RotFuchs 234 – Juli 2017

Berichte einer Schweizer Genossin

Weltfestspiele der Jugend und Studenten (Teil 2)

Louise Stebler-Keller

Louise Stebler-Keller, eine Kommunistin aus Basel, hat sich in ihrer Jugend u. a. an Anschlägen und Sabotageakten auf Nazi-Transporte in Österreich und Tschechien beteiligt. Sie hat uns ihre Berichte von den Weltfestspielen in Budapest (1949), Berlin (1951) und Bukarest (1953), an denen sie als junge Kommunistin aus der Schweiz teilgenommen hat, überlassen.

Mit der Veröffentlichung verbinden wir einen herzlichen Glückwunsch an Louise zu ihrem 93. Geburtstag am 9. Juli. RF

 

Festival Budapest 1949

Festival Budapest 1949

Nach Kriegsende durften viele Jugendliche, Studenten aus den USA mit Schiffen nach Europa reisen, um Europa kennen­zulernen. Linke und kommunistische Studenten wollten aber 1949 zum Jugendfestival nach Budapest.

Das hat die amerikanische Regierung streng verboten. So haben sich 14 Jugendliche heimlich von den Reisegruppen losgelöst und sind klamm­heimlich in die Schweiz eingereist. Mein Baby Irene war ein Jahr alt, da erhielt ich eines Morgens einen Anruf. Auf amerikanisch wurde gefragt, ob sie kommen dürften. So war meine Wohnung voll mit Studenten. Sie erklärten mir, daß sie verbotenerweise zum Festival fahren und zur Tarnung eine Woche in Basel bleiben möchten. Gut, die „Freie Jugend“ organisierte Schlafplätze und verköstigte sie eine Woche lang. Wir zeigten ihnen die Stadt und die Umgebung. Schon der Turm von Angenstein war eine Sensation, denn alte Schlösser gibt es in den USA ja nicht.

Die westafrikanische Delegation auf dem Marsch zur Eröffnung des Festivals in Budapest

Die westafrikanische Delegation auf dem Marsch zur Eröffnung des Festivals in Budapest

Nach einer Woche fuhr der Extrazug der französischen Festival-Teilnehmer nach Budapest mit Halt in Basel. Die Amerikaner mischten sich heimlich unter die franzö­sischen Freunde, um ohne Visa nach Budapest zu gelangen. Joe und ich fuhren später zum anschließenden Jugendparlament, wo wir unsere amerikanischen Freunde wieder trafen. Zweimal kam ein Brief aus den USA mit einer Nachricht des Leiters: „Wir haben jetzt geheiratet“ und „Wir haben jetzt ein Baby“, immer ohne Angabe einer Adresse, um nie verraten zu werden.

Festival Berlin 1951

Festival Berlin 1951

Die USA haben alles getan, um dieses Festival zu verhindern! Wir waren ca. 400 Schweizer Jugendliche, die zum Festival nach Berlin fahren wollten. Ab Zürich fuhren wir mit Extra­wagen, die in Buchs (Grenze) vom Zug abgetrennt wurden. Die Schweizer Bundespolizei, in Zivil anwesend, riet uns von der Reise ab, es sei zu ge­fährlich. Österreich war damals noch in vier Besatzungszonen eingeteilt. Wir versammelten uns auf dem Feld und beschlos­sen, in den nächsten Zug einzusteigen und uns unter die anderen Passagiere zu mischen. Da wir keine Visa im Paß hatten, waren wir nicht als Festivalteilnehmer erkennbar. Der Zug wurde vier Stunden aufgehalten. Die anderen Passagiere solida­risierten sich mit uns. Auf Drängen der österreichischen Hotelindustrie (wegen befürchteter Verluste) ließen sie uns endlich fahren.

Zu den Ehrengästen der III. Weltfestspiele gehörte die französische Friedenskämpferin Raymonde Dien.

