Willi Bredel im neuen Lexikon deutscher Spanienkämpfer 1936–1939 / Eine Kritik
Diese Veröffentlichung ließ lange auf sich warten und hätte für die weitere Erforschung der Geschichte der deutschen Kämpfer für die Spanische Republik eine unverzichtbare und solide Grundlage bilden können.[1] Im Vorwort nennen die beiden Autoren Werner Abel und Enrico Hilbert mehrere Orientierungspunkte für den Aufbau und die inhaltliche Ausgestaltung der Biogramme, die durchaus sinnvoll sind. Sie schreiben: „Wo es möglich war, wollten wir das berufliche und politische Leben vor und nach Spanien beschreiben. Für Spanien selbst sollten das Datum des Eintreffens, die Einheiten, der Rang oder die Ränge, die Dienststellung, die Orte der Teilnahme an Kämpfen, eventuelle Verwundungen, Disziplinar- und Haftstrafen … wenn möglich genannt werden.“[2]
Wenig erhellend ist allerdings in diesem Zusammenhang der Satz „Zu den einzelnen Personen haben wir mal mehr und mal weniger gefunden“, der dem ersten Zitat voransteht. Merkwürdigerweise wurden bei Willi Bredel, der ja nicht gerade als unbekannter Spanienkämpfer einzuschätzen ist, eher weniger Informationen gefunden und dann auch noch allerlei falsche. Die Autoren erfüllten bei ihm noch nicht einmal die eigenen Vorgaben, obwohl das ohne riesigen Forschungsaufwand möglich gewesen wäre. Das gilt bei weitem nicht nur für ihn.
Willi Bredels Lehre des Dreherhandwerks dauerte bis 1920 und nicht, wie im Lexikon behauptet, bis 1918. Nach dem Verlassen der sozialdemokratischen Arbeiterjugend wurde er 1917 Mitglied der „Freien Jugend“ und schloß sich 1919 der parteiunabhängigen sozialistischen Jugendorganisation „Freie Proletarische Jugend“ (FPJ) an, die auch eine gleichnamige Zeitschrift herausgab. Ein Jahr später trat Bredel der KPD bei.[3] Der Satz „1923 nahm er am Hamburger Aufstand teil und mußte deshalb zwei Jahre ins Gefängnis“ stimmt ebenfalls nicht. Der junge Metallarbeiter wurde kurz nach der Niederschlagung des Aufstandes verhaftet, weil er eine Lieferung Gewehre aus Thüringen aufgekauft und als Maschinenteile deklariert nach Hamburg schicken ließ. Anschließend mußte er neun Monate Untersuchungshaft im Gefängnis am Holstenglacis absitzen. Aufgrund einer Amnestie kam Bredel aber bereits im Herbst 1924 wieder frei und brauchte die zweijährige Gefängnisstrafe, zu der er verurteilt worden war, nicht anzutreten.[4] Die genannten Fehler und Ungereimtheiten aus dem Leben Bredels „vor Spanien“ hätten durch eine kurze Kontaktaufnahme mit der Bredel-Gesellschaft leicht vermieden werden können. Dann wäre ja vielleicht auch Bredels literarische Verarbeitung seiner äußerst qualvollen KZ-Haft in dem berühmten Roman „Die Prüfung“ erwähnt worden. Gerade dieses Buch macht es besonders gut nachvollziehbar, warum er 1937 nach Spanien ging, um den Faschismus auch militärisch zu bekämpfen.
Aber wann kam Bredel nun nach Spanien? Das Lexikon gibt uns eine kurze, aber falsche Information: „Am 22. Juli 1937 kam er aus der UdSSR nach Spanien …“[5] Die Wahrheit ist etwas komplizierter: Ende Mai verließ er Moskau und reiste nach Finnland. Von Helsinki flog er am 28. Mai nach Paris, wo er zusammen mit seinem Schriftstellerkollegen Erich Weinert auf eine Möglichkeit zur Weiterfahrt nach Spanien wartete. Die Zeit nutzte Bredel u. a. zum Sammeln und Redigieren von Texten für die Literaturzeitschrift „Das Wort“. Am ersten Juli erreichten die beiden Männer Valencia. Vom vierten bis zum zehnten Juli nahmen sie am II. Internationalen Kongreß zur Verteidigung der Kultur in Valencia und Madrid teil.[6]
Vollkommen überfordert waren Abel und Hilbert mit der Darstellung von Bredels militärischen Aktivitäten, seiner publizistischen Unterstützung der Republik als Mitherausgeber und Redakteur der Literaturzeitschrift „Das Wort“ und seiner eigenen literarischen und journalistischen Arbeiten zum Spanienkrieg. Der interessierte Leser erfährt nämlich nichts darüber. Unglaublich, aber wahr! Über die Gründe kann man nur spekulieren.
Im Dezember 1937 erhielt er von der Leitung der Internationalen Brigaden den Auftrag, ein ca. 600 Seiten umfassendes Buch mit vielen Fotos über die Geschichte der 11. Internationalen Brigade zu verfassen. Parallel dazu begann er die stark autobiographische Roman-Chronik „Begegnung am Ebro“. Nach vielen Schwierigkeiten beim Verfassen und der Herstellung des Buches konnte es im Dezember 1938 im neu gegründeten Exilverlag „10. Mai“ in Paris erscheinen. Im Mai 1948 brachte Bredel in der damaligen sowjetischen Besatzungszone eine tiefgreifende Neufassung des Werkes heraus, die allerdings in der Darstellung der ungeglätteten Wirklichkeit nicht an die Urfassung heranreicht.[7] Erstmals in der DDR erschien der Text der fast vergessenen Pariser Erstausgabe im Jahr 1977 im zweiten der beiden Bände „Spanienkrieg“, die fast alle Publikationen Bredels, die sich mit dem Thema befassen, vereint.[8] Diese Basisliteratur wird aber weder in den Literaturhinweisen noch unter dem Stichwort „Willi Bredel“ des Lexikons genannt.[9] Auch hier stellt sich die Frage: Mangelnde Sorgfalt oder unlautere Absicht?
Abschließend noch einige Anmerkungen zum militärischen Einsatz des Schriftstellers, einem Thema, zu dem man ja nach den im Vorwort formulierten Ansprüchen einige handfeste Fakten erwarten sollte. Aber auch hier wieder: Fehlanzeige! Der Leser erfährt lediglich, daß Bredel von August bis Oktober 1937 im Thälmann-Bataillon der 11. Internationalen Brigade war. Dies ist auch wieder nur halb richtig, denn sein Einsatz dauerte bis zum 11. November 1937.[10] Wesentlich problematischer ist allerdings, daß dem Nutzer des Lexikons „die Orte der Teilnahme an Kämpfen“ vorenthalten werden. Mit wenig Aufwand hätte man etwa die folgende Eintragung vom 30.8.1937 in seinem spanischen Tagebuch finden können:
„Meine Feuerprobe liegt hinter mir. Wir haben Quinto gestürmt. Meine erste Schlacht. Seit 10 Tagen bin ich erst im Bataillon und habe nie eine militärische Ausbildung erhalten, sollte nur die politische Betreuung der Kameraden übernehmen, mußte aber gleich beim ersten Kampf den Kommandanten des Bataillons spielen (Der Bataillonskommandant Georg Elsner war kurz zuvor gefallen, Anm. H.-K. M.). Und es ging – zu meiner eigenen allergrößten Überraschung – ziemlich glatt … .“[11]
Außerdem nahm Bredel Anfang September 1937 an der Eroberung Belchites sowie am Kampf in den Bergen bei Mediana am Berg Sillero gegen faschistische Entlastungsangriffe teil.[12]
Auf eine kritische Auseinandersetzung mit der mageren, blutleeren Darstellung seines „Lebens nach Spanien“ bzw. der Nicht-Darstellung ganz wesentlicher Punkte aus diesem Lebensabschnitt muß ich aus Platzgründen leider verzichten. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich möglichst viele kompetente Rezensenten mit den zahlreichen Fehlern, Unzulänglichkeiten und Leerstellen des Buches intensiv und kritisch auseinandersetzen. Sie würden damit nicht nur der Forschung, sondern auch den Spanienkämpfern und ihrem Andenken einen großen Dienst erweisen.
Anmerkungen
- Werner Abel / Enrico Hilbert u. a.:
Sie werden nicht durchkommen. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution, Band 1
Edition AV, Lich/Hessen 2015 - Ebenda, S. 8
- Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin, Akte DY 30/IV 2/11/ v 44
- Willi Bredel:
Aus meinem Leben (um 1934)
in: Manfred Hahn: Willi Bredel 1901–1964, Aufbau-Verlag, Berlin 1976, S. 42 - Abel / Hilbert, S. 86
- Spanienkrieg II (Siehe Anmerkung 8), S. 363
- Vgl. Hans-Kai Möller:
Bücher haben ihre Schicksale
Begegnung am Ebro – Willi Bredels Spanien-Roman
in: Willi-Bredel-Gesellschaft, Rundbrief 2007, S. 40–45 - Willi Bredel:
Spanienkrieg I, Zur Geschichte der 11. Internationalen Brigade
Spanienkrieg II, Begegnung am Ebro
Schriften, Dokumente, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1977 - Abel / Hilbert, S. 13 und S. 86 f.
- Spanienkrieg II, S. 368
- Willi Bredel:
Aus meinem spanischen Tagebuch
Eintragung 30. 8. 1937, Codo
in: Spanienkrieg II, S. 287 f. - Spanienkrieg II, S. 366
Leicht gekürzt aus dem „Rundbrief 2016“ der Willi-Bredel-Gesellschaft, Hamburg
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