Über neue Trauerrituale für die „Gefallenen“ der Bundeswehr
Wenn immer mehr Särge kommen …
Immer mehr Angehörige der Bundeswehr kehren als menschliche Wracks oder in Särgen von ihren „Auslandseinsätzen“ zurück. Auch wenn sie sich freiwillig dorthin gemeldet haben, geraten sie zunehmend in Widerspruch zu den ihnen befohlenen militärischen Aufgaben. Schließlich tragen sie ganz persönlich das Risiko des eigenen Todes.
In der Öffentlichkeit ist Afghanistan beim besten Willen nicht mehr als Verteidigungskrieg zu vermitteln. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an diesem Krieg ist von imperialistischen Interessen getriebene Politik, es geht um globale Strategien und um Rohstoffe. Die in der BRD politisch Herrschenden geraten immer öfter unter Rechtfertigungsdruck und versuchen, darauf zu reagieren. Sie setzen dabei auf zivilreligiöse Rituale, die sich an tief im kollektiven Unterbewußten der Gesellschaft verankerte Empfindungen richten. Angesichts ständig wachsender Zahlen toter deutscher Soldaten sollen sie das Gefühl vermitteln, daß es Sinn macht, sich für die mörderischen Auftraggeber zu opfern.
Zivilreligion ist ein System, an die kollektiv, oft unbewußt in der Gesellschaft verwurzelten Gefühle und Werte mit religiösen Mitteln heranzukommen. Der Soziologe Niklas Luhmann sagt, es handle sich um „jene Elemente eines religiösen Glaubens, für die man bei allen Mitgliedern der Gesellschaft Konsens unterstellen kann“. Ihre Affinität zum religiösen System beruht darauf, daß der weltliche Staat Werte wie „Menschenwürde“, „Freiheit“, „Gleichheit“ oder „Gerechtigkeit“ selbst nicht hervorbringen und garantieren kann. Besonders wenn es um den Tod geht, ist Religion bei ihrem zentralen Thema: Die prinzipiell unaufhebbare Ungesichertheit des menschlichen Daseins. Warum geschieht gerade dies mir? Warum muß ich sterben? Warum gerade jetzt?
Die Führung der Bundeswehr reagiert seit einiger Zeit auf „durch Fremdeinwirkung getötete Soldaten“ mit ständig großartiger inszenierten Trauerriten, die diesem zivil-religiösen Bedürfnis nachkommen sollen. Was lassen sich die Bundeswehr und deren Führung dazu einfallen, daß immer mehr Särge zurückkommen?
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung sprach am Ende seiner Trauerrede für zwei in Afghanistan getötete Bundeswehrsoldaten am 24. Oktober 2008 in Zweibrücken erstmals das entscheidende Wort aus: „Ich verneige mich in Dankbarkeit und Anerkennung vor den Toten, die für unser Land im Einsatz für den Frieden gefallen sind.“
Bis zu diesem Tag waren im Kriegseinsatz umgekommene Bundeswehrangehörige nach der offiziellen Sprachregelung stets als „Getötete“ bezeichnet worden. Mit dem Gebrauch der psychologisch und geschichtlich hoch aufgeladenen Bezeichnung „gefallen“ stellte Jung die Bundeswehr bewußt in die Tradition der Heldenverehrung bei allen seit 1870 von Deutschland geführten Kriegen. Weder das Soldatengesetz der BRD noch dessen einschlägige Kommentare kannten bis 2008 den Ausdruck des „gefallenen Soldaten“. Bis 2005 war die gängige Formulierung am Sarg des Betroffenen, er sei in Ausübung seines Dienstes für die Bundesrepublik Deutschland durch einen „hinterhältigen und verbrecherischen Mordanschlag“ ums Leben gekommen (Minister Struck am 10 Juni 2003) und einen Tod gestorben, „in dem man keinen Sinn sehen“ könne (Strucks Nachfolger Jung am 23. Mai 2007).
Gefallene „Helden“ hatten in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit der alten BRD seit den frühen 50er Jahren kein großes Ansehen. Dies bewirkte vor allem die „Ohne-mich-Bewegung“ gegen die Wiederbewaffnung. Man glaubt es kaum, sogar Franz Josef Strauß sagte 1949: „Wer noch einmal ein Gewehr in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfaulen.“ Der Ideologe der Wiederbewaffnung und Mann der „Inneren Führung“ Graf Baudissin definierte in seinen öffentlichen Auftritten bis in die 60er Jahre die Bundeswehr ganz unheroisch als „notwendiges Übel“. So sind auch die bei Auslandseinsätzen seit 1991 ums Leben gekommenen Soldaten „durch Fremdeinwirkung“, d. h. bei Kampfhandlungen oder Anschlägen, getötet worden. Inzwischen kamen im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Afghanistan insgesamt 54 Bundeswehrangehörige zu Tode. Dies verlangte nach Würdigung. Ab 2008 sind sie deshalb zu „Gefallenen“ erklärt geworden.
