„Werd doch Agitprop-Sekretär …!“
Mein Taxiunternehmer studiert den Abrechnungsbogen mit den Zahlen zur Ausbeute der letzten Schichten. Seit einiger Zeit habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, den durchschnittlichen Stundenlohn pro Schicht zu notieren, um den Chef mit der Nase auf die Niedriglöhne zu stoßen, die er seinen Fahrern zahlt. Diesmal liegt der Stundenlohn meiner erfolgreichsten Schicht bei 7,79 Euro – nicht nur für Weimarer Taxiverhältnisse ein außergewöhnlich hoher Betrag. Auch der Unternehmer B. hält das für bemerkenswert und wiederholt laut die Zahl. So entspinnt sich folgender Dialog:
Ich: „Tja, wir nähern uns dem Mindestlohn … „
Er: „Ja, da steht uns noch was bevor! Im Verband haben wir festgestellt, daß die Taxifahrer in Thüringen 5,60 € Stundenlohn erhalten – und das soll jetzt auf 8,50 € erhöht werden? Wenn der Staat seine Lehrer oder Ärzte mit 2 oder 3 Prozent Erhöhung beglückt, sind alle zufrieden. Und die Taxifahrer sollen gleich eine Lohnerhöhung von mehr als 30 % kriegen??!“
Ich: „Na klar, ich wein’ dann draußen über das schwere Los der Taxiunternehmer, die künftig alle betteln gehen müssen. Wer seinen Angestellten Hungerlöhne zahlt, darf sich nicht wundern, wenn der Staat eingreift und wenigstens dafür sorgt, daß Leute, die Vollzeit und mehr arbeiten, einen Lohn erhalten, der zum Leben reicht.“
Darauf er: „Wenn die SED-Kreisleitung wieder mal einen Sekretär für Agitation und Propaganda sucht, schlage ich dich vor – du wärst der richtige Mann dafür.“
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