Wie man in einer nichtrevolutionären Situation
die Kräfte bündeln sollte
Wortmeldung eines Kommunisten
Mit ihrem Artikel „Warum ich in der Linkspartei bleibe“ (RF, April 2015) wollte Dr. sc. Rosemarie Griese eine fruchtbare Diskussion zur Parteifrage anstoßen. Ihr Angebot nehme ich gerne an. Zunächst möchte ich meinen eigenen politischen Lebenslauf kurz schildern. 2008 kam ich aus der Türkei nach Berlin, um an der Potsdamer Universität ein Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaften sowie der Philosophie aufzunehmen. Einige Monate nach meiner Ankunft trat ich der PDL bei. Obwohl mir schon damals die wichtigsten Aussagen von Marx, Engels und Lenin zur Parteifrage bekannt waren, dachte ich, daß ich als Marxist-Leninist einen Beitrag in deren Rahmen leisten könnte. Ich wußte zwar auch einiges von der DKP, jedoch konnte man damals nicht absehen, wie der innerparteiliche Konflikt ausgehen würde. Es bestand ja die Möglichkeit, daß die DKP unter ihrer seinerzeitigen Führung zu einem bloßen Anhängsel der PDL mutieren könnte. Damals dachte ich: Lieber gleich beim Original mitmachen, als bei einer Kopie!
Während meiner vierjährigen PDL-Mitgliedschaft war ich in parteiinternen Strömungen und einem Bezirksvorstand aktiv. Ich habe auch zwei Praktika im Parteiapparat absolviert. Dabei nahm ich wahr, daß die Macht der „Reformer”-Fraktion vor allem auf ihrer Stärke innerhalb der Parteibürokratie beruht. Die vielen aufrichtigen Genossen, die zu ihr in Opposition stehen, werden sie indes wohl niemals wirklich bezwingen können. Ich mußte mit ansehen, wie eine kleine Clique an der Spitze der Partei einen immer rechteren Kurs einschlug, ungeachtet vieler Proteste aus den Reihen der Basis-Genossen.
Inzwischen hatten sich innerhalb der DKP neue Entwicklungen vollzogen. Die „Reformer“-Fraktion um Leo Mayer und andere wurde auf dem 20. Parteitag mehrheitlich abgewählt. 2012 faßte ich daraufhin den Entschluß, von der PDL zur DKP zu wechseln. Rückblickend stelle ich fest, daß die weitere Entwicklung der PDL zu einer Partei, die – im klassischen Sinne – kaum noch als sozialdemokratisch bezeichnet werden kann, immer mehr vom Sozialismus wegführt, während sich auf der anderen Seite eine allmähliche Stärkung der DKP vollzieht. Ich schließe daraus auf die Richtigkeit meiner seinerzeitigen Entscheidung.
Dr. sc. Griese vertritt die Auffassung, ein Systemwechsel sei derzeit aus objektiven und subjektiven Gründen nicht möglich, ja, es werde überhaupt keine klassischen Revolutionen mehr geben. Dem folgt die Feststellung, daß in den 70er Jahren die Frage friedlicher, parlamentarischer Übergänge im Kreis der kommunistischen Parteien erörtert worden sei. Als Grundlage dafür habe man die chilenischen Erfahrungen betrachtet.
Einerseits trifft es zu, daß wir in Deutschland weder eine revolutionäre noch eine vorrevolutionäre Situation haben. Andererseits aber sehen wir, daß der Kapitalismus seit nunmehr fast zehn Jahren von einer Krise zur nächsten taumelt und immer neue militärische Konflikte vom Zaun bricht. Ein kurzer Blick in eine beliebige Tageszeitung genügt, um zu der Feststellung zu gelangen, daß sich die nationalen und internationalen Widersprüche des Kapitalismus enorm verschärfen. In einer Reihe südeuropäischer Länder könnten in nicht allzu ferner Zukunft revolutionäre Kräfte einen solchen Aufschwung erfahren, daß der Kapitalismus seine Konflikte nicht mehr auf die alte Art zu lösen vermag.
Der Widerstand verstärkt sich auch qualitativ. Streiks, die den Lebensnerv der Kapitalisten und ihres Staates treffen, finden immer häufiger statt. Gewerkschaften wie ver.di zeigen wieder erhöhte Kampfbereitschaft. Die Herrschenden greifen deshalb zu noch drastischeren Mitteln, um berechtigtem Protest zu begegnen und aufmüpfige Gewerkschaften an die Kette zu legen.
Früher oder später dürfte das Faß – man denke nur an Griechenland, Spanien und Portugal – überlaufen. Das ist keine Hellseherei, sondern beruht auf einer marxistischen Analyse der realen Situation. Angesichts der Verzahnung der Länder untereinander dürfte sich – aus meiner Sicht – eine künftige revolutionäre Situation vermutlich kaum auf ein Land beschränken. Wenn wir jetzt der Losung folgen würden, „Es wird sowieso keine Revolution mehr geben, unterstützt lieber eine Politik der kleinen Schritte!“, dann wären wir auf mögliche scharfe Wendungen ungenügend vorbereitet.
Dr. sc. Griese verweist auf im Revolutionsfalle sofort wirksam werdende Bündnismechanismen der NATO. Derartige Situationen gab es in anderer Form und unter kaum vergleichbaren historischen Bedingungen allerdings auch früher. Man denke nur an die Intervention von 14 kapitalistischen Staaten nach der russischen Oktoberrevolution. Hätte Lenin damals gesagt: Verzichten wir doch lieber auf das Risiko der Revolution, weil dann die Bündnismechanismen der imperialistischen Mächte in Kraft treten, wäre es schon damals mit dem Sozialismus in Rußland vorbei gewesen.
Sollen – um ein Beispiel anzuführen – die Fortschrittskräfte Venezuelas etwa den revolutionären Prozeß in ihrem Land deshalