntergekommen, daß sie es mit einem Dr. Mengele durchaus aufnehmen können. Wer weiß schon, daß in den USA, in einem Waisenhaus für puertoricanische Kinder, Säuglinge mit einer Milch ernährt wurden, der zuvor die Fett- und Eiweißbestandteile entzogen worden waren! Das Ergebnis dieses Forschungsexperimentes war vorauszusehen: Die Kinder starben, sie verhungerten.
Und wer weiß schon, daß amerikanische Ärzte etwa 10 000 kerngesunde Menschen mit Syphilis infizierten, um neue Medikamente an ihnen zu erproben! Die Betroffenen starben oder siechten über Jahre und Jahrzehnte hinweg qualvoll dahin. Soviel ich weiß, sind diese Verbrechen bis heute ungesühnt geblieben.
4. Bankenrettung – Ja, freilich. Angela Merkel verfügte mit leichter Hand, daß der Bankenriese Hypo Real Estate 500 Milliarden (eine halbe Billion!) Euro aus Steuermitteln erhielt, damit die Einlagen der Superreichen gesichert blieben und die Bank damit auf dem Weltmarkt weiterzocken konnte. Da frage ich: Wenn schon Verluste sozialisiert werden – warum dann nicht auch Gewinne? Oder wenn schon Gewinne privatisiert werden – warum dann nicht auch Verluste? Gerade an diesem Punkt könnte die Expropriation der Expropriateure (die Enteignung der Enteigner) ja einmal ansetzen!
5. Ethnische Säuberung – Eine menschenverachtende Vokabel. Ich hörte dieses Wort zuletzt aus dem Mund des türkischen Ministerpräsidenten, der wohl auch die Armenier für Schmutz hält, von dem das Land gesäubert werden mußte. „Ethnische Säuberung“ bedeutet, daß Menschen verachtet werden, weil sie Angehörige eines bestimmten Volkes sind, und deshalb zu Tausenden oder aber Tausenden aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden. Das Wort kann auch bedeuten, daß ein ganzes Volk ausgerottet wird; dann ist es ein Synonym für Völkermord.
6. Entwicklungshilfe – Da „versickern“ Gelder in Millionenhöhe auf Staatskonten oder in den Privatschatullen korrupter Regenten, die ihre eigenen Völker ausbeuten, und die Absender sind so linkisch oder selbst so korrupt, daß sie die Gelder nicht an die richtigen Adressaten, zumeist humanitäre Hilfsorganisationen, überweisen, für die sie gedacht sind. In diesem Fall, im Fall der Korruption, muß man sie wegen Untreue vor Gericht stellen. Im Fall blauäugiger Unbedarftheit aber muß man sie wegen erwiesener Unfähigkeit aus ihren Ämtern jagen.
7. Vertrauliche Gespräche – Solche Gespräche führt, wer das Licht der Öffentlichkeit scheut. Oft hört man, dieser oder jener Politiker habe mit diesem oder jenem Staatschef, Bankdirektor oder Industrieboß ein „vertrauliches Gespräch“ geführt. Worüber mag man da wohl gesprochen haben? Vielleicht darüber, wie man unter Umgehung parlamentarischer Beschlüsse weiterhin Waffen in Krisenländer exportieren kann, etwa indem man sie über ein krisensicheres Drittland liefert oder indem man lediglich Einzelteile versendet, die der Empfänger dann in seinem eigenen Land zu einsatzfähigen Waffen zusammenbaut. (Der kriminelle Einfallsreichtum der Waffenexporteure kennt jedenfalls keine Grenzen.)
Vielleicht hat man aber auch darüber nachgedacht, wie die Öffentlichkeit sich am besten über waghalsige NATO-Aktivitäten wie die Stationierung neuer Atomraketen täuschen läßt, oder Absprachen getroffen, wie man gesundheitsschädliche Nebenwirkungen neuer Industrieanlagen verharmlosen kann, oder ob in Ländern außerhalb der USA (in Polen? in Deutschland?) weitere Foltergefängnisse der USA errichtet werden können, damit Obama, formal zutreffend, weiterhin sagen kann: „In den USA wird nicht gefoltert.“ Weißt du es? Ich weiß es nicht.
Manches läßt sich nur bewegen, wenn alle an einem Strang ziehen.
Aus: „Solidaire“, Brüssel
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