Ausdehnung der NATO gen Osten? Niemals!
Wie versprochen, so gebrochen
Unmittelbar nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges wurden in den USA intensive Überlegungen angestellt, wie auf die neue Situation zu reagieren sei. Vor diesem Hintergrund gab der damalige US-Verteidigungsminister Dick Cheney ein Papier in Auftrag, das die Ausarbeitung einer künftigen US-Globalstrategie zum Inhalt haben sollte. Unter Aufsicht seines Unterstaatssekretärs Paul Wolfowitz wurde das Dokument dann von Lewis Libby und Zalmay Khalilzad verfaßt, die vor allem in der späteren Bush-Administration noch einmal führende Rollen einnehmen sollten.
Heraus kam mit dem „Defense Planning Guidance“ (auch: „No-Rivals-Plan“) ein Katalog von Maßnahmen, wie die US-Vorherrschaft in der Welt dauerhaft zu zementieren sei: „Unser erstes Ziel ist, den (Wieder-)Aufstieg eines neuen Rivalen zu verhüten, sei es auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion oder anderswo. … Wir müssen versuchen zu verhüten, daß irgendeine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen – unter gefestigter Kontrolle – ausreichen würden, eine Weltmachtposition zu schaffen. Dies bedeutet, die hochentwickelten Industrieländer von jedem Versuch abzuhalten, unsere Führungsrolle in Frage zu stellen oder die bestehende politische und wirtschaftliche Ordnung umzustürzen und die Mechanismen aufrechtzuerhalten, um möglichen Konkurrenten alle Hoffnung auf eine größere regionale oder globale Rolle zu nehmen.“
Seither gilt es als nahezu unbestritten, daß die Kernthesen des No-Rivals-Plans fortan die US-amerikanische Politik bestimmten. Folgerichtig wurde hieraus unter anderem eine Politik zur gezielten Einkreisung und Schwächung Rußlands abgeleitet. Der private Nachrichtendienst „Strategic Forecasting“ (Stratfor), dem beste Kontakte zur CIA nachgesagt werden, konstatiert nüchtern: „Nach dem Fall der Sowjetunion startete der Westen eine geopolitische Offensive in Rußlands Hinterhof und war dabei überaus erfolgreich.“ Als deren wesentliches Instrument wurde die NATO auserkoren, was aber zwingend erforderte, die dem damaligen sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow gegebene Zusage zu brechen, keine Erweiterung des Bündnisgebietes nach Osten vorzunehmen.
Ausgangspunkt ist zunächst einmal das folgende, eigentlich nur schwer fälschlich zu interpretierende Gespräch: „Als US-Außenminister James Baker bei KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow am 8. Februar 1990 um dessen Zustimmung für den Verbleib des wiedervereinigten Deutschlands in der NATO warb, versicherte Baker, es werde keine Ausweitung der gegenwärtigen NATO-Jurisdiktion nach Osten geben‘. Gorbatschow setzte nach: ,Jede Erweiterung der Zone der NATO ist unakzeptabel.‘ Bakers Antwort: ,Ich stimme zu.‘ “
Später behauptete Baker, seine Sätze hätten sich lediglich auf das Gebiet der damaligen DDR bezogen, weshalb sie keine generelle Absage an eine Erweiterung der NATO dargestellt hätten. Das ist allerdings alles andere als glaubhaft, trat doch der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 2. Februar 1990 zusammen mit James Baker vor die Presse und beschrieb das Ergebnis ihres Gesprächs wie folgt: „Wir waren uns einig, daß nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in bezug auf die DDR …, sondern das gilt ganz generell.“
Aus einem lange Zeit geheimen Aktenvermerk geht zudem hervor, daß dies auch genau die Aussage war, die Moskau später übermittelt worden war: „Demnach sagte Genscher im Gespräch mit dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse, der Bundesregierung sei ,bewußt, daß die Zugehörigkeit eines vereinten Deutschlands zur NATO komplizierte Fragen aufwerfe‘. Für sie stehe aber fest: Die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen.“
Allerdings wurde das Thema dann in den weiteren Verhandlungen nicht mehr berührt, und es gab wohl tatsächlich danach keine formale Zusage mehr, das Bündnisgebiet nicht zu erweitern. Westlicherseits wird nun argumentiert, hierdurch seien auch die Aussagen aus dem Februar 1990 gegenstandslos geworden: „Niemals wird laut den Quellen in jener entscheidenden Verhandlungsphase aber die Nichterweiterung der NATO nach Osten erwähnt. Wenn Gorbatschow sich wirklich auf die Gespräche hierzu vom Februar verlassen hätte, dann hätte er das Thema in dieser Zeit noch einmal vorbringen müssen. Er tat es nicht. Im Juli 1990 willigte er in die NATO-Vollmitgliedschaft eines vereinten Deutschland ein.“ Zweifellos kann dieses Versäumnis Gorbatschows als geopolitische Dummheit allerersten Ranges bezeichnet werden, und über die Gründe hierfür läßt sich nur spekulieren. Allerdings belegen Aussagen Gorbatschows, daß er augenscheinlich von der Gültigkeit der Zusagen ausging und die später einsetzende NATO-„Realpolitik“ als Bruch der damaligen Übereinkünfte bewertete: „Die Entscheidung der USA und ihrer Verbündeten, die NATO nach Osten auszudehnen, wurde 1993 gefällt. Es war definitiv eine Verletzung des Geistes der Stellungnahmen und Versicherungen, die uns gegenüber 1990 gemacht wurden.“
Tatsächlich wurde die Idee, die NATO in Richtung des ehemaligen „Ostblocks“ zu erweitern, schon 1993 vom damaligen deutschen Verteidigungsminister Volker Rühe in die Debatte eingespeist. Ein Jahr darauf wurde das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ aufgelegt, mit dem vor allem Länder des ehemaligen Warschauer Paktes schrittweise an das Bündnis herangeführt werden sollten. Daraufhin wurden Polen, Ungarn und die Tschechische Republik 1997 formell zum NATO-Beitritt eingeladen, der am 12. März 1999 offiziell erfolgte. Fast zeitgleich begann die NATO mit ihrem Angriffskrieg gegen Jugoslawien – ein drastischer Völkerrechtsbruch, da er ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates und damit am russischen Vetorecht vorbei durchgeführt wurde. Auch danach ging es Schlag auf Schlag weiter: 2004 wurden weitere sieben Staaten, darunter mit Estland, Lettland und Litauen auch ehemalige Gliedstaaten der Sowjetunion, in das Bündnis aufgenommen, obwohl Moskau dies stets als „rote Linie“ bezeichnet hatte, die keinesfalls überschritten werden dürfe. Mit großer Sorge beobachtet man dort seit langem die NATO-Raketenabwehrpläne, in denen man – nicht ohne Grund – einen gezielten Versuch sieht, das russische Zweitschlagspotential zu neutralisieren. Ab 2003 setzten dann noch die „bunten Revolutionen“ ein, bei denen in Moskaus unmittelbarer Nachbarschaft pro-russische durch pro-westliche Machthaber ersetzt wurden. Dazu gehörten die vom Westen unterstützten Umstürze in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisien (2005).
Die Folge war, daß in Rußland ein grundlegender Kurswechsel eingeleitet wurde, um der als feindlich empfundenen NATO-Expansionspolitik eigene Schritte entgegenzusetzen.
Aus: Expansion – Assoziation – Konfrontation: Europas Nachbarschaftspolitik, die Ukraine und der neue Kalte Krieg gegen Rußland. (Redaktionell bearbeitet)
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