Wie dem EU-Parlament ein Zugeständnis abgerungen wurde
Wasser zum „schützenswerten Gut“ erklärt
Ohne Wasser gibt es kein Leben. Trinkwasser ist das wichtigste Lebensmittel der Menschen. Da sich der Markt jede Ressource unterwerfen will, soll auch das Trinkwasser zum profitablen Geschäft werden. Zugleich bedeutet die Verfügung darüber Macht. Noch befindet sich die Trinkwasserversorgung weltweit zu 90 Prozent in öffentlicher Hand. Doch die Privatisierung schreitet – gefördert von der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU-Kommission – unter dem verschleiernden Begriff „Liberalisierung“ voran. Derzeit teilen sich etwa 20 Wasserkonzerne den Markt, wovon „Veolia“ und „Suez“ die Hälfte kontrollieren.
Im Kampf gegen die Privatisierung ist ein bescheidener Erfolg errungen worden: Die erste er-folgreiche europäische Bürgerinitiative hat am 19. März der EU-Kommission in einer Erklärung das Zugeständnis abgetrotzt, daß „Wasser als öffentliches Gut für alle Bürger der Union von grundlegendem Wert ist“. Darüber konnte sich eine Gruppe engagierter Berliner Bürger aus erster Hand informieren. Sie war unter Federführung des Charlottenburg-Wilmersdorfer Kreisverbandes der Grünen auf Einladung der bisherigen Abgeordneten Hiltrud Breyer noch vor den Wahlen nach Brüssel gereist. Zu ihr gehörte auch Wolfgang Deinlein aus Karlsruhe. Er ist Unterstützer der Bürgerinitiative „Right2Water“, welche die Kommission zu der eingangs zitierten Erklärung zwang. Sie hatte diese aufgerufen, allen EU-Bürgern das Recht auf Wasser zu garantieren, die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewirtschaftung der Wasserressourcen von den Binnenmarktregeln auszuschließen und weitere Anstrengungen zu unternehmen, um weltweit universellen Zugang zu Wasserversorgung und Abwasserentsorgung zu sichern. Knapp zwei Millionen Bürger aus EU-Mitgliedsstaaten unterstützten in über 20 Initiativen dieses Anliegen. Dadurch mußte es auf die Tagesordnung der EU gesetzt werden. In ihrer Mitteilung konstatiert deren Kommission, daß Wasser ein „ererbtes Gut ist, das geschützt und verteidigt werden muß“.
Der Bericht von Wolfgang Deinlein über die Fallstricke und Hürden, die sich hinter solchen wohltönenden Worten verbergen, verhinderte eine unangemessene Euphorie in der Besuchergruppe. Eher wuchsen die Besorgnis und das Mißtrauen gegenüber den demokratischen Möglichkeiten des Parlaments. Einige Bürger gewannen sogar den Eindruck, daß die politische Struktur der Europäischen Union eher geeignet ist, Konzerninteressen den Weg zu bahnen, als dem politischen Willen der Bürger Rechnung zu tragen.
Die EU behandelt die Trinkwasser- und Abwasserversorgung als eine Dienstleistung, die auch von privaten Konzernen erbracht werden soll. Das ist eine Einladung, wenn nicht gar Aufforderung zur Privatisierung der Wasserversorgung. Deutlich wird dies gerade in Griechenland und Portugal, wo die Troika aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank weitere Hilfen von der Privatisierung der kommunalen Wasserbetriebe abhängig macht. Damit solle die Staatsverschuldung verringert werden. In die gleiche Richtung laufen die gegenwärtig seitens der EU mit den USA geführten Verhandlungen über ein Freihandels- und Investitionsabkommen. Dessen Bestandteil sind Schiedsgerichte, vor denen die Investoren, einzelne Staaten, Regionalparlamente und Kommunen verklagen können, sollten deren demokratisch gefaßte Beschlüsse oder Gesetze den zu erwartenden Profiten Hindernisse in den Weg legen. In einem solchen Falle hätten die jeweiligen Länder Schadensersatz zu zahlen. Für Hiltrud Breyer, die nicht wieder für das Europaparlament kandidierte, ist die Tatsache, daß sich Privatunternehmen derart über demokratisch verfaßte Körperschaften erheben dürfen, eine Ungeheuerlichkeit. Es wäre überhaupt die Frage zu stellen, weshalb in sogenannten Rechtsstaaten Richtergremien mehr zu sagen haben als der Souverän – die Parlamente.
Wie Kommunen mit Forderungen auf Schadensersatz erpreßt werden können, erleben die Bürger, die nach Brüssel gereist waren, derzeit gerade in ihrem Berliner Heimatbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Ein US-Finanzunternehmen hat dort bundeseigenes Kleingartengelände gekauft und durch die Umwandlung zu Bauland eine Wertsteigerung von 8582 Prozent erzielt. Um die Rendite realisieren zu können, sollen nunmehr die Kleingärtner ihre Parzellen räumen. Dem Bezirk wurde im Verweigerungsfalle eine Schadensersatzforderung von zunächst 50 Millionen Euro, die man dann auf 25 Millionen Euro reduzierte, angedroht. Der SPD-Stadtrat ist eingeknickt und hat einen Kompromiß ausgehandelt, demzufolge nur die Hälfte der Kleingärtner weichen muß, dafür aber auf der anderen Hälfte der Fläche doppelt so hoch gebaut werden darf. Der Grundstücksspekulant verliert nichts, aber die Hälfte der Kleingärtner büßt ihre Parzellen ein. Dieses Ergebnis auf den erfolgreichen Berliner „Wassertisch“ umgelegt, könnte bedeuten, daß sich Politiker rühmen, einen Kompromiß gefunden zu haben, wonach die Hälfte der Berliner zu trinken bekommt, während die andere Hälfte dürstet. Nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ dürfen dann die Durstigen die Auseinandersetzung mit den Trinkenden führen.
Wasser mag in Berlin ein eher fernliegendes Problem sein. Das verdanken die Bürger allein der geographischen Vorzugslage. In anderen deutschen Städten, wo Trinkwasser aufwendig gefördert werden muß, besitzt es bereits einen höheren Stellenwert. Noch deutlicher wird das beim Blick auf andere Kontinente. In Australien nimmt in Flaschen abgefülltes Regenwasser schon die größte Fläche in den Supermärkten ein. Und nur in guten Hotels und Luxuswohnungen gibt es einen zweiten Hahn, aus dem Trinkwasser fließt.
Politisch brisant wird es, wenn Trinkwasserressourcen Staatsgrenzen überschreiten, wie das bei Flüssen, Seen und im Grundwasser der Fall ist. Die UNO zählt 263 solcher Vorkommen. Wenn der Zugang nicht durch gerechte Verträge geregelt wird, kommt es oftmals zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Das ist in Afrika bereits Realität. Die Präsidentin der westafrikanischen Hilfsorganisation FAI Marie-Ginette Amani berichtet, das sich die Trockenregion der Sahelzone immer weiter nach Süden ausbreitet und auf die Küsten zubewegt. Bei den ethnischen Konflikten in Mali und Burkina Faso geht es bereits ums Wasser.
Die UNO schätzt, daß jährlich mehr als fünf Millionen Menschen – darunter zwei Millionen Kinder – sterben, weil sie kein reines Trinkwasser erhalten. Bis zu 1,3 Milliarden Menschen haben zu ihm keinen Zugang. Es wird erwartet, daß 2025 zwei Drittel der Erdbevölkerung unter der Wasserknappheit leiden werden.
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