Fester Bestandteil aller militärischen Trauerfeiern war und ist bis heute nach der zentralen Dienstvorschrift folgendes Ritual: Sechs bis acht Soldaten stehen als Totenwachen am Sarg. Dieser ist mit der Flagge der BRD bedeckt, darauf liegt ein Gefechtshelm. Das Foto des Soldaten - meist als Porträtaufnahme in Uniform – gehört zum Dekor. Als Abschluß wird die Melodie des Liedes „Ich hatt’ einen Kameraden“ gespielt.
Bis 2008 fanden die Gedenkfeiern für getötete Angehörige der Bundeswehr am Ort ihrer Rückkehr auf deutschen Boden, auf dem Gelände des Fliegerhorsts Wunstorf oder auf dem Flughafengelände in Köln-Wahn – also an einem nicht-öffentlichen Ort – statt. Damit wurde der bundeswehrinterne Charakter der Trauerfeier unterstrichen. Man wollte die zivile Öffentlichkeit von einer Teilnahme an den Zeremonien fernhalten. Die Begründung lautete: Die Soldaten nähmen sich selbst zwar als solche wahr, welche sich für die kollektiven Werte und Interessen Deutschlands mit ihrem Leben einsetzten, wüßten aber darum, daß die deutsche Öffentlichkeit ihnen bestenfalls „ein freundliches Desinteresse“ entgegenbrächte. So formulierte es Bundespräsident Köhler am 10. Oktober 2005. Deshalb habe man allen Feiern den Charakter einer „Verabschiedung unter Kollegen“ gegeben.
Diese Exklusivität spiegelte sich auch in der Rhetorik bei Trauerfeiern wider. In ihren Ansprachen bezogen sich die anwesenden Verteidigungsminister auf den Gemeinsinn der Berufsgruppe der Soldaten. Das „starke Band der Kameradschaft“, so Struck am 10. Juni 2003, habe den Dienst der Soldaten „in gegenseitiger Treue“ geprägt. Darauf könnten sich auch die Hinterbliebenen in dieser „Stunde der Not“ verlassen. Die in den Trauerreden benutzte Sprache stellte die getöteten Soldaten so dar, als ob sie sich im Dienste humanitärer Hilfsorganisationen für Menschenwürde, Frieden und Recht in die Bresche geworfen hätten. Struck sprach von Männern, „die in Kabul ihre Gesundheit und ihr Leben für eine bessere und friedliche Zukunft des Landes eingesetzt haben“.
Nun aber kehrten immer mehr Soldaten tot von ihren Einsätzen zurück. Dieser Situation versuchte man sich durch eine neue Sprachregelung anzupassen. Im Juni 2003 betonte Minister Struck, die vier in Afghanistan getöteten Soldaten seien nicht nur humanitär für die Menschen „vor Ort“, sondern auch „für uns alle“, „für unsere Sicherheit“ und somit letztlich „für unser Land“ gestorben. Damit nahm er vorweg, was er am 11. März 2004 dann im Bundestag erklärte: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt.“
Wie veränderte sich nun seit Beginn der Auslandseinsätze die Inszenierungspraxis bei Trauerfeiern der Bundeswehr? Ab August 2008 findet ein Ortswechsel statt. Nun werden die Zeremonielle nicht mehr versteckt in der Kaserne, sondern öffentlich in Kirchen abgehalten. Jetzt geht es um die große Öffentlichkeit, wobei die Elemente sakraler Repräsentationskultur wichtig werden. In würdevoller Atmosphäre und vor religiöser Kulisse sind die Spitzen der deutschen Politik zugegen. Sie verfolgen die Ansprache eines Ministers, in dessen Nähe der Altar steht, brennende Kerzen leuchten und die Särge der toten Soldaten, der „Gefallenen“, aufgebahrt sind. In dieser Verbindung politischer und religiöser Symbolik verwandeln sich die Trauerfeiern zu „Trauergottesdiensten“. Die Präsenz der „Aura des Heiligen und Erhabenen“ vermischt sich mit der Feierlichkeit des militärisch-politischen Rituals.
Minister zu Guttenberg war da in seinem Element. Ausdrücklich nahm er religiöse Wendungen und Bezüge auf und versuchte, den betrüblichen militärischen Anlaß mit dem würdevollen sakralen Rahmen zu verbinden. Mehrmals bezog sich Guttenberg in seinen Reden auf den besonderen Ort: „… und so bitte ich Sie alle in dieser Kirche …“, sowie auf die besondere Zeit des Kirchenjahres: „Die Osterwoche, nach einem entsetzlichen Karfreitag, sollte Hoffnung geben.“ Er verband in emotionalen Worten mit der Trauer um die gefallenen Soldaten – „Ich habe am Ostersonntag die Tränen der heimkehrenden Kameraden gesehen“ – sein eigenes religiöses und politisches Bekenntnis: „Und wenn es diesen Gott unseres christlich geprägten Europas gibt, woran ich fest glaube, dann werden sie, diese tapferen Männer, bei dem Vater aufgehoben sein, dessen Sohn sein Leben gab für das Leben der Menschen auf dieser Welt.“ (24. April 2010) Guttenberg schloß seine Ansprachen, wie schon zuvor Jung und Struck, stets mit dem Wunsch, die gefallenen Soldaten mögen „in Gottes Segen geborgen“ sein.
Die Verlagerung der offiziellen Trauerfeiern vom abgegrenzten militärischen Gelände in die allgemein zugänglichen Kirchen führte zu breiter öffentlicher Berichterstattung. Live-Übertragungen im Fernsehen wurden zur Regel, sogar auf die örtlichen Marktplätze. Großbildleinwände erinnerten an Veranstaltungen bei großen Sportereignissen.
Neben dem äußeren Rahmen veränderte sich auch der rhetorische Umgang mit den Biographien der getöteten Soldaten. So erwähnte Struck in seiner Trauerrede vom 10. Juni 2003 nur Namen, Dienstgrad und Geburtsort der Getöteten. Sein Nachfolger Jung begann seine Ausführungen zum Leben der Soldaten mit dem Eintritt in die Bundeswehr und konzentrierte sich im folgenden auf die bundeswehrinterne Karriere.
In den Reden Guttenbergs wurden nunmehr dienstliche Funktion und persönliches Schicksal verbunden. Beispielhaft hierfür waren seine Ausführungen am 9. April 2010: „… wurde 1984 in Freital in Sachsen geboren. Nicht einmal 26 Jahre alt ist er geworden. Nach der Schule absolvierte er zunächst eine Berufsausbildung als Wirtschaftsassistent. 2006 ging er zur Bundeswehr – zu den Fallschirmjägern. Er war ein begeisterter Sportler, der schon als Jugendlicher im Fußball aktiv war, Kraftsport trainierte. Seine Kameraden berichten, daß er ebenso beliebt wie angesehen war. Seine Heimat blieb indes Sachsen. Hier wollte er mit seiner Freundin nach dem Einsatz …, in einer gemeinsamen Wohnung zusammenziehen.“ Es geht also um mehr als ein innerbetriebliches Ereignis der Bundeswehr. Der Tote ist, so die Botschaft des Ministers an die deutsche Öffentlichkeit, in erster Linie „einer von Euch“ gewesen, der „für Eure Ziele, Werte und Entscheidungen“ gestorben ist.
Sie gipfelte in dem Satz, er habe „in Eurem Auftrag“ sein „Leben gegeben“. Daher sei es die Aufgabe aller, seiner ehrenvoll zu gedenken. Er verdiene Achtung, Respekt und Dankbarkeit.
Die hier vorgenommene symbolische Überhöhung wurde so auf alle Angehörigen der Bundeswehr ausgedehnt. Der „deutsche ISAF-Soldat“ und sein kriegerisches Wirken werden zu einer Leitfigur, mit der sich die politische Gemeinschaft identifizieren soll. Wir können beobachten, wie sich in den Redemanuskripten zwischen 2001 und 2011 die Schilderung der Leistungen der Bundeswehrsoldaten immer stärker von deren konkreten Aufgaben löst und zu allgemeinen Vorstellungen von Tugend wie Einsatzbereitschaft, Hingabe und Leidenschaft hochstilisiert wird: „Es braucht Männer und Frauen, die sich mit ihrer ganzen Kraft für die Würde des Menschen, für Frieden, Freiheit und Recht einsetzen, dafür auch Risiken für sich selbst in Kauf nehmen. Diesen Auftrag erfüllen unsere Soldaten in hervorragender Art und Weise“, erklärte Jung am 24. Oktober 2008.
Guttenberg wollte nicht mehr vorrangig als Sprecher des „Funktionssystems Bundeswehr“ oder des „politischen Entscheidungssystems“ der Bundesregierung verstanden werden. In seinen Reden tauchen vermehrt Werte wie Tapferkeit, Pflichtbewußtsein und Patriotismus auf: „Die drei Soldaten, um die wir heute so sehr trauern, haben in ihrem Eid geschworen, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Sie haben diesen Eid erfüllt. Sie waren tapfere, treue, wahrlich treue Soldaten. Sie waren auch echte Patrioten. Sie sind für unser Land gefallen und ich verneige mich in größter Dankbarkeit und Anerkennung.“ Guttenberg inszenierte sich dabei – anders als seine Vorgänger – als zivil-religiöser Repräsentant, ja man könnte sagen als zivil-religiöser Priester der politischen Gemeinschaft des deutschen Volkes: „Soldaten, wir werden Euch vermissen. Und wer vermißt, vergißt nicht. … Soldaten! Seid in Gottes Segen geborgen“, gab er am 9. April 2010 von sich. Waffen segnete Guttenberg allerdings noch nicht.
Unsere Autoren sind nach dem Studium der Theologie und mehrjähriger Tätigkeit als Pastorin und Pastor in der Kirche Schleswig-Holsteins 1974/1975 aus der Kirche ausgetreten. Sie haben danach eine Ausbildung zu Maschinenschlossern gemacht und auch in diesem Beruf gearbeitet. Politisch betätigen sich heute beide in der Partei Die Linke, wobei sie sich thematisch mit den Schwerpunkten Religionssoziologie und Kritik an der Kirche beschäftigen.
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