Wer war eigentlich Bertha von Suttner?
Im Wien des 19. Jahrhunderts kam ein kleines Mädchen mit dem Namen Gräfin Bertha Sophie Felicitas Kinsky von Chinic und Tettau als zweite Tochter einer erst kurz zuvor verwitweten Gräfin zur Welt. Sie wuchs bei einer der Mutter befreundeten Adelsfamilie auf, bekam Klavierunterricht und lernte mehrere Sprachen. So konnte sie Erzieherin oder Sekretärin werden. Sie wurde zuerst Gouvernante bei einer anderen Adelsfamilie, verliebte sich aber in deren jüngeren Sohn und wurde hinausgeworfen. Doch man war anständig genug, ihr wenigstens die Anzeige eines reichen Schweden in Paris zu geben, der eine Sekretärin suchte. Sie wurde dort auch wirklich angestellt. Nach acht Tagen der Eingewöhnung bei Alfred Nobel, dem bekannten Erfinder, begab sich dieser auf Reisen, und als er wiederkam, fand er nur noch eine Nachricht von ihr vor: Sie habe die Verbindung mit dem jungen Mann, von dem sie ihm erzählt hatte, wieder aufgenommen, ihr einziges ererbtes Schmuckstück verkauft, um nach Wien zu reisen und den Mann zu heiraten.
Die beiden, Alfred und (nun) Bertha von Suttner, fuhren sodann in den Kaukasus, wohin sie sich von einer Bekannten aus früherer Zeit hatten einladen lassen. Was aber taten sie dort? Für wenig Geld arbeiteten sie als Sprachlehrer. Um ihre Einnahmen etwas aufzubessern, begann Bertha von Suttner sogenannte Herz-Schmerz-Geschichten mit adligem Hintergrund zu schreiben. Das Milieu kannte sie ja. Ihre Texte, die wie damals üblich unter einem männlichen Pseudonym erschienen, hatten Erfolg. Doch bald war ihr das nicht mehr gut genug. Sie begann ernstere Sachen zu verfassen, die aber lange Zeit wenig Anklang fanden. Doch sie dienten ihr auch zur Selbsterziehung, wie sie sagte. Dann verziehen Alfreds Eltern die Heirat und die Flucht. Sie baten beide zurückzukommen.
Im Kaukasus und auf ihrer Rückreise sahen sie wirkliche Armut, Ungerechtigkeit und die Folgen von Kriegen. Auch diese Erkenntnisse verwandte Bertha in ihren Schriften, bis sie dann das später so erfolgreiche Werk „Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte“ verfaßte. Es ist eine Kriegsschauplatzschilderung, von der später jemand sagte, daß man sich ganz nahe fühlte und das Schreckliche zu riechen meinte. Zuerst war es natürlich unwahrscheinlich schwierig, einen Verleger zu finden. Erst 1889 erklärte sich der E. Pierson Verlag in Dresden bereit, den Titel zu drucken. Es dauerte dann noch einige Zeit, bis sich genügend Leser fanden, denn der Roman war nicht nur witzig, sondern auch gesellschaftskritisch. Danach ging es sozusagen Schlag auf Schlag, eine Übersetzung folgte der anderen.
Bertha von Suttner wurde als Friedensaktivistin bekannt. Nach den Napoleonischen Kriegen begann sich in England und den USA die Friedensbewegung zu formieren. Der erste Friedenskongreß fand 1849 in Paris statt. Die Arbeit für eine österreichische Friedensbewegung führte 1881 zur Stiftung einer Friedensgesellschaft, und Bertha von Suttner, die diese Arbeit sehr unterstützte, wurde in den Vorstand gewählt. Durch die Friedensbewegung kam sie auch mit dem norwegischen Dichter und Gesellschaftskritiker Bjørnstjerne Bjørnson in Kontakt. Beide standen über 20 Jahre in Briefwechsel. Erstaunlicherweise unterhielt sie ebenfalls eine rege Korrespondenz mit Alfred Nobel, der ihr das plötzliche Verschwinden anscheinend nicht übel genommen hatte. Sie begegneten sich noch zweimal – das erste Mal im Beisein ihres Mannes in Paris und dann 1892 in Bern beim dortigen Friedenskongreß. B. v. S. lud ihn dazu ein, aber er lehnte eine Teilnahme ab. Doch nach ihrem sehr erfolgreichen Vortrag sah sie ihn plötzlich unter den Zuhörern. Er war einfach nur als Beobachter gekommen. Zu ihren Briefpartnern gehörte auch Leo Tolstoi (Autor des berühmten Romans „Krieg und Frieden“). Doch dieser war skeptisch gegenüber dem Nutzen von Friedenskongressen.
Übrigens wurde der norwegische Friedensverein 1895 in Kristiania (ab 1925 wieder Oslo) gestiftet. Und B. v. S. beschrieb Alfred Nobel die von Bjørnstjerne Bjørnson, den er sehr achtete, geleistete Friedensarbeit.
Alfred Nobel sandte B. v. S. später seine Testamentsentwürfe. Er wollte seinen Verwandten genügend Geld geben, damit sie eine gute Erziehung bekommen konnten, vor allem aber gedachte er, einen Fonds einzurichten. Dessen Erträge sollten eine Belohnung für jene ergeben, welche die wichtigsten und bahnbrechendsten Erfindungen und gedanklichen Arbeiten auf wissenschaftlichem Gebiet im jeweils verflossenen Jahr geleistet hatten. Das endgültige Testament Alfred Nobels mit seinen fünf Teilen kann man nachlesen und auch, daß das Wort „Friedenspreis“ dort nicht vorkam.
Der schwedische König Oscar war sehr mißtrauisch, als er sah, daß die Preise international ausgerichtet waren, das Geld also aus dem Lande verschwinden würde. Ihm mißfiel auch, daß die Verwandten so wenig bekamen. Und sicher behagte ihm auch nicht, daß der Friedenspreis jedes Jahr durch fünf Personen, die vom norwegischen Storting zu wählen waren, ausgeteilt werden sollte. Damals war Norwegen immer noch in einer Union mit Schweden – bekam es deshalb den Preis zugesprochen? Oder war das so, weil Norwegen ein kleines Land mit geringer außenpolitischer Macht und daher besser geeignet war, für die Verleihung eines Preises, der politische Konsequenzen nach sich ziehen konnte?
Viele glaubten damals wohl, daß diese Frau den ersten Friedenspreis erhalten würde – sie selbst vielleicht auch. Doch sie bekam weder den ersten 1901 noch den zweiten oder dritten. Dann starb ihr geliebter Mann mit nur 52 Jahren – zufällig am Todestag Alfred Nobels. Obwohl ihr der Verlust sehr nahe ging, setzte sie die Friedensarbeit fort, die sie sogar nach Boston und 1904 in Präsident Theodore Roosevelts Weißes Haus führte.
Als sie 62 Jahre alt war wurde ihr 1905 der Friedensnobelpreis verliehen. Wegen einer ihrer sehr seltenen Krankheiten konnte sie ihn jedoch erst 1906 entgegennehmen. Bjørnstjerne Bjørnson hielt bei der Auszeichnung die Rede. Und auch Haakon VII., der erste norwegische König nach der Unionsauflösung mit Schweden, war zugegen. 1914 – nur eine Woche vor den fatalen Schüssen in Sarajevo – starb Bertha von Suttner.
Was sie wohl zu den Friedenspreisen der letzten Jahre sagen würde, z. B. den Barack Obama oder den 2012 der EU zuerkannten?
Den nur leicht redigierten Beitrag entnahmen wir der in Kanada erscheinenden „Deutschen Rundschau“.
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