Wie sich CDU-Minister Hans Joachim Meyer als Hexenjäger profilierte
In der Regel schreiben Politiker Autobiographien, um sich der Nachwelt als weise darzustellen. Adenauer, Brandt und Strauß haben das in der BRD anderen vorgemacht. Bei dem dickleibigen, 758 Seiten umfassenden Buch, das Hans Joachim Meyer im Vorjahr herausgab, ist das nur bedingt der Fall. Er gab ihm den Titel „In keiner Schublade. Erfahrungen im geteilten und vereinten Deutschland“.
In der DDR hatte er Erfahrungen als Anglistik-Professor und Mitglied des Zentralkomitees deutscher Katholiken gesammelt. Er krönte seine Karriere als Wissenschaftsminister in der „letzten DDR-Regierung“ von Lothar de Maizière. Kurt Biedenkopf, den die West-CDU nach Dresden geschickt hatte, holte Meyer als Wissenschaftsminister in sein Kabinett.
Das Fazit Meyers hört sich nicht sehr optimistisch an: „In unserer Gesellschaft werden jene immer einflußreicher, die deren Auflösung betreiben. Das Christentum verliert an Achtung und gestaltender Kraft …“
„Unsere Gesellschaft“ – gemeint ist der Imperialismus mit all seinen Ungerechtigkeiten und Kriegen und seiner Verhöhnung der Schöpfung – beruht also demnach darauf, daß die „christliche Botschaft“ sie stützt. Und was hat das Bündnis von Thron und Altar der Menschheit an Kriegen, Verbrechen und Leid gebracht? Eine Antwort darauf gibt Hubertus Mynarek in „Verrat an der Botschaft Jesu“.
Hier geht es aber nicht um Kirchengeschichte, sondern um das, was Meyer als Großinquisitor seinen Wissenschaftler-Kollegen angetan hat. Wir werden nur jene Menschenrechtsverletzungen ins Visier nehmen, die er selbst gesteht. Maßstab für unsere Wertung sind das Völkerrecht und das Grundgesetz, die jede rückwirkende Verurteilung verbieten. Das änderte sich auch nicht, als Kohls Justizminister Klaus Kinkel von „unabhängigen“ Richtern forderte, Strafrecht rückwirkend anzuwenden, also einen eklatanten Rechtsbruch zu begehen.
Als Minister der Mannschaft Lothar de Maizières verfügte Prof. Meyer im Mai 1990 die Schließung sämtlicher Institutionen, die sich die Verbreitung und Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum Ziel gesetzt hatten. Verbal sprach er sich für „geistige Pluralität und Gleichheit der Waffen“ sowie gegen „Marxisten-Hatz“ aus. Das hinderte ihn aber in keiner Weise daran, zwischen Mai und August 1990 mehr als 1300 Professoren und Hochschuldozenten aus den geisteswissenschaftlichen Bereichen abzuberufen.
Um auch in naturwissenschaftlichen, pädagogischen und künstlerischen Gefilden der Hochschulen die „weltanschaulichen Gegner“ gnadenlos auszuschalten oder zu diskreditieren, erhielten „Initiativgruppen“ die Aufgabe, Rektoren und leitende Angestellte der Universitäten und Hochschulen zu demütigen und aus den Einrichtungen zu vertreiben.
„Wir sollten uns alle um die Reinigung der akademischen Gemeinschaft bemühen, nicht durch Selbstzweifel und Inquisition, wohl aber durch frische Luft im akademischen Wettstreit um Ideen und Qualität, Ruhm und Ansehen“, verkündete Meyer.