Zu den Ehrengästen der III. Weltfestspiele gehörte die französische Friedenskämpferin Raymonde Dien.

Inzwischen haben wir erfahren, daß französische und englische Festivalteilnehmer von den Amis mit Gewehrkolben traktiert wurden. Bei Nacht fuhren wir durch die französische und die englische Zone, problemlos und ohne Kontrollen. Alle übrigen Gäste waren ausgestiegen, als wir morgens in die gefährliche amerikanische Zone einfuhren. Im zentralen Bahnhof kamen die Amis schwerbewaffnet in unseren Zug, an allen Türen standen bewaffnete Soldaten. Da wir grüppchenweise im ganzen Zug verstreut waren und im Paß keine Erkennung hatten, ließen sie uns weiterfahren, in der Meinung, wir gehen nach Wien.

Dann kam die russische Zone. Eine echte Befreiung! Die Schweizer schenkten den dort lässig herumstehenden russischen Soldaten Schokolade, Äpfel u. a. Die Russen staunten nur. In Linz stiegen wir aus. Österreichische Friedensfreunde standen an Tischen und verpfleg­ten uns.

Über Prag erreichten wir Bad Schandau, die Grenzstation zur DDR. Wir stiegen nicht aus, aber im Bahnhof war die Hölle los: Pioniere sangen, Jugendgruppen tanzten, und alles klatschte und rief Bravo. Wir waren die ersten Westler, die die DDR erreichten. Das wurde gefeiert. Durch die Fenster verpflegten sie uns mit Essen und Trinken, bevor wir die letzte Strecke nach Berlin antraten.

Wir skandierten Friedensparolen. Die USA wollten den Frieden nicht. Das Festival in Berlin war großartig mit Kulturen aus der ganzen Welt!

Festival Bukarest 1953

Festival Bukarest 1953

Auch an diesem Festival  für Freundschaft und Frieden nahm eine ansehnliche Delegation Schweizer Jugendlicher  teil. Nach der Rückreise wurden die Festivalteilnehmer von Rechts­radikalen und der Polizei  im Bahnhof Zürich geschlagen. Die Basler Teilnehmer kamen erst einen Tag später. Weil  wir das in der „Freien Jugend“ wußten, organisierten wir  einen Schutz. Wir mobilisierten gegen 100 Jugendliche vor dem Bahnhof . Obwohl  ihre Ankunft  auf den späten Abend angesagt war, kamen alle frühzeitig, am Nachmittag und frühen Abend. Der ganze Bahnhofplatz war von uns besetzt.

Die Delegation der FDJ zieht in das Stadion von Bukarest ein.

Die Delegation der FDJ zieht in das Stadion von Bukarest ein.

In der ehemaligen Bahnhof-Unterführung standen eine Menge Studenten, die zum Prügeln bereit waren. Die Stimmung war aufgeheizt und gefährlich. Alle standen für schlimmste Schlägereien bereit. Nach Mitternacht traf der Zug mit unseren Festival­teilnehmern ein. Wir waren zahlenmäßig viel stärker als die Studenten, so daß sie sich stillschweigend zurückzogen. Unsere ankommenden Freunde – voller Angst, da sie von den Schlägereien und den Verwundeten in Zürich gehört hatten – waren uns zutiefst dankbar. Auf dem Perron saßen junge Postler in den gelben, zweirädrigen Postkarren. „Ja“, haben sie uns gesagt „wir hätten schon lange Feierabend, aber wir hätten euch geholfen.“ Es waren alles junge Jurassier.

Man ging nach Hause, aber was waren da für vier suchende Leute? „Wir waren beim Festival, kommen aus dem Jura und haben keinen Anschlußzug mehr.“ „Dann kommt mit uns!“ Wir marschierten ins kleine Haus der Familie Ensner in Kleinbasel. Wir verpflegten die uns vorher unbekannten Freunde, plauderten zusammen bis in der Früh, bis dann der erste Zug in den Jura fuhr.