Über genossenschaftliche Großbetriebe in ostdeutschen Dörfern
„Wiedereinrichter“ contra „rote Barone“
Die ersten Monate nach der vermeintlichen Wende, wie die Konterrevolution der Jahre 1989/90 unter Anspielung auf die Vorstellung von einer „Wende zum Guten“ irreführenderweise oft bezeichnet wird, waren auch für die Landwirtschaft der Noch-DDR durch grundlegende Veränderungen bestimmt. Die aus den bereits weithin vom Westen gesteuerten Wahlen am 18. März 1990 hervorgegangene letzte DDR-Volkskammer, die diesen Namen schon nicht mehr verdiente, beschloß ein sogenanntes Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LAG). Es trat sofort in Kraft. Damit sollte den großen sozialistischen Agrarbetrieben – den Volkseigenen Gütern (VEG) und den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) sowie weiteren Objekten der kapitalistischen Begierde – eigentlich der Garaus gemacht werden. Das LAG erwies sich aber als sehr lückenhaft und führte vielerorts ausschließlich zum Streit in den Dörfern.
Erst als der Bundestag dann im Frühjahr 1991 eine Novellierung der gesetzlichen Regelungen zur Zukunft der ostdeutschen Landwirtschaft herbeiführte, zog etwas Ruhe ein.
Dennoch gab es weiterhin ungelöste Probleme. Galten zuvor für agrarische Erzeugnisse in der DDR stabile Abnahmepreise, so gingen diese auf einen Schlag in den Keller. Auch durften ostdeutsche Produkte nach der Währungsumstellung nicht im Westen verkauft werden.
Das führte bei den noch bestehenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu finanziellen Zwängen, die es erforderlich machten, eine beträchtliche Anzahl von LPG-Mitgliedern, vor allem Frauen, zu entlassen. So wurde die Landbevölkerung im annektierten Osten der ersten Segnung der „neuen Ordnung“ gewahr: der Arbeitslosigkeit. Später konnten für die auf solche Weise Ausgegliederten mit Hilfe der Bauernverbände und der zuständigen Behörden Regelungen gefunden werden, die ihre finanzielle Situation stabilisierten. Das hatte nicht zuletzt Bedeutung für einen günstigeren Übergang ins Rentenalter.
Die nunmehr entscheidungsbefugten staatlichen Organe, vor allem die Landwirtschaftsämter, mußten sich zunächst einmal auf eine diametral entgegengesetzte Gesellschaftsordnung – den Kapitalismus – einstellen.
Nun hatten sich die Bauern selbst darum zu bemühen, daß ihre Interessen in den Vertretungskörperschaften der verschiedenen Ebenen durch Frauen und Männer ihres Vertrauens wahrgenommen wurden. Die neue Parteienstruktur war nicht gerade dazu angetan, daß überall für sie und ihre Erwartungen plädiert wurde. Zuvor hatten Agrarpolitiker der SED sowie ihrer Verbündeten auf dem Lande, darunter Funktionäre der Demokratischen Bauernpartei und andere geeignete Partner, die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse in den Dörfern gefördert. Die stets bei innerbetrieblichen Schwierigkeiten vom Rat des Kreises oder den jeweiligen Parteileitungen erwartete und erwiesene Hilfe war über Nacht weggebrochen.
Auch im Acker- und Feldbausystem, das in der DDR längst auf wissenschaftlichen Anbauverfahren und Fruchtfolgen basierte, traten nun gravierende Veränderungen ein. Jetzt baute man das an, was von den EU-Agrarbossen gerade am meisten gefördert wurde. Während zu DDR-Zeiten nahezu jeder Quadratmeter in die Berechnungen einbezogen und genutzt worden war, gab es nunmehr Flächenstillegungen, die man obendrein auch noch bezahlte.
Von dieser „sozialen Marktwirtschaft“ versuchte man die Landwirte mit DDR-Vergangenheit zu überzeugen. Einige fielen auch darauf rein, andere rochen den Braten.
Es war ja nicht leicht, sich an den „Umbau der Systeme“, wie die kapitalistische Rückeroberung genannt wurde, zu gewöhnen und entsprechend zu wirtschaften.
Da die diesbezügliche Gesetzgebung der BRD ausdrücklich die Bildung von Genossenschaften verschiedener Produktionsrichtungen gestattet, beschlossen viele ehemalige LPG-Mitglieder, kurzerhand Genossenschaften bürgerlichen Rechts zu gründen. Da die meisten von ihnen ja selbst Landbesitzer waren, gab es damit auch kaum Probleme. In unserem Altkreis Herzberg/Elster wurde schon am 30. Mai 1990 die erste Agrargenossenschaft dieser Art auf Initiative von Mitgliedern der LPG Gräfendorf durch Beschluß der Vollversammlung ins Leben gerufen. Der alte LPG-Vorsitzende wurde zum Vorsitzenden gewählt.
Das gleiche geschah mit der einst als Schrittmacher im DDR-Maßstab geltenden LPG Pflanzenproduktion Vippachedelhausen im Landkreis Weimar, über die ich den RF-Lesern in einer Serie von Beiträgen berichtet habe. Auch dort wurde ein erfahrener Landwirt, von dem die LPG zwölf Jahre geleitet worden war, zum Vorsitzenden der Erzeugergenossenschaft Neumark berufen, die er dann nochmals fast 15 Jahre leitete, bevor er dieses Amt in jüngere Hände legte. – Mögen rechtskonservative Politiker und als „Wiedereinrichter“ bezeichnete neue Privatbauern sowie Engstirnige aller Art nach Belieben über die von ihnen geschmähten „roten Barone“, wie sie die Leiter mit LPG-Vergangenheit bezeichnen, nach Herzenslust herziehen! Letzten Endes ist es vielen von ihnen zu verdanken, daß die einstmals sozialistischen Genossenschaftsbetriebe der DDR nicht mit Mann und Maus sang- und klanglos untergegangen sind. Sie waren es, die durch ihr oftmals jahrzehntelanges Wirken in Vorständen und Leitungen die dort gesammelten Erfahrungen mitbrachten, um neue Betriebsformen auszuprobieren und vor allem die agrarischen Großbetriebe mit vielen Arbeitsplätzen zu bewahren.
Als ich unlängst das Buch Jegor Ligatschows „Wer zerstörte die Sowjetunion?“ las, stieß ich auf eine unser Thema betreffende Passage. Roswell Garst, ein mit der Sowjetunion vertrauter Gast aus Iowa, fragte 1989 den früheren Sekretär des ZK der KPdSU: „Sagen Sie, hat man in der UdSSR wirklich beschlossen, von den Kolchosen und Sowchosen abzugehen und sich mit der Schaffung von kleinen Betrieben zu befassen?“ Ligatschow reagierte mit einer Gegenfrage: „Wie sehen Sie denn das Problem?“ Der Farmer und Maiszüchter aus dem Mittelwesten der USA brachte den Zeigefinger ausdrucksvoll in Schläfennähe und antwortete: „Diejenigen, welche die großen Wirtschaften in kleine zerstückeln wollen, sind wohl nicht ganz richtig … Nur große Wirtschaften können die neuen kostenintensiven Entwicklungen der Agrarwissenschaft und -technik richtig einsetzen.“
Dennoch sind die ständigen Versuche, effektiv arbeitende Genossenschaften im Osten doch noch irgendwie kleinzukriegen oder wenigstens in ihrer ökonomischen Ausstrahlung auf die bäuerlichen Familienbetriebe im Westen zu beeinträchtigen, bis heute nicht aufgegeben worden.
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