RotFuchs 203 – Dezember 2014

Zur Situation eines über drei Staaten verteilten tapferen Volkes

Wie steht es um die Kurden?

RotFuchs-Redaktion

Derzeit sehen sich die etwa 30 Millionen Kurden, welche seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg über drei Staaten verteilt sind, einmal mehr schwerster Bedrohung ausgesetzt.

In der Türkei, wo die Mehrheit von ihnen – vor allem in Ostanatolien – lebt, werden sie durch das islamistisch-faschistoide Regime Erdoğans erneut brutal angegriffen. Zum ersten Mal seit Beginn der Verhandlungen mit Ankara, die zur Einstellung der Kampfhandlungen beider Seiten geführt hatten, sind Stellungen der kurdischen PKK wieder von der türkischen Luftwaffe bombardiert worden. Während der zum Präsidenten gewählte türkische Diktator seine Panzer an der Grenze zum kurdisch-besiedelten Norden Syriens demonstrativ auffahren ließ und zugleich wilde Drohungen an die Adresse Assads richtete, rührte seine Armee keinen Finger, um den Kurden im Nachbarland gegen die Killerbanden des „Islamischen Staates“ (IS) zu Hilfe zu kommen. Kurdenführer Öcalan befindet sich noch immer in der Haft seiner Peiniger.

In Irak ist die Situation der Kurden verworren. Einerseits konnten sie unter dem 2003 durch die US-Okkupanten in Bagdad ans Ruder gebrachten Regime im ölreichen Norden des Landes ihre Autonomie stabilisieren, andererseits kehrten die USA – auch zur Verstärkung ihrer Kontrolle über die Kurden – in das nahöstliche Land zurück. Als Vorwand diente ihnen die Abwehr einer Offensive der im Auftrag des Pentagons durch Saudi-Arabien und Katar geschaffenen, dann aber der US-Kontrolle offenbar entglittenen IS-Terroristen. Die Obama-Aministration ernannte sich selbst zur Schutzgöttin der kurdischen Peschmerga-Kämpfer, wobei es ihr in erster Linie darum ging, die Ölquellen der Region fest in den Griff zu bekommen. Hier gilt jetzt die Devise: Die Kurden in der Umarmung erwürgen. Zu den Würgern gehören alle, die sich im Zeichen vermeintlicher Waffen- und Ausbildungshilfe für die Peschmerga unterdessen in Nordirak eingenistet haben, so auch die Bundeswehr. Die hier angeblich erwiesene Hilfe des „Westens“ zielt vor allem darauf ab, die Kurden an die Kette des Imperialismus zu legen und ihre relative Selbständigkeit innerhalb des irakischen Staates zu begrenzen.

Ein Wort zu den Kurden Syriens. Sie hatten sich im Nordosten des Landes – mit Billigung oder Duldung durch Damaskus – ein relativ hohes Maß an Unabhängigkeit erkämpft. Da sie mit den Kurden der PKK enge Verbindungen pflegen, steht ihre physische Vernichtung, vor allem aber der Sturz Assads, auf Erdoğans über die eigenen Grenzen reichender Zielskala. Die U.S. Air Force bombardierte im syrischen Kurdengebiet übrigens höchst selektiv die „Gotteskrieger“ des IS, dafür aber mit Vorliebe dortige Ölraffinerien. Im Visier Ankaras und Washingtons befinden sich trotz gegenteiliger Beteuerungen und einzelner Operationen augenscheinlich nicht die Killer des IS, die bei gewolltem Einsatz gegen sie binnen kürzester Frist militärisch schachmatt zu setzen gewesen wären. Es ist doch grotesk: Die mächtige imperialistische Militärkoalition sieht sich außerstande, eine von ihr selbst geschaffene Reservearmee niederzuwerfen. Inzwischen weiß man, daß neben der durch Washington inzwischen als „reguläre Streitmacht“ des Landes anerkannten „Freien Syrischen Armee“ und einem ganzen Rudel Diversantengruppen vor allem auch die „Kämpfer“ des IS in Syrien schon seit Jahren Ströme von Blut vergossen haben.

Doch zurück zu den Kurden, die in ihrer Gesamtheit fast ein Jahrhundert lang die größte ethnische Gruppe ohne einen eigenen Staat sind. Inzwischen hat sich ihr politisches Gewicht wesentlich verstärkt. In Irak hatten sie sich schon unter Saddam Hussein erstmals eine gewisse Selbständigkeit errungen, nachdem der Norden des Landes in der Folge des Golfkriegs von 1991 zu einer von der UNO überwachten Flugverbotszone erklärt worden war. Im Ergebnis der US-Aggression (2003) nutzten bürgerliche Kräfte unter den irakischen Kurden, denen auch Peschmerga-Kämpfer zuzuordnen sind, die für sie günstige Situation, um drei besonders ölreiche Provinzen unter ihre Kontrolle zu bringen. Mit Erbil als Zentrum verwandelte sich Irakisch-Kurdistan – nicht zuletzt durch umfangreiche Energielieferungen in die Türkei – aus der ärmsten in eine der entwickelteren Zonen des Landes.

Auch in den Kurdenprovinzen der Türkei veränderte sich die Situation erheblich. Während Ankara noch Jahrzehnte zuvor unzählige kurdische Siedlungen bei Strafexpeditionen niederbrennen und viele tausend Angehörige der Volksgruppe grausam massakrieren ließ, sah sich die türkische Regierung letztendlich zum Manövrieren und der Bereitschaft gezwungen, in Verhandlungen mit der verhaßten PKK einzutreten.

Vom Einfluß der Linkskräfte in Ostanatolien und darüber hinaus zeugt die Tatsache, daß bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen ein kurdischer Politiker antiimperialistischer Orientierung mit rund einem Zehntel der Stimmen den dritten Rang einnehmen konnte. Auch im Parlament der Türkei sollte man das Gewicht kurdischer Abgeordneter nicht unterschätzen.

Und was Syrien betrifft, sei dem bereits Gesagten hinzugefügt: Vor fünf Jahrzehnten entzog Damaskus einem Fünftel der Kurden des Landes – sie stellen insgesamt etwa 10 % der Bevölkerung dar – die syrischen Pässe und schickte Hunderttausende über Nacht in die Staatenlosigkeit. Heute gewährt ihnen die vom Imperialismus angefallene Assad-Regierung, gezwungenermaßen oder nicht, ein hohes Maß an Selbständigkeit. Übrigens scheint Damaskus die Kontrolle über den nördlichen und östlichen Teil der arabischen Republik inzwischen weitgehend verloren zu haben.

Noch immer vergießt das dreigeteilte kurdische Volk Ströme von Blut. Doch Terror und Verfolgung zum Trotz setzt es seinen Kampf für einen einheitlichen kurdischen Nationalstaat beherzt fort, verteidigt es seine von der Reaktion verbotenen Organisationen und deren in Ketten gelegte Vorkämpfer. Seine Forderungen „Freiheit für Öcalan!“ und „Bedingungslose Aufhebung des Verbots der PKK!“ finden auch in der BRD, wo die Partei fortschrittlicher Kurden nach wie vor auf dem Index steht, immer mehr Unterstützung. Dafür gibt es gute Gründe.

RF, gestützt auf „The New Worker“, London, und „Solidaire“, Brüssel