Zu jüngsten Entwicklungen in der VR China
Wohin führt die Reise?
Unter der in zwei aufeinanderfolgenden Beiträgen verwendeten Überschrift „China baut sich um“ – das zweite Mal noch durch das Wort „kräftig“ verstärkt“, hat der bekannte Publizist Wolfgang Pomrehn zur Entwicklung des fernöstlichen Riesenlandes im Zusammenhang mit der 3. Tagung des ZK der KP Chinas Stellung genommen. Er schrieb im ersten Beitrag, das Plenum werde „den Weg für den Umbau der großen staatseigenen Betriebe freimachen. Außerdem sollen bisher monopolisierte Bereiche für privates Kapital geöffnet werden. Der neue Premierminister Li Keqiang hatte in diesem Zusammenhang in den zurückliegenden Monaten unter anderem das Bankwesen, die Telekommunikation, die Strom-, Öl- und Gasversorgung, den Eisenbahnsektor sowie die Ausbeutung von Bodenschätzen genannt.
Schließlich sollen die privaten Unternehmen, die bereits jetzt einen erheblichen Anteil an Chinas Wirtschaftsleistung haben (von ihnen werden etwa 60 % des Bruttonationalprodukts erwirtschaftet – RF), die gleichen Bedingungen wie die staatlichen Betriebe erhalten. Dies wird insbesondere auch Auswirkungen auf das Bankwesen zeitigen. Bisher folgt die Kreditvergabe von der lokalen Ebene bis zu Großprojekten noch immer vor allem politischen Vorgaben. Öffentliche Unternehmen kommen daher wesentlich einfacher an Geld als private. Letztere sind deshalb nicht selten darauf angewiesen, sich auf einem grauen Markt mit liquiden Mitteln zu versorgen.
Einer fehlte auf dem ZK-Plenum: Jiang Jiemin. Er war bis vor kurzem Chef der China National Petroleum Company (CNPC), einer Gesellschaft, die zu den größten Energiekonzernen der Welt gehört, rund 1,6 Millionen Beschäftigte hat und deren Tochter PetroChina auf Platz neun der Forbes-100-Liste der weltweit größten Konzerne rangiert. Erst im März war Jiang zum Vorsitzenden der Kommission für die Verwaltung und Überwachung des Staatsvermögens (SASAC) ernannt worden. Damit war er oberster Aufseher über die 112 großen staatseigenen Konzerne, die der Zentralregierung unterstehen. Im September wurde er unter dem Vorwurf „schwerer Disziplinarvergehen“ festgenommen. Kurz zuvor waren schon mit ähnlichen Vorwürfen vier seiner ehemaligen Untergebenen verhaftet worden. Nach Jiangs Entfernung aus dem Chefsessel erklärte sein Stellvertreter Zhang Yi, daß die von der SASAC kontrollierten Konzerne ,mit aller Kraft Strukturanpassung und Transformation‘ angehen und ,die Überwachung des Staatsvermögens weiter verstärken‘ sollten. Premierminister Li hatte bereits vor einigen Monaten CNPC neben Sinopec und Chinese Naional Offshore Oil Corporation (zwei weiteren heimischen Energiegiganten), China Telecom und China Mobile als jene fünf staatlichen Konglomerate benannt, die am gründlichsten reformiert werden müßten.
In diesem Zusammenhang sind die Verhaftungen, die offiziell als Teil der Kampagne gegen Korruption gelten, sicherlich auch Ausdruck von innerparteilichen Auseinandersetzungen.
Im zweiten Beitrag Wolfgang Pomrehns heißt es: „Ein anderer Reformkomplex sind die 112 großen Staatskonzerne, die direkt der Zentralregierung unterstehen. Xinhua zitiert den stellvertretenden Chef der für deren Verwaltung und Überwachung zuständigen Kommission Huang Shuhe, wonach diese Unternehmen für private Anteilseigner geöffnet werden sollen. Ihre Umstrukturierung habe hohe Priorität. Auch der Bankensektor solle stärker für privates Kapital geöffnet werden. Diskutiert wird offensichtlich auch, ab 2015 eine Steuer auf private Vermögen einzuführen.“
Unter der Schlagzeile „Ritt auf dem Tiger“ schreibt jW-Autor Rainer Rupp: „Das war nicht länger aufrechtzuerhalten, expansiv und extrem exportorientiert – ein jahrzehntelanger Ritt auf dem kapitalistischen Tiger. Dessen enorme Stärke bescherte China sagenhafte Zuwachsraten in der Wirtschaft. Es verwandelte die 1980 noch weitgehend rückständige Agrargesellschaft in eine moderne Industrienation, die Nummer zwei unter den globalen Wirtschaftsmächten. Doch nun hat das bislang willige Monster angefangen, durchzugehen und seine Zähne zu zeigen. Verwöhnt vom rasanten Fortkommen bei dem schwindelerregenden Ritt, hatte die Führung die sozialistischen Zügel von Jahr zu Jahr weiter gelockert und dem Raubtier ständig mehr Spielraum eingeräumt. Doch niemand kann diesen Tiger auf Dauer ungestraft reiten, und so ist er auch für Peking außer Kontrolle geraten.
Der Führung der KP – sie hat gerade im Zuge einer internen Säuberung die sozialistischen Tigerdompteure ins Gefängnis gesteckt (siehe die ,Affäre Bo Xilai‘) – droht nun der Abwurf. Der Punkt, an dem eine Umkehr allein möglich gewesen wäre, liegt für sie bereits weit zurück. Daher erscheint die Flucht nach vorn offen, d. h. die Zügel gänzlich loszulassen. So sehen es auch die westlichen Partner und Berater der Chinesen, die nur noch in weitreichenden ,Reformen‘, nämlich der vollkommenen Befreiung der chinesischen Marktwirtschaft von staatlichen Auflagen und Steuerungsversuchen die Möglichkeit sehen, das Land vor dem drohenden wirtschaftlichen und sozialen Kollaps zu bewahren.
Chinas 8,5 Billionen-Dollar-Volkswirtschaft (Jahreswirtschaftsleistung: USA fast 17 Billionen) wuchs im dritten Quartal 2013 um 7,8 % im Vergleich zum Vorjahr – staatlich verordnet war ein Minimum von 7,5 %. …
Investitionen in unsinnige Bauprojekte haben allein 2013 rund 56 % zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Versuche der Regierung im Jahr 2012, der Immobilienblase durch knapperes Geld die Kraft zu nehmen, wurden schnell aufgegeben. … Selbst China kann eine derartig wahnwitzige Entwicklung nicht beibehalten. Ein Absprung vom Rücken des Tigers ist indes genauso unmöglich geworden. Zur Wahl stehen sprichwörtlich Pest und Cholera. Daran werden auch die vom 3. ZK-Plenum beschlossenen marktwirtschaftlichen ,Reformen‘ wenig ändern.“
Wolfgang Pomrehn / Rainer Rupp (jW)
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