War es den Arbeitern der DDR wirklich egal,
was aus dem Volkseigentum wurde?
Wo Selbstbezichtigungen
fehl am Platze sind
Wolfgang Giensch bezog sich auf Christa Lufts These, daß „das Eigentümerbewußtsein“ bei den Werktätigen der DDR ungenügend entwickelt gewesen sei, da die Arbeiterkollektive sonst mehr Widerstand gegen die Zerschlagung ihrer VEBs geleistet hätten.
Diese Argumentation bedeutet doch mit anderen Worten: Den Betriebskollektiven sei es relativ egal gewesen, ob man ihnen die Fabrik wegnimmt oder nicht, da sie ihnen ja ohnehin nicht gehört habe. Diese Vorstellung scheint mir absurd. Man hat ihnen doch nicht irgendeinen Gegenstand weggenommen, sondern die Arbeit, die soziale Sicherheit, die persönliche und berufliche Entwicklungsperspektive – kurzum ihre Lebensleistung, auf die sie stolz waren und auf die sie mit Befriedigung zurückblicken konnten. Das sollte plötzlich alles nichts mehr wert sein!?
In Wirklichkeit hat dieser Verlust doch in ihnen Wut und Verzweiflung hervorgerufen.
Ich erinnere mich noch an die Bilder aus Fernsehberichten: Arbeiter, die in ihren vormaligen VEBs mit Tränen in den Augen die eigenen Werkhallen abreißen mußten. Das war zweifellos nur eine „stille“ Empörung, verbunden mit einer gehörigen Portion Rat- und Hilflosigkeit. Arbeiter, die 40 Jahre Volkseigentum und Planwirtschaft erlebt hatten, vermochten sich überhaupt nicht vorzustellen, daß eine so brutale Enteignung möglich sein könnte! Sie waren weder gedanklich noch organisatorisch auf derartige Situationen vorbereitet.
Und genau das nutzten die Kohl, Weigel, Sarrazin & Co. Deren Strategie bestand darin, so schnell wie möglich die volkseigenen Betriebe zu privatisieren, bevor es den überrumpelten Werktätigen überhaupt bewußt würde, daß sie damit kollektiv enteignet worden seien. Es sollten schlagartig Tatsachen geschaffen werden, noch ehe die davon Betroffenen auch nur begriffen hatten, was hier geschah und sich – wie in Bischofferode – Widerstand aufbauen konnte.
Hinterher zu behaupten, die Arbeiter hätten kein „Eigentümerbewußtsein“ gehabt und trügen selbst mit schuld an dem Raub, halte ich für eine unzulässige Unterstellung. Auch die seinerzeitige PDS hat sich in dieser Frage nicht gerade glanzvoll geschlagen. Statt den Widerstand gegen die Enteignungsstrategen zu organisieren und sich für eine berechtigte Verteidigung all dessen, was den Menschen in der DDR „lieb und teuer“ geworden war, stark zu machen, löste sie als erstes die SED-Betriebsgruppen auf. Das trennte die Partei von der Klasse. Die PDS-Führung lieferte dem Gegner überdies auch noch Argumente, indem sie erklärte, das Volkseigentum sei ja „kein wirkliches Volkseigentum“ gewesen, sondern habe sich in der Verfügungsgewalt von „Politbürokraten“ befunden.
Ein Vergleich dazu: Als bekannt wurde, daß in Bochum ein Werk des Opel-Konzerns geschlossen werden sollte, nahmen die Arbeiter dieses kapitalistischen Unternehmens sofort den Kampf dagegen auf. Bewiesen diese „Arbeitnehmer“ damit etwa „Eigentümerbewußtsein“? Natürlich besaßen sie weder „Anteilscheine“ am Konzern, noch konnten sie besondere Ansprüche stellen. Ihnen ging es um ihre Arbeitsplätze. Sie hatten nur eine völlig andere Ausgangssituation als die betroffenen Arbeiter der DDR: Den Bochumern waren solche Situationen in ihrem kapitalistischen Umfeld keineswegs fremd. Überdies besaßen sie in ihren Gewerkschaften erfahrene Organisatoren von Druck und Widerstand. Und vor allem hatten sie mehr Zeit, denn ihre Werkschließung stand ja nicht unmittelbar bevor, während in der DDR die Betriebe oftmals schon privatisiert waren, bevor die davon Betroffenen das erfuhren.
Man sollte sich wirklich nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie eine (juristische) Eigentumsbindung erreicht werden kann. Die Frage muß aus meiner Sicht anders gestellt werden. In der DDR wäre es vielmehr notwendig gewesen, die ökonomischen Interessen der Werktätigen wesentlich stärker an das tatsächlich erwirtschaftete ökonomische Ergebnis ihres Betriebes zu koppeln. Und dieses hätte der Gewinn sein müssen. Das ganze System der Leitung, Planung und ökonomischen Interessiertheit hätte so beschaffen sein müssen, daß für jeden Werktätigen die Erwirtschaftung eines hohen ökonomischen Ergebnisses ihres Betriebes in Löhnen, Prämien oder ähnlicher Form spürbar geworden wäre. Dann hätten sie – wie Wolfgang Giensch richtig feststellt – „mit weitaus mehr Schöpfertum an der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums mitgewirkt“.
Die immer wieder mal aufgeworfene Frage nach dem angeblich „unterentwickelten Eigentümerbewußtsein“ steht für mich in einem direkten Zusammenhang mit wirtschaftstheoretischen Grundpositionen der PDL. In deren Parteiprogramm vom Oktober 2011 heißt es: „Allumfassendes Staatseigentum ist auf Grund bitterer historischer Erfahrungen nicht unser Ziel.“ Hier wird das, was wir nicht grundlos als Volkseigentum bezeichnen, einfach in „Staatseigentum“ umgetauft, was der Feststellung anderer entspricht, es habe sich nicht um „wirkliches Volkseigentum“ gehandelt. Der Begriff Staatseigentum aber wird offensichtlich aus der in der DDR praktizierten „zentralen staatlichen Planung“ abgeleitet, die bei Ablehnung des „Staatseigentums“ gleich mit vom Tisch wäre. Tatsächlich findet man im Wirtschaftsteil des PDL-Parteiprogramms keinen Hinweis darauf, wie denn die sogar recht gut formulierten Zielstellungen sozialistischer Wirtschaftstätigkeit realisiert werden sollten. Die in der DDR geschaffenen Institutionen (Plankommission, Ministerien usw.) waren doch nur die Verwalter des Volkseigentums, nicht aber die Eigentümer der Vermögenswerte selbst, wie das beim Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft der Fall ist.
Was aber die Formulierung des PDL-Parteiprogramms „… aus bitterer historischer Erfahrung …“ betrifft, so handelt es sich dabei um eine glatte Verdrehung von Tatsachen. Das Volkseigentum hat allen Menschen – wenn auch bisweilen mit Ecken und Kanten – Arbeit, Sicherheit und eine persönliche Perspektive geboten. Dieses aber wurde ihnen im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD auf kriminelle Weise entzogen.
Für mich gibt es nur eine Schlußfolgerung: Künftige sozialistische Wirtschaftspolitik muß unabdingbar auf dem Volkseigentum und der Planwirtschaft beruhen. Allerdings gilt es, dann vieles entschieden besser zu machen, als wir es beim „ersten Anlauf“ vermochten.
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