Was wurde aus den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften?
Wie sollte es nun weitergehen, nachdem die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und Volkseigenen Güter (VEG) in der DDR „umgewandelt“ worden sind? Das war eine bange Frage für mindestens eine Million Menschen in den Dörfern des Ostens nach 1989/90. Schließlich ging es um die Existenz, den Arbeitsplatz und das gesicherte Einkommen aus der landwirtschaftlichen Produktion.
Nachdem die am 18. März 1990 gewählte Volkskammer der Noch-DDR mit einer konservativen Mehrheit das sogenannte Landwirtschaftsanpassungsgesetz beschlossen hatte, was de facto zur Liquidierung der LPG und VEG führte, begann sich Widerstand in den Dörfern zu regen.
Einig war man sich darin, die landwirtschaftlichen Betriebe – für die neuen Hausherren waren sie eine ausschlachtbare Konkursmasse – als Großbetriebe möglichst zu erhalten. Dazu mußten sich die früheren Leitungskader der LPG und auch viele LPG-Mitglieder mit dem bürgerlichen Gesetzbuch befassen. Was haben sie erreicht?
Ich lebe seit über zehn Jahren im Kreis Herzberg, der in Südbrandenburg liegt, und kann aus eigenem Erleben die Entwicklung der letzten Jahrzehnte beurteilen.
Es geschah etwas, was es nach den Prognosen des seinerzeitigen Landwirtschaftsministers Herrn Ignaz Kiechle (CSU) – ein Großbauer aus Bayern – eigentlich nicht geben durfte. Er war der Meinung, daß die Großbetriebe im Osten spätestens in zwei, drei Jahren verschwunden sein würden. Doch so einfältig, wie er dachte, waren die LPG-Mitglieder nicht. Die überwiegende Mehrheit hielt am Genossenschaftsgedanken fest und bildete – nun nach bürgerlichem Recht – große landwirtschaftliche Genossenschaften und Betriebe in GmbH-Form.
Heute, 25 Jahre nach der Annexion der DDR durch die BRD, sieht die Bilanz in meiner Heimatregion so aus: Auf einer Fläche von insgesamt 67 078 ha Ackerland (74,4 %) und 22 807 ha Grünland (25,3 %) wirtschaften 19 Agrargenossenschaften und 57 Agrar-GmbH. Die unterschiedlich strukturierten landwirtschaftlichen Unternehmen reichen von juristischen bis zu Einzelwirtschaften in Haupt- und Nebenerwerb.
Zu DDR-Zeiten bestanden bei uns 6 LPG Pflanzenproduktion – die größte verfügte über 7000 ha Landwirtschaftlicher Nutzfläche (LN), 17 LPG Tierproduktion in 6 Kooperationen, 4 Volkseigene Güter, eine Zwischenbetriebliche Einrichtung (2000er-Milchviehanlage). Rund 4460 Personen arbeiteten in diesen Betrieben.
Innerhalb eines Jahres reduzierte sich die Beschäftigtenzahl auf 1805 Personen, also auf 40,4 %. Von diesem Rückgang waren vor allem Frauen in der LPG Pflanzenproduktion betroffen.
Doch die Menschen in den Dörfern gaben nicht auf. Mit dem Ringen um die Bildung agrarischer Großbetriebe führten sie zugleich den Kampf um ihrer Arbeitsplätze.
Von den 19 bestehenden Agrargenossenschaften (AG) ist eine ganze Reihe schon 20 Jahre alt. Die AG Gräfendorf besteht bereits 25 Jahre und bewirtschaftet rund 2000 ha Landwirtschaftlicher Nutzfläche. Die größte von ihnen im Kreis ist Mühlberg mit etwa 6000 ha LN. Die in der DDR „Zwangskollektivierten“ entschieden sich also erneut für die genossenschaftliche Bewirtschaftung oder große GmbHs. Damit entgingen sie dem Schicksal westdeutscher Bauern. 136 000 kleine und mittlere bäuerliche Familienbetriebe mußten dort von 2003 bis 2013 aus ökonomischer Not ihre Höfe aufgeben. Ungeachtet dieser Tatsache empfehlen grüne Politiker allen Ernstes, weiterhin möglichst viele kleine „bäuerliche Familienbetriebe“ zu schaffen. Offensichtlich ignoriert man die Tatsache, daß in der gesamten Welt des Kapitalismus ein unerbittlicher Konzentrationsprozeß vor sich geht. Selbst in den USA sind Farmen unter 2000 ha kaum noch rentabel. Natürlich gibt es auch im Kreis Herzberg einige frühere Genossenschaftsmitglieder, die wieder privat wirtschaften. Allerdings sind das keine klein- oder mittelbäuerlichen Betriebe, die heute bis zu 900 ha groß sein müssen, um effektiv wirtschaften zu können.
Da in der DDR keine Enteignung bäuerlichen Grundeigentums stattfand, konnten die LPG-Mitglieder nun frei über ihren Boden verfügen. Sie konnten verkaufen, verpachten oder selbst bewirtschaften, letzteres in der Regel nur als relativ großer Betrieb.
Bleibt festzustellen, daß unter kapitalistischen Bedingungen der Kampf um den genossenschaftlichen Weg richtig war. Die Erfahrungen der Bauern, die sie in 40 Jahren sozialistischer Landwirtschaftsentwicklung gemacht haben, mögen sie dabei ermutigt haben.
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