RotFuchs 229 – Februar 2017

Werden wir von Narren regiert?

Theodor Weißenborn

Von Hartmut von Hentig stammt der bemerkenswerte Satz, es sei Aufgabe der Schulen, die Unterscheidung des Wesentlichen vom Unwesentlichen zu lehren. Hat man dies als Lehr- und Lernziel vor Augen, so wird man sagen müssen, daß die große Mehrzahl unserer Berufspolitiker, vor allem der Regierungsmitglieder, dieses Bildungsziel nicht im entferntesten erreicht hat. Wie ist es sonst zu erklären, daß Kommunen, Länder und Bund in mehr oder weniger regelmäßigen Zeitabständen immer wieder zig Millionen, mitunter sogar Milliarden Euro an Steuergeldern in protzige Opernhäuser, Museen und Philharmoniegebäude, gigantische Brücken, Flughäfen, Schiffahrtskanäle, Autorennstrecken und Olympiastadien investieren – also in lauter Dinge, die kaum jemand braucht, am allerwenigsten die unter der Armutsgrenze lebenden Kinder, die verarmenden Rentner, die alleinverdienenden Männer, die ihre Familie nicht ernähren können, oder gar die Obdachlosen, die unter den Brücken hausen. Wer setzt diese falschen Prioritäten, wenn nicht unsere Regenten, die doch in ihrem Amtseid geschworen haben, den Nutzen des Volkes zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden? Tatsächlich denken diese von uns gewählten Volksvertreter aber offensichtlich nicht an die Interessen des Volkes und seine große Mehrheit, die mehr und mehr verarmende soziale Unterschicht, sondern vornehmlich an die Interessen der Reichen und Superreichen: die Industrie- und Bankenbosse, Waffenexporteure und Pharmakonzerne, als deren Handlanger sie fungieren und die ihnen dafür mit hochdotierten Beraterposten danken.

So werden Volksvertreter zu „Volksverrätern“, reagieren gekränkt, wenn man sie als das bezeichnet, was sie sind, tagen (statt in sich zu gehen und den von ihnen angerichteten Schaden wiedergutzumachen) weiterhin hinter verschlossenen Türen, unterzeichnen geheime Verträge, durch die das Volk, das doch laut Verfassung der oberste Souverän ist, mehr und mehr entmachtet und geknechtet wird, und wenn doch einmal eine ihrer Schandtaten aufgedeckt wird, so stellen sie sich unwissend und tun so, als hätten sie die von ihnen unterzeichneten Verträge nicht richtig verstanden und wären selbst hereingelegt worden, obwohl sie doch über alle nur erdenklichen Informationsquellen verfügen, ganze Stäbe von Beratern ihnen zur Seite stehen und einige von ihnen – man staune! – gar ein juristisches Staatsexamen gemacht haben!

Oder irrt der naive Zeitgenosse gerade in diesem Punkt? Haben sie ihre Doktor-Examina ergaunert? Ihre Personalien gefälscht? Haben sie kein Abitur? Vielleicht nicht einmal einen Hauptschulabschluß? Jedenfalls, wenn sie ein Geldgeschäft tätigen oder einen Handelsvertrag schließen, wirken sie wie ein Katherlieschen, das Schrottpapiere kauft. Hat also jener Satiriker recht, der behauptete, Helmut Kohls Lieblingssendung im Fernsehen seien die Tele-Tubbies?  Haben wir’s also im Umgang mit unsern Regenten wenn nicht mit psychisch Kranken, so doch vielleicht mit Karnevalisten zu tun? Oder aber (was womöglich weit schlimmer wäre): Sind unsere Regenten moralisch verkommen? Dann könnten sie sagen, sie seien weder unterbegabt noch gar idiotisch, sondern lediglich charakterlos und korrupt, und das sei nicht so schlimm, weil dies mehr oder weniger alle seien.

Wenn wir dies gelten lassen, so bleibt den Kritisierten ja auch noch die Möglichkeit, zu ihrer Entschuldigung zu erklären, sie hätten einen Vater und eine Mutter gehabt, seien das erste oder letzte Kind in der Geschwisterreihe gewesen, hätten eine Hasenscharte und seien deshalb in der Schule gemobbt worden. Und wenn alle Stricke reißen, so könnten sie immer noch aus Gesundheitsgründen ihr Amt niederlegen, ohne persönlich Schadenersatz leisten zu müssen, denn als beamteter Berufspolitiker kann man sich so ziemlich alles leisten. Man kann Millionen Euro an Steuergeldern verschwenden, Menschen hungern und frieren lassen, demokratische Grundrechte mißachten, Foltergefängnisse unterhalten und das Volk belügen – das alles ist legitim, wenn es nur im Rahmen der im Namen des Volkes erlassenen Gesetze geschieht!

Mein Vorschlag: Man unterziehe einen jeden für ein Regierungsamt Nominierten vor der Wahl zunächst einmal einem Eignungstest, der aus zwei Teilen bestehen sollte – einer charakterliehen Prüfung unter Mitwirkung bewährter Lobbyisten der Pharma­industrie, bei der der Grad der Bestechlichkeit ermittelt werden sollte, und einer Prüfung der ökonomischen und juristischen Fachkenntnisse oder auch einfach nur des gesunden Menschenverstandes.

Wie sonst könnte sichergestellt werden, daß behördliche Kontrollen ohne Voranmeldung durchgeführt werden? Daß bei den Gerichtskassen eingehende Strafgelder nicht an Fußball- oder andere Sportvereine, sondern an Flüchtlingsheime oder Obdachlosenasyle weitergeleitet werden? Daß die Bundeswehr keine Gewehre erhält, die um die Ecke schießen? Daß Gesetze nicht nur erlassen, sondern auch umgesetzt werden? Daß statt Banken Menschen gerettet werden? Wie könnte verhindert werden, daß für humanitäre Zwecke gedachte staatliche Gelder in den Privatschatullen korrupter Despoten verschwinden, die ihre eigenen Völker ausbeuten oder gar ausrotten? Wie ließe sich der eklatante Mangel an sozialer Kultur beheben, der sich nicht nur im Internet zeigt, wo Politiker aufs ordinärste beschimpft werden, sondern selbst im Bundestag, wo Kanzlerin und Vizekanzler in der Haushaltsdebatte, während Sahra Wagenknecht spricht, ostentativ gelangweilt in Papieren blättern oder mit dem Handy spielen?

Dies alles und derlei mehr im Blick habend, sage ich zwar nicht „Gabriel muß ins Zuchthaus, Merkel an die Wand“, aber ich sage doch „Ein Mann wie Gysi muß ans Ruder!“ Und ich sage auch nicht, daß man die Banken- und Konzernbosse köpfen soll; das Leben und das Existenzminimum sollte man ihnen schon lassen. Aber ihre Villen im Tessin, ihre Luxusyachten und Privatjets könnte man ihnen getrost wegnehmen.

P. S. Soeben erfahre ich aus den Medien, daß der Bund den Ländern Geld für den sozialen Wohnungsbau zahlt. Die Länder müssen dieses Geld aber nicht für den sozialen Wohnungsbau ausgeben, sondern dürfen es auch für andere Zwecke verwenden. Das ist zwar eine Narretei, aber keineswegs ein Karnevalsscherz, ist eher zum Weinen als zum Lachen und zeigt einmal mehr die Notwendigkeit, die Verantwortlichen auf ihren Geisteszustand zu untersuchen und notfalls unter Kuratel zu stellen.

Karikatur: Gertrud Zucker