Kaum war der frommen Katholizismus zur Schau tragende Minister in Sachsen eingetroffen, da mißbrauchte er auch schon sein Amt, um dort die „Reinigung der akademischen Gemeinschaft“ zu forcieren. Er ließ eine Liste erarbeiten, in der 56 Berufs- und Funktionsgruppen aufgeführt waren, „die in der Regel vom öffentlichen Dienst auszuschließen sind.“
Da ein Landtagsbeschluß über diese Liste nicht zustandekam, setzte Ex-Rektor Biedenkopf die von den Medien als „schwarze Liste“ bezeichnete Beschlußvorlage einfach per Rundschreiben vom 3. Juli 1991 als „Anhalt“ für die Anstellung im öffentlichen Dienst in Kraft. Bemerkenswert war und ist, daß die Kriterien dieses Dokuments aus einem Rundschreiben des damaligen Innenministers Wolfgang Schäuble vom 4. und 11. September 1990 mitsamt dem erklärenden Anhang entlehnt worden sind. Wichtigste, weil massenhafteste Erscheinungsform der Diskriminierung im Beruf waren:
- Entfernung nahezu aller Geistes- und Sozialwissenschaftler aus den Universitäten, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen ohne Kündigung auf dem Wege tatsächlicher oder vorgetäuschter „Abwicklung“ ihrer früheren Arbeitsstellen über eine sechs- bis neunmonatige Warteschleife.
- Kündigung unter direkter oder indirekter Bezugnahme auf die gesellschaftliche oder berufliche Tätigkeit in der DDR.
- Diskriminierung der Professoren, die in der DDR berufen worden waren, durch Einstufung als „Professoren bisherigen Rechts“, die damit wesentlicher akademischer Möglichkeiten wie der Mitwirkung an Berufungsverfahren und der Wählbarkeit in akademische Ämter beraubt wurden.
- Fragebögen im öffentlichen Dienst, die zur Selbstbezichtigung nötigten.
- Anhörungen vor Personal- und „Ehrenkommissionen“, die Verhörcharakter trugen.
- Nichtanerkennung von Dienstjahren wegen „Staatsnähe zur DDR“. Eine neue Stufe beruflicher Diskriminierung markierte das lebenslange Wiedereinstellungsverbot, das Minister Meyer am 9. November 1992 für 884 Wissenschaftler aussprach.
Bei 222 Gelehrten, deren Namen auf einer Liste B standen, war die „Mitwirkung der Personalräte“ eine reine Farce, hatte doch der Minister längst angewiesen: Keine Anstellung mehr an sächsischen Hochschulen.
Im Bereich des Kulturministeriums hat es in Sachsen bis 1994 auf der Basis des „Funktionskatalogs“ insgesamt 5700 Kündigungen gegeben. In den Jahren 1991/92 wurden im Freistaat Sachsen etwa 10 000 Lehrerinnen und Lehrer entlassen. Im Juli 1992 war von den ursprünglich 24 000 Hochschulstellen mehr als die Hälfte unbesetzt.
Was für ein Aderlaß! Das geschah unter einem Ministerpräsidenten, der selbst zeitweilig Hochschullehrer war, und einem Minister, der während seiner Amtszeit zum Präsidenten des Zentralkomitees deutscher Katholiken berufen wurde.
Meyer hat wenigstens eines vermieden: sich nachträglich in die Toga eines Opfers des „Stalinismus“ zu werfen, wie das Ex-Pfarrer Gauck in penetrantester Weise praktiziert.
Bei Meyer lesen wir: „In der DDR hat Jahrzehnte ein Regime geherrscht, das eine ausdrücklich antireligiöse Stellung einnahm, jedoch ohne Religionsverfolgung und letztlich begleitet von pragmatischer Duldung und faktischer Koexistenz.“ Er verschweigt nicht, „daß sie dennoch (?) in Produktion, Verteilung der Güter, Einklagbarkeit des Rechts auf Arbeit, sozialer Sicherheit und sozialem Wohlstand ein im weltweiten Vergleich überdurchschnittliches Niveau erreicht“ habe und „außenpolitisch für Frieden und internationale Entspannung eingetreten“ sei.
Autoren: Dr. Eberhard König und Prof. Dr. Horst Schneider
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