Wie steht es um die Friedensbewegung
in den USA?
Sonne in Kalifornien, Regenwetter in Oregon, tiefer Winter in Boston und Frühling in Salt Lake City – eine sechswöchige Tour durch die USA von Ende Februar bis Mitte April 2017 war ein besonderes Erlebnis. Während meiner friedenspolitischen „speaker’s tour“ konnte ich hautnah den politischen Umbruch spüren und dabei fast gleichzeitig diese kontrastreichen Eindrücke von Landschaften und deren Schönheit genießen. Für ihren Erhalt wird überall gekämpft. Vielleicht ist es eine Errungenschaft, daß um Umwelt und Umweltgestaltung heftig gestritten wird, fast in jeder Region und in jedem Staat. Umwelt- und Klimabewußtsein sind weit über die kritisch-engagierten Akteure hinaus vorhanden, es prägt das Handeln der sogenannten Mittelschichten, auch wenn es immer noch Tabuthemen gibt.
Ich habe während meiner USA-Reise bisher keinen Vortrag erlebt, bei dem nicht nach Deutschland und den erneuerbaren Energien mit viel Sympathie für die deutsche Entwicklung gefragt wurde. Klima- und Umweltfragen sind ein mobilisierender Faktor für US-Bewegungen. So waren auch die Klimamärsche am 29. April mit insgesamt mehr als einer Million Teilnehmern eine Absage an die hemmungslose Politik der Ausbeutung aller Ressourcen durch die Trump-Administration und die Konzerne. Im Aufruf zur Demonstration wird die Friedensfrage als untrennbar mit der Klima-Problematik verbunden erwähnt. Die Ökologisierung hat sich stark in die Regionen, ja lokal in die Städte verlagert. Besonders Kalifornien wird „erneuerbar“ und „grün“.
Vieles hat sich seit der Inauguration von Trump geändert. Die Frustration über Trumps Wahl (sie war kaum eine Enttäuschung über Clintons Nichtwahl), die Erkenntnis, daß rechtsradikale Politik und Ideologie die Gesellschaft negativ umkrempeln können, ja die Wut auf unverantwortliche rassistische und sexistische Hetze hat zu einer nicht erwarteten Mobilisierung besonders junger Menschen in den USA geführt. Tolle Kontakte mit diesen Menschen haben mir in den letzten Tagen ein tieferes Gefühl der Frustration über die zutiefst unmenschlichen Sprüche und politischen Vorstellungen des neoliberalen Milliardärs Trump mit seiner zumindest halbkriminellen Vergangenheit vermittelt.
Demonstrationen gegen Trump sind ein Aufstand des Anstandes. Selten habe ich das Wort dignity (Würde) mit so einer tiefen individuellen Empathie (Einfühlung) gehört wie jetzt bei der Ankündigung weiterer und intensiverer Proteste gegen die Politik der Milliardäre und Generäle. Aus dieser moralischen Bewegung, die an Martin Luther Kings Bürgerrechtsbewegung anknüpft, muß jetzt eine soziale und Friedensbewegung werden, oder, wie es viele ältere Mitstreiterinnen formulieren, eine Bewegung gegen das schlimmste Übel der USA, den Militarismus.
Die Bewegung ist schon in den ersten Ansätzen weit mehr als eine Anti-Trump-Bewegung, mehr auch als eine Bewegung gegen die korrupte neoliberale individualistische Globalisierungspolitik à la Clinton. Sie ist deutlich mehr als eine Unterstützungsbewegung für Bernie Sanders, obwohl seine Unterstützer so etwas wie das Rückgrat der Bewegungen sind. Sie ist der politische Ausdruck der tiefen Unzufriedenheit der progressiven Kräfte und des Vertrauensverlusts von Millionen US-Bürger gegenüber den Macht-und-Geld-Eliten.
Die ersten Aktionen der Bewegung waren mehr als erfolgreich, z. B die Demonstration der Wissenschaftler (hat es in dieser Größe in den USA noch nie gegeben) für Wissenschaftsfreiheit und für eine öffentliche Finanzierung der Forschung. Riesig auch die Märsche für das Klima am 29. April in Washington, der „Women’s March Against the Bomb“ am 18. Juni in New York sowie vielfältige Aktionen gegen die Dakota Access Pipeline an fast jedem Wochenende. Sie beeinflussen das öffentliche Klima und beschränken die Aktions- und Entscheidungsmöglichkeiten von Trump doch erheblich.
Die Handlungen des US-Präsidenten Donald Trump stehen in der Tradition des Reaktionärsten, was die USA in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht haben. Der Mann knüpft unter anderem an Ronald Reagans aggressiven Antikommunismus und Militarismus an. Seine „America First“-Politik ist sicherheitspolitisch ein ungehemmter Aufrüstungskurs. Das belegen die geplante Erhöhung des Rüstungsetats um 54 Milliarden US-Dollar 2018 und vergleichbare weitere Erhöhungen für die folgenden Jahre, der Bau von zwei neuen Flugzeugträgern und von mehr als 100 Kriegsschiffen, angeblich um auf Augenhöhe mit allen anderen Marinemächten zu sein; die Fortsetzung der Modernisierung der Atomwaffen und die Entwicklung neuer, die – so der Auftrag an das Verteidigungsministerium – punktgenau auch regional eingesetzt werden können. Außerdem die Modernisierung und Ausweitung der US-Streitkräfte, besonders der Marine und der Luftwaffe; die Verstärkung der Programme für „Waffen im Weltraum“, Drohnen und der Cyber-war. Begleitet werden diese Aufrüstungsschritte durch öffentliche Erklärungen zur Notwendigkeit und Stärkung der NATO bei neuer Arbeitsverteilung und deutlich ausgeweiteter Finanz- (und Kriegs-)Beteiligung der europäischen Verbündeten; Ankündigungen zur Ausweitung des militärischen Engagements, aktuell vor allem im Jemen (einschließlich von Spezialeinheiten für Bodeneinsätze und Drohnen) sowie, neben dem völkerrechtswidrigen Luftschlag, Planungen für einen Bodeneinsatz in Syrien. Gegenüber Nordkorea und Iran sollen Szenarien entwickelt werden, die militärisches Eingreifen – zurückhaltend formuliert – nicht ausschließen. 5000 weitere Soldaten sind schon auf dem Weg nach Afghanistan. Zudem plant die neue US-Administration eine Intensivierung des Raketenabwehrprogramms in Asien und Europa.
Jegliche Illusionen über den Militarismus der neuen US-Regierung sind fehl am Platz. „Regime Change“-Planungen unter anderem für Kuba, Iran, Nordkorea sind Teil dieser strategischen Überlegungen.
Bewegungen sind dabei, sich zu entwickeln. Sie sind im Kern, auch wenn das die Mehrheit der jetzt aktiv werdenden Menschen vielleicht noch nicht so sieht: antioligarchisch, sozial und emanzipatorisch, sicher kaum antikapitalistisch. Diese Bewegungen sind ermutigend, aufmunternd. Sie brechen die Resignation und Verzweiflung nach Trumps Wahlsieg auf.
Es bleibt die große Gefahr weiterer Kriege, eint die positive Einstellung zu Krieg und Militär doch alle „Fraktionen“ der politischen Eliten der USA: Ein Beispiel ist der völkerrechtswidrige Einsatz der Tomahawks auf Syrien. Militarismus prägt die US-Gesellschaft. Die Friedensbewegungen beider Seiten des Atlantiks stehen vor großen Herausforderungen.
Reiner Braun ist Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).
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