RotFuchs 207 – April 2015

Marschall Shukow zur Befreiung
der Ukraine von den Hitlerfaschisten

Wie es wirklich gewesen ist

G. K. Shukow

Der durch die CIA und die NATO in Kiew als „Ministerpräsident“ einer Putschregierung installierte Russenhasser Jazenjuk erklärte, eine Befreiung der Ukraine durch die Rote Armee habe nie stattgefunden. Er bezeichnete den opferreichen Kampf, der unzählige sowjetische Soldaten das Leben kostete, als „Invasion“. Wir erteilen hierzu einem kompetenten Akteur des historischen Geschehens postum das Wort.

Noch vor meiner Rückkehr nach Moskau im August 1943 während der Gegenoffensive der Woronesher Front und der Steppenfront kam General A. I. Antonow als amtierender Chef des Generalstabs zweimal mit dem Flugzeug zu uns, um die Änderungen mitzuteilen, die der Oberste Befehlshaber (J. W. Stalin) am Plan zur Vollendung der Angriffsoperationen des Jahres 1943 vorgenommen hatte, sowie die Erwägungen des Generalstabs für den Herbst– und Winterfeldzug darzulegen.

Nach dessen Ansicht verfügte das faschistische Oberkommando noch über bedeutende Kräfte zur Fortsetzung des Krieges gegen die Sowjetunion, da Großbritannien und die USA allen vorliegenden Angaben nach nicht beabsichtigten, große Offensiven in Europa zu beginnen. Die Landung ihrer Truppen auf Sizilien hatte die Verteilung der Kräfte des Gegners auf die verschiedenen strategischen Richtungen nicht wesentlich geändert, obwohl die faschistische Führung jetzt gewiß neue Sorgen bekam.

Nach den Entwürfen für die Direktiven, die der Generalstab ausgearbeitet und zum Teil schon an die Fronten weitergeleitet hatte, sollte eine Offensive an allen Fronten der westlichen und südwestlichen Richtung entfaltet werden, um in die Ostgebiete Belorußlands und zum Dnepr vorzudringen und dort Brückenköpfe für die Operationen zur Befreiung der Ukraine westlich des Dnepr zu bilden.

Dem Bericht Antonows entnahm ich, daß Stalin dringend darauf bestand, die Offensive unverzüglich fortzusetzen, um den Gegner daran zu hindern, ostwärts des Dnepr eine Verteidigung zu organisieren. Ich war mit dieser These einverstanden, nicht aber mit einer Form unserer Angriffsoperationen, bei der die Fronten von Welikije Luki bis zum Schwarzen Meer frontal vorstoßen würden.

Es bestand nämlich die Möglichkeit, nach einigen Umgruppierungen Operationen zum Abschneiden und zur Einkesselung bedeutender gegnerischer Gruppierungen zu beginnen, womit die weitere Kriegführung erleichtert worden wäre.

Namentlich dachte ich dabei an die südliche Gruppierung des Gegners im Donezbecken, die man durch einen starken Stoß aus dem Raum Charkow–Isjum in der allgemeinen Richtung Dnepropetrowsk–Saporoshje abschneiden konnte.

Antonow sagte, er sei derselben Ansicht, doch der Oberste Befehlshaber verlange, den Gegner so rasch wie möglich durch frontale Stöße zurückzuwerfen. Vor seinem Abflug nach Moskau bat ich ihn, er solle dem Obersten Befehlshaber meine Erwägungen noch einmal darlegen und das Anliegen der Fronten übermitteln, deren Panzertruppen mit Tanks und ausgebildeten Besatzungen aufzufüllen, da diese nach den angespannten Kämpfen stark geschwächt waren.

Nach ein paar Tagen wurde ich von Stalin angerufen, der mir mitteilte, er habe angewiesen, Watutin und Konew mit Panzern und Mannschaften zu verstärken. Dann bemerkte er, daß er meinen Standpunkt über die Notwendigkeit eines Vorstoßes der Südwestfront aus dem Raum Isjum in Richtung Saporoshje nicht teile, da dies viel Zeit erfordern würde.

