RotFuchs 230 – März 2017

Woher und wohin des Wegs?

Dr. Wilfried Meißner

Vieles verbindet mich mit der DDR. Die fast zehn Jahre meiner Mitgliedschaft im Zentralausschuß der Volkssolidarität und die ehrenamtliche Tätigkeit als Vorsitzender des Bezirksausschusses Karl-Marx-Stadt der Volkssolidarität gehören natürlich auch dazu, nicht weniger meine Tätigkeit in der Gewerkschaftsleitung des Kombinates Trikotagen sowie als Dozent für Fernstudenten des Bezirks Karl-Marx-Stadt an der Hochschule der Gewerkschaft „Fritz Heckert“.

Mein Leben lehrt mich, daß die sozialistische Demokratie die zukunftsträchtigste wie auch die nachhaltigste Demokratieform ist. Sie schließt gleichberechtigt alle Klassen und Schichten in die Formen der Mitbestimmung und des Mitregierens ein. In ihr ist nicht nur Platz für den Mittelstand, sondern sie fordert und fördert ihn auch als eine wichtige Produktivkraft der Gesellschaft. Sozialistische Demokratie schließt selbst kapitalistische Eigentumsformen ein, wie zum Beispiel in den Betrieben mit staat­licher Beteiligung praktiziert. Das Kernproblem ist eine lebendige, auf Augenhöhe gestaltete Bündnispolitik.

Nach wie vor stehe ich zu den Grundideen meiner Partei, der NDPD, im Geiste von Dr. Lothar Bolz, Prof. Dr. Heinrich Homann und Wolfgang Rösser. Das betrifft die Innen- wie Außenpolitik, insbesondere in den von uns formulierten Kernsätzen des Bündnisses mit der Arbeiterklasse und ihrer Partei, der SED, und des Verhältnisses zur UdSSR. Noch heute denke ich begeistert an die Vorträge von Prof. Dr. Konstantinow von der Lomonossow-Universität an unserer Zentralen Parteihoch­schule. Ich war im Jahre 1953 nicht nur der jüngste Absolvent ihres 2. Halbjahres­lehrganges, sondern auch der jüngste Politische Kreisgeschäftsführer (Kreissekretär) der NDPD in der DDR. Vorbilder und „Lehrmeister“ waren für mich solche Persönlichkeiten wie Vincenz Müller (stellvertretender Vorsitzender der NDPD, dann Generalleutnant der NVA und später Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung), Wilhelm Adam (Landesvorsitzender der NDPD Sachsen, Minister für Finanzen in Sachsen und später Dozent an der Militärakademie „Friedrich Engels“), Otto Buchwitz (Präsident des Sächsischen Landtages und Aktivist der Friedensbewegung), Wolfgang Rösser (Mitglied des Parteivorstandes und Sekretär des Hauptausschusses der NDPD sowie Mitglied des Präsidiums der Volkskammer und Vorsitzender der Lateinamerikanischen Gesellschaft in der DDR) und Werner Felfe (1. Sekretär der Kreisleitung Flöha und zuletzt Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees der SED).

Bündnispolitik wird produktiv, wenn die erfahrensten und zuverlässigsten Kräfte der Parteien und Massenorganisationen regieren. Dabei ist verständlich, wenn die Führungsfähigsten und Führungswilligsten in gewissem Sinne eine Vorzugsstellung einnehmen („führende Rolle“). Der Kapitän eines Schiffes wird von einer erfolgreichen Mannschaft dann sprechen können, wenn diese ihn, den Kapitän, respektiert, achtet, ja sogar liebt, ohne blinden Gehorsam. Führungskräfte werden ständig vor die Aufgabe gestellt, sich selbst zu prüfen bei der Erfüllung ihrer Verantwortung. Ein Führungsanspruch leitet sich nicht primär von einer Klasse oder einer sozialen Gruppierung ab. Im Grunde genommen müßten die regieren, die über die größte Nähe zum Volk verfügen und die besten fachlichen wie sozialen Fähigkeiten besitzen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Ein entscheidendes Instrument für die Führung ist ein kritisches Verhältnis zur eigenen Arbeit und zu sich verändernden Bedingungen. Schon Karl Marx sah in der Kritik ein besonderes Mittel der Einflußnahme auf Erziehung und Selbsterziehung wie zur notwendigen Korrektur beratener und beschlossener Maßnahmen.

Er mahnte auch, die Kritik stets zu aktualisieren. Neue Aufgaben bedingen neue Verhaltensweisen, die wiederum neue Probleme erzeugen können, auf die sachlich und nachvollziehbar kritisch reagiert werden muß. Betrachten wir die Realität, so müssen wir eingestehen: Die gegenwärtige moderne kapitalistische Gesellschaft ist erfahren in der Anpassung, in der „Kunst“ der Manipulation und des „Kaufs“ der intelligentesten sowie nützlichsten Arbeiter und Beschäftigten für die Interessen des Kapitals. Die „soziale Marktwirtschaft“ ist der Versuch, einen Anschein von Demokratie und Gerechtigkeit zu erwecken.

Die Fähigkeit des Kapitalismus, sich immer wieder neu und demokratisch darzu­stellen, führt zu Irritationen und teilweise revisionistischen Zukunftsvorstellungen. Er „besticht“ durch die Beherrschung medialer Einflußnahme. Hier werden Wahrheiten, Halbwahrheiten wie auch Lügen so gekonnt vermittelt, daß man sie glaubt. Diese Situation spiegelt sich wider in der ständigen „Empörung“ über Bestechlichkeit, Korruption, Doppelzüngigkeit, Verleumdung, Vorteilsnahme und Diskriminierung usw. Der schillernde, glamouröse Kapitalismus weckt offensichtlich viel mehr Hoffnungen durch sein Erscheinungsbild und seine Angebote, als die Ideen des Sozialismus und ihre praktische Verwirklichung dies vermochten. Wir sollten bedenken, daß es sich bei den Deutschen als Verursacher wie Verlierer des II. Weltkrieges um ein Volk in Ost und West handelt und dieses Volk noch bis zum Ende des Krieges von dem Gelöbnis überzeugt war: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer und eine Wehrmacht.“ Die Jahre der faschistischen Indoktrination haben in den Menschen tiefe Furchen falscher Hoffnungen wie auch Lügen hinterlassen.

Die betonte Zuwendung der DDR zu den Werktätigen, den Arbeitern und Bauern im Sinne des Friedens, des Antifaschismus und Antiimperialismus wurde von vielen Menschen bejaht. Wen wundert es, wenn im Laufe der Jahre die Bürger die Realität mit den Worten und Programmen der Parteien und der Regierung verglichen haben. Bei aller Wertschätzung und persönlichem Engagement für die Ideen der Verfassung der DDR belastet mich die „Nachlese“ von möglichen tiefgreifenden Fehlern im Umgang mit Mitbürgern bis heute.