„Ich vertrat die Genossen des DDR-Außenministeriums
auf dem Sonderparteitag“ der SED/PDS im November 1989
Wortmeldung eines Delegierten
Euer Blatt ständig, teilweise mit kritischem Blick, manchmal auch nur flüchtig lesend, erlaube ich mir ein Wort zum Artikel „Der Putsch in der Dynamo-Halle“, der in der Dezember-Ausgabe veröffentlicht wurde. Als Nichthistoriker verzichte ich gern auf ein Mittun in Debatten, die jenen vorbehalten sein mögen, deren Kenntnisse in der Geschichte eines untergegangenen Staates umfassender sind als meine. Der genannte Beitrag veranlaßt mich aber als Teilnehmer des Außerordentlichen Parteitages der SED-PDS im Dezember 1989 zu einigen Bemerkungen.
Der Autor des Artikels bezeichnet das Ereignis aus heutiger Sicht als „Putschparteitag“. Vergessen sollte man bei der Bewertung dieses markanten politischen Vorgangs indes nicht, daß darüber nach einem gehörigen Zeitabstand leichter zu befinden ist als im Augenblick seines Stattfindens. Den Parteitag als „Türöffner“ für die „Konterrevolution“ in der DDR zu bezeichnen, halte ich für eine Behauptung, die der damaligen Situation in der DDR und der SED kaum gerecht wird. Fand er nicht in einem Augenblick statt, in dem sich deren politisches Ableben bereits recht deutlich abzeichnete? Erinnern wir uns nur einiger Daten des Herbstes 1989:
- Am 18. Oktober wird Erich Honecker „auf eigenen Wunsch“ von allen Ämtern entbunden. Egon Krenz tritt sein Amt als neuer Generalsekretär der SED an.
- Das alte Politbüro der SED demissioniert am 8. November. Es findet die Neuwahl eines verkleinerten Politbüros statt.
- Am Tag zuvor erklärt die Regierung der DDR geschlossen ihren Rücktritt. Die gleiche Entscheidung hatten die Vorsitzenden der CDU und der NDPD bereits getroffen.
- Die Öffnung der Grenzen zur BRD und zu Westberlin erfolgte, wie man heute zu wissen glaubt, infolge total unkontrollierter Handlungen Verantwortlicher in der Parteiführung und im zentralen Staatsapparat.
Ein stabiler, in sich gefestigter sozialistischer Staat sieht nach meinem Dafürhalten anders aus. War dieser Parteitag nicht bereits das Abbild einer sehr verworrenen politischen Lage?
Das Anliegen keineswegs weniger seiner Delegierten dürfte doch wohl gewesen sein, Wege für den Erhalt und eine Umgestaltung der DDR suchen zu helfen. Daß dabei auch andere Töne anklangen, deren Noten anders als so manche es wollten, komponiert wurden, dürfte Kenner historischer Vorgänge eigentlich nicht in Erstaunen versetzen. Es gab übrigens auch eine Geschichte von DDR und PDS nach dem Parteitag. Vergessen wir bitte nicht, daß nach besagtem Ereignis eine Modrow-Regierung bemüht war, die DDR innen- wie außenpolitisch in mancher Hinsicht neu zu prägen. Leider zu spät, wie sich erweisen sollte.
Doch zurück zum „Putschparteitag“. Dem neuen Statut der „neuen Partei“ mit den zitierten Passagen, u. a. über die SED-PDS als marxistische sozialistische Partei, aber auch anderen, konnte ich als überzeugter Marxist – und ich glaube, auch viele andere – damals durchaus zustimmen. Spätere Entwicklungen in der Partei fanden dann nicht mehr meine Zustimmung, und ich habe sie aus verschiedenen Gründen verlassen – damit eine politische Heimat, in der ich mich nicht selten kritisch, aber überzeugt vom großen Wert marxistisch-leninistischer Betrachtungen wie gewonnener Erkenntnisse bewegt habe. Bis heute stehe ich nicht an, meine Überzeugungen und meine Haltung zur DDR aufzugeben, die zu vertreten für mich nicht bloße Pflicht, sondern Sache der Überzeugung von Kopf und Herz war. Daß Kritik an so manchen Erscheinungsbildern des bislang einzigen deutschen sozialistischen Staates nicht falsch gewesen ist, hat auch mein Verhalten bestimmt, weshalb ich vielleicht als Delegierter meines Ministeriums zum Sonderparteitag gewählt wurde.
Eine Vielzahl von Veröffentlichungen hat sich inzwischen mit dem Untergang der DDR befaßt. Den ernstzunehmenden und von Sachkenntnis geprägten unter ihnen kann wohl entnommen werden, daß eine Menge schwerwiegender Gründe zu Erosion und Zusammenbruch nicht nur der DDR, sondern auch eines ganzen Systems sozialistischer Staaten geführt hat. Der gewichtigste unter ihnen verbirgt sich für mich in der Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft unter den Aspekten ihrer politischen, ökonomischen und sonstigen Ausrichtung. Die im Artikel benannte Auflösung der DDR war meines Erachtens von sehr komplexer Art, und es wäre einfältig, das zu übersehen.
Diesen Text schreibe ich auch mit dem Bemerken, daß es überzeugte Linke gibt, die es vorziehen, das, was sie zu sagen haben, auf andere, ihnen eigene Weise zu äußern, ohne unbedingt die Spalten des „RotFuchs“ zu bemühen, dessen Anliegen ich im übrigen schätze. Ich wünsche der Zeitschrift für ihr künftiges Wirken alles Gute.
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