Zum Schluß verlangte Stalin, daß die Fronten so rasch wie möglich den Dnepr erreichten.

Damals konnte unsere Wirtschaft, vor allem die Verteidigungsindustrie, der Front bereits alles Notwendige liefern. Die beschleunigte Entwicklung des „zweiten Baku“, das Arbeitsheldentum der Hüttenwerker von Kusnezk und Magnitogorsk, der beschleunigte Bau neuer Hochöfen und Kraftwerke und die Instandsetzung von Bergwerken in den befreiten Gebieten, die Entwicklung der Buntmetall– und Eisenhüttenindustrie im Ural, in Sibirien und Kasachstan, die Einführung des Taktverfahrens in den Rüstungsbetrieben, die riesige schöpferische Arbeit zur Vervollkommnung der Kampftechnik und der Produktionstechnologie – all das schuf neue Möglichkeiten zur Zerschlagung des Gegners.

1943 wurden 35 000 vorzügliche Kampfflugzeuge und 24 000 Panzer und Selbstfahrlafetten gebaut. In dieser Hinsicht hatten wir den Gegner sowohl quantitativ als auch qualitativ bereits weit überflügelt. So gab das faschistische Oberkommando seinen Truppen die spezielle Weisung, Begegnungsgefechte mit unseren schweren Panzern zu vermeiden.

Die faschistischen Truppen legten Städte und Dörfer in Trümmer, vernichteten Kraftwerke, Hochöfen und Martinöfen, brannten Schulen und Krankenhäuser nieder, wobei Tausende Kinder, Frauen und alte Leute umkamen.

Etwas später, und zwar am 7. September, kam die Direktive aus dem Hauptquartier: Die mir unterstellten Fronten erhielten den Auftrag, die Offensive fortzusetzen, den Mittellauf des Dnepr zu erreichen und dort Brückenköpfe zu bilden. Die Woronesher Front unter Watutin sollte in Richtung Romny–Priluki–Kiew vorstoßen, die Steppenfront unter Konew in Richtung Poltawa–Krementschug.

Wir hatten nicht die Möglichkeit, die Offensive in Richtung Dnepr sorgfältig vorzubereiten. Die Truppen beider Fronten waren nach den ununterbrochenen Kampfhandlungen sehr erschöpft. Es kam auch zu Stockungen bei der materiell–technischen Versorgung. Doch wir alle, vom Soldaten bis zum Marschall, waren vom Wunsch beseelt, den Gegner so rasch wie möglich aus unserem Land zu vertreiben, das vielgeprüfte ukrainische Volk aus der schweren Unterdrückung durch die Okkupanten zu befreien, die sich für ihre Mißerfolge an den Fronten an der wehrlosen Bevölkerung rächten.

Der Gegner leistete erbitterten Widerstand, besonders im Raum Poltawa. Doch in der ersten Septemberhälfte begann er unter bedeutenden Verlusten mit dem Rückzug seiner Truppen aus dem Donezbecken und aus dem Raum Poltawa. Die am Abschnitt der Woronesher Front eingeführte 3. Gardepanzerarmee unter Rybalko, die aus der Reser-ve des Hauptquartiers eingetroffen war, brachte den entscheidenden Umschwung.

Außer der 3. Gardepanzerarmee wurde die Woronesher Front durch die 61. und die 52. Armee verstärkt. Die Steppenfront erhielt die 37. und die 46. Armee zur Verstärkung, ferner die 5. Gardearmee unter General Shadow aus dem Bestand der Woronesher Front. Da der Gegner nicht stark genug war, unserem immer stärker werdenden Druck standzuhalten, begann er den Rückzug zum Dnepr. Unsere Fronten unternahmen alles, um den zurückweichenden Truppen auf den Fersen zu folgen, Brückenköpfe am Dnepr zu bilden und dieses große Wasserhindernis aus der Bewegung zu überwinden.

Zur Demoralisierung der gegnerischen Truppen wurden alle in den Fronten verfügbaren Fliegerkräfte eingesetzt. Die Verbände, die den Gegner verfolgten, stellten improvisierte bewegliche Gruppen auf, die den Auftrag hatten, rasch ins Hinterland des Gegners vorzudringen und die Linien zu besetzen, die dieser für die Verteidigung beziehen konnte.

Alle, mit denen wir zu jener Zeit über die bevorstehenden Aufgaben und die Methoden zu ihrer Erfüllung sprachen, waren sich der Bedeutung der Eroberung des Dnepr gut bewußt, ebenso wie einer raschen Überwindung dieses Flusses und besonders der Befreiung von Kiew, der Hauptstadt der Ukraine.

Die Steppenfront, die Poltawa befreit hatte, erreichte am 23. September mit den Voraustruppenteilen der Gruppierung ihres linken Flügels den Dnepr.

Mechanisierte Truppenteile der 3. Gardepanzerarmee und ein Teil der Kräfte der 40. und 47. Armee bildeten einen Brückenkopf am Dnepr bei Weliki Bukrin. Dieser sollte unverzüglich erweitert werden, um die Einführung der Hauptgruppierung der Woronesher Front zur Umgehung Kiews von Süden und Südwesten zu sichern.

Das Oberkommando der faschistischen Truppen warf eine große Gruppierung, bestehend aus zwei Panzerkorps und fünf lnfanteriedivisionen, gegen die Truppen, die den Brückenkopf errichtet hatten, und versetzte unseren über den Dnepr vorgestoßenen Kräften einen Gegenschlag, wodurch die Operation aufgehalten wurde. Nördlich von Kiew wurde der Dnepr im Raum Lutesh von Teilen der Armee des Generals Tschibissow aus der Bewegung heraus überwunden. Einheiten des 842.Schützenregiments der 240. Schützendivision erreichten das andere Ufer.

Die Truppen, die den Dnepr überwanden, bewiesen größte Beharrlichkeit, Tapferkeit und Heldentum. In der Regel stießen sie, kaum am Fluß angelangt, weiter vor. Ohne das Heranführen von Pontons und anderen schweren Mitteln für den Brückenbau abzuwarten, überquerten die Truppenteile den Dnepr auf Flößen, selbstgebauten Fähren, mit Fischerkähnen und Booten. Alles, was greifbar war, wurde eingesetzt. Auch am anderen Ufer war es nicht leicht. Dort entbrannten erbitterte Gefechte um die Brückenköpfe. Die Truppen kamen nicht dazu, sich einzugraben, sie mußten sofort den Kampf aufnehmen, da der Gegner sie um jeden Preis in den Fluß zurückwerfen wollte.

Ende September hatten wir die Verteidigung der gegnerischen Truppen durchbrochen und den Dnepr auf einem Abschnitt von 750 Kilometern Länge von Lojew bis Saporoshje erreicht sowie eine Reihe von äußerst wichtigen Brückenköpfen gebildet, von denen aus wir unsere Offensive nach Westen weiterentwickeln wollten. Vom 12. Oktober bis zum 23. Dezember führte die Woronesher Front – ab 20. Oktober 1943 hießen die Woronesher Front 1. Ukrainische und die Steppenfront 2. Ukrainische Front – die strategische Operation von Kiew durch.

Am 1. November waren im Brückenkopf Lutesh die 38. Armee, die 3. Gardepanzerarmee, das 5. Gardepanzerkorps, das 7. Artillerie-Durchbruchskorps und viele andere Artillerietruppen und Verbände anderer Waffengattungen konzentriert.

Insgesamt waren rund 2000 Geschütze und Granatwerfer sowie 500 „Katjuschas“ eingesetzt.

Am Morgen des 3. November begann überraschend für die faschistischen Truppen die Offensive auf Kiew, die von der 2. Luftarmee unterstützt wurde.

Um den Ablauf der Operation entscheidend zu beeinflussen, wurde beschlossen, die 3. Gardepanzerarmee einzuführen. Am Morgen des 5. November schnitt sie die Straße Kiew–Shitomir ab, wodurch günstige Bedingungen für die Truppen geschaffen wurden, die nach Kiew vordrangen.

Die 38. Armee unter General K. S. Moskalenko befand sich am Abend des 5. November bereits am Stadtrand von Kiew, das sie am 6. November zusammen mit dem 5. Gardepanzerkorps unter General Krawtschenko befreite.

Sofort wurde ein Funkspruch an den Obersten Befehlshaber gesandt. Darin hieß es: „Mit größter Freude melden wir Ihnen, daß die Truppen der 1. Ukrainischen Front den Auftrag, unsere herrliche Stadt Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, einzunehmen, erfüllt haben. Kiew ist völlig von Naziokkupanten gesäubert. Die Truppen der 1. Ukrainischen Front setzen die Erfüllung der gestellten Aufgabe fort.“ Bei den Kämpfen um Kiew spielte die tschechoslowakische Brigade unter Oberst Ludvik Svoboda eine aktive Rolle; 138 Soldaten und Offiziere dieser heroischen Einheit wurden mit Orden der Sowjetunion ausgezeichnet, darunter auch der Brigadekommandeur. Leutnant Antonin Sochor und Unterleutnant Richard Tessafik wurde der Titel „Held der Sowjetunion“ verliehen.

Um 9 Uhr trafen der Kriegsrat der Front und ich in Kiew ein, wohin auch die leidgeprüften Einwohner der Stadt strömten, die sich vor den bestialischen Gewalttaten der Faschisten in der Umgebung verborgen hatten. Um unsere Fahrzeuge versammelte sich rasch eine große Menschenmenge.

Die meisten waren sehr unterernährt. Aber ihre Augen leuchteten, als sie nicht mehr im Traum, sondern in Wirklichkeit ihre Befreier, ihre Brüder, die sowjetischen Soldaten sahen! Viele weinten vor Freude. Jeder wollte davon erzählen, was ihn so lange bedrückt hatte ...

Wir fuhren über den mir so gut bekannten Krestschatik, die einstmals schönste Straße der Stadt. Aber ich erkannte ihn nicht wieder: Ringsum lag alles in Schutt und Asche.

Die Befreiung von Kiew, die Bildung und Erweiterung der Brückenköpfe am Dnepr in den Räumen Kiew, Tscherkassy, Krementschug, Dnepropetrowsk und Saporoshje verschlechterte die Lage des Gegners in der Ukraine einschneidend. Der Dnepr hatte ihm früher die Möglichkeit geboten, eine schwer zu durchbrechende Verteidigung zu organisieren, und die Faschisten hatten große Hoffnungen darauf gesetzt, daß es ihnen gelingen würde, die sowjetischen Truppen vor dem Dnepr zum Stehen zu bringen. Die Aufklärungsmeldungen des Hauptquartiers besagten, daß vor Beginn der Operation Hitler im Stab der Heeresgruppe Süd eingetroffen war und von seinen Truppen kategorisch verlangt hatte, bis zum letzten Mann um den Dnepr zu kämpfen und ihn um jeden Preis zu halten.

Doch trotz der kategorischen Forderungen Hitlers und Mansteins verlor der Gegner die Schlacht um den Dnepr, obwohl seine Truppen noch einmal versuchten, ihre Verteidigung im Raum Krementschug–Dnepropetrowsk–Saporoshje wiederherzustellen.

Am rechten Flügel der Front hingegen gingen die Kampfhandlungen mit unverminderter Härte weiter. Hier konnte die 52. Armee unter General K. A. Korotejew im engen Zusammenwirken mit Partisanenabteilungen den Dnepr überschreiten und am 14. Dezember einen Brückenkopf bilden sowie Tscherkassy einnehmen.

Nach erbitterten Kämpfen wurde der Brückenkopf des Gegners bei Saporoshje von den Truppen der 3. Ukrainischen Front liquidiert. Unsere Truppen befreiten Dnepropetrowsk.

Aus Telefongesprächen mit dem Obersten Befehlshaber, dem Generalstab und mit Wassilewski war mir bekannt, daß die 4. Ukrainische Front den Gegner an der Molotschnaja aufgerieben, einen Brückenkopf an der Landenge von Perekop gebildet und somit die Krim abgeriegelt hatte.

Aus: G. K. Shukow, Erinnerungen und Gedanken, Deutscher Militärverlag