Worauf zielt die Neuverfilmung
von „Nackt unter Wölfen“?
Der Roman „Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz erschien 1958 in der DDR. Zu meiner Schulzeit war er Pflichtlektüre. Das hatte gute Gründe. Der ehemalige Buchenwaldhäftling und DDR-Autor erzählt die Geschichte von der Rettung eines dreijährigen jüdischen Kindes im faschistischen Konzentrationslager auf dem Ettersberg. Es wurde von kommunistischen Gefangenen verborgen.
Bruno Apitz, der acht Jahre in Buchenwald verbringen mußte, wußte genau, wovon er sprach und worüber er schrieb. Der Roman bewegte Menschen in aller Welt. Er wurde er in 30 Sprachen übersetzt. Nun produziert man unter Federführung des MDR einen Film mit dem gleichen Titel, der 2015 in der ARD gesendet werden soll. Allerdings nimmt man wichtige Szenen nicht an Originalschauplätzen, sondern im tschechischen Lesetice-Vojna auf.
Man könnte ja die Neuverfilmung begrüßen, da seit Jahrzehnten in Deutschland dieses Thema filmisch nicht mehr aufgegriffen wurde.
Bereits 1960 entstand unter der Regie von Gerhard Leopold das Fernsehspiel „Nackt unter Wölfen“ (u. a. mit Fred Delmare, Hans-Peter Minetti und Herbert Köfer). 1962 drehte die Defa einen gleichnamigen Film unter der Regie von Frank Beyer (u. a. mit Erwin Geschonneck, Armin Mueller-Stahl und Gerry Wolff).
Warum erfolgt also nun eine Neuinszenierung? Angeblich fließen in den Film der BRD neue wissenschaftliche Erkenntnisse ein. Wer die „Aufarbeitung“ der DDR-Geschichte erlebt hat, wird bei solchen Vokabeln mißtrauisch. Wie es heißt, solle das KZ „differenzierter dargestellt“ werden. Eine solche „Differenzierung“ ist mit Blick auf ein faschistisches Vernichtungslager schwer vorstellbar. Wie soll man Massenmord „facettenreicher“ schildern?
Drehbuchautor Stefan Kolditz meint: „Der heroische Akt der Selbstbefreiung kann so nicht mehr erzählt werden.“ Die Bewaffnung der Häftlinge, das Hissen der weißen Fahne und die Besetzung des Torgebäudes durch Gefangene hat offenbar nicht stattgefunden. Das läßt aufhorchen.
Nach 1990 gab es äußerst kontroverse Debatten um das Werk des Kommunisten Bruno Apitz. Notorische Antikommunisten bemängelten die „Heroisierung“ des Widerstandes von Kapos aus der KPD. Die Darstellung der Selbstbefreiung im April 1945 verfälsche die Geschichte, wurde behauptet. Wessen Geschichte? Die westliche Sicht auf diese?
In der BRD setzte die öffentliche Auseinandersetzung mit den faschistischen Konzentrationslagern in den 80er Jahren ein. Zuvor war davon kaum die Rede gewesen. Erst 1987 erschien das Buch „Das Menschengeschlecht“ von Robert Antelme im Westen. „Der Spiegel“ bemerkte: „Vierzig Jahre, seltsam lange hat es gedauert, dieses Buch ins Deutsche zu übertragen.“ Wußte man in der Redaktion wirklich nicht, daß der Titel in der DDR bereits 1949 auf deutsch gelesen werden konnte?
Selbst der Weimarer Historiker und Gedenkstättenleiter in Buchenwald und Mittelbau-Dora, Herr Knigge, steht der Neuverfilmung skeptisch gegenüber. Übrigens kannte Stefan Kolditz, wie man aus dem ND erfuhr, den defa-Film „Nackt unter Wölfen“ überhaupt nicht. Ein persönliches Versäumnis?
Der Termin für die Neuverfilmung ist insofern gut gewählt, als Zeitzeugen, die gegen eine Entstellung des Stoffes intervenieren könnten, immer rarer werden.
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