Über Versuche, der DDR
antisemitische Ressentiments anzudichten
Wissenslücken bei Petra Pau
Petra Pau, durch die PDL benannte Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, hielt es für angebracht, Linken in Sachen Israel die Leviten zu lesen. Das ND berichtete am 9./10. August in seinem Artikel „Schreckliche Tradition“ darüber.
Offensichtlich ist der Anlaß darin zu erblicken, daß die derzeitige Außenpolitik der BRD-Regierung eine die Gemüter erregende Debatte ausgelöst hat.
Für Linke gilt das unverrückbare Gesetz, daß jegliche Diffamierung jüdischer Menschen genauso zu verabscheuen ist wie ein Angriff auf Sinti und Roma, Völker anderer Hautfarbe oder Anhänger religiöser Überzeugungen. Das sind wir angesichts der im deutschen Namen begangenen furchtbaren Verbrechen sowie aufgrund unserer sozialistischen Überzeugung und solidarischen Haltung allen Völkern gegenüber aus historischer Verantwortung schuldig.
Seit Jahrzehnten begehen Israels Regierende einen Völkerrechtsbruch nach dem anderen. Zugleich suchen sie jede Verurteilung ihrer verabscheuenswürdigen Verbrechen an der palästinensischen Bevölkerung Gazas und des Westjordanlandes unter mißbräuchlichem Verweis auf den Genozid der deutschen Faschisten an den europäischen Juden zu unterdrücken.
Wir sollten Israel wie alle anderen Staaten der Welt respektieren und allein nach ihren Taten bewerten, Tel Aviv jedoch keinen Sonderstatus einräumen. Und noch eine Bemerkung: Mit der Politik der derzeitigen BRD-Regierung und besonders mit der Haltung des Bundespräsidenten bin ich in keiner Weise einverstanden. Darf man mich deshalb als Deutschenhasser betrachten?
Ich halte die von der Bundesregierung betriebene Rechtfertigung des Denkens und Handelns der israelischen Machthaber unter Bezug auf das schreckliche Schicksal der Juden im europäischen Teil der Welt für absolut unzulässig.
Es gibt indes Leute, die den Kurs der Verharmlosung oder gar Bejahung der Genozid-Verbrechen Israels, wie er sich jetzt erneut beim Massaker an den Menschen im Ghetto von Gaza offenbart hat, mit Angriffen auf die Außen- und Innenpolitik unseres 1990 untergegangenen sozialistischen Staates verbinden.
Petra Pau wäre nicht sie selbst, käme sie bei dieser Thematik ohne einen Seitenhieb auf die DDR aus. „Aber auch Linke sind mitnichten vor antisemitischen Vorbehalten gefeit. Das hat sogar eine schreckliche Tradition. … In der DDR galten selbst Kommunisten mit jüdischen Wurzeln zuweilen als fragwürdig“, bemerkte sie. Das ND druckte diese Behauptung wortgetreu ab.
In welchem Land hat die Frau eigentlich seit 1963 gelebt? Die DDR war bekanntlich jener deutsche Staat, in welchem alle jüdischen Bürger uneingeschränkte Gleichberechtigung genossen, geschützt und gefördert wurden. Sie waren am Entstehen und an der Gestaltung ihrer Heimat aktiv beteiligt. Ganz anders verhielt es sich damit in der BRD Konrad Adenauers. Es bedarf wohl keines weiteren Beweises, daß antisemitische Genozid-Verbrecher und Schreibtischmörder in Politik, Justiz, Sicherheitsapparat, Wissenschaft und anderen Sphären das Sagen behielten. Erinnert sei nur an Dr. Hans Globke, den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, der es bis zur grauen Eminenz des ersten Bundeskanzlers brachte.
In der DDR stellte sich die Situation absolut konträr dar. Dort gab es nicht wenige führende Persönlichkeiten, die zusammen mit jüdischen Bürgern den Weg durch Zuchthäuser und Konzentrationslager hatten gehen müssen. Einige Spitzenpolitiker waren Juden. Erinnert sei an Prof. Albert Norden, Sohn eines Rabbiners, oder Hermann Axen, Überlebender von Auschwitz. Beide waren langjährige Mitglieder des Politbüros der SED. Erwähnt sei auch der Leiter des Aufbau-Verlags, Minister für Kultur, Botschafter und Staatssekretär für Kirchenfragen Klaus Gysi – der Vater Gregor Gysis –, der als hochgeachteter Politiker der DDR besonders wichtige Aufgaben übertragen bekam.
Unter den frühen Mitgliedern des Obersten Gerichts der DDR befanden sich jüdische Richter. Sie prägten gemeinsam mit anderen in diesem Bereich Tätigen die Rechtsprechung des Landes. Ob in den Parteien des Demokratischen Blocks, im Staatsapparat, in der Wissenschaft oder unter Künstlern – überall gab es jüdische Mitbürger. Übrigens wurde die Frage, ob jemand Jude sei, niemals gestellt. Auch in der Volksarmee, bei der Volkspolizei und im Ministerium für Staatssicherheit gab es Genossen mit jüdischen Wurzeln. Nur ein besonders bekannter Name sei hier erwähnt: Markus Wolf, Chef der Hauptverwaltung Aufklärung – der legendären HV A. Zu einer den Antisemitismus konsequent bekämpfenden internationalistischen Erziehung der Nachkriegsgenerationen wurde im Osten Hervorragendes geleistet. Filme wie „Ehe im Schatten“ oder „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ gehören zum unvergänglichen Kulturerbe der DDR.
Ist Petra Pau all das entgangen? Oder hat sie es aus Opportunitätsgründen nur verdrängt? Folgt sie gar der Politik der DDR-Herabsetzung um jeden Preis?
Natürlich billige ich Petra Pau wie allen anderen das Recht zu, an der kritischen Auseinandersetzung mit Defiziten des Lebens in der DDR teilzunehmen. Allerdings unter einer Voraussetzung: daß sie bei der Wahrheit bleibt oder zumindest dann schweigt, wenn sie diese nicht kennt.
Unser Autor war Präsident des Obersten Gerichts der DDR.
Nachricht 1416 von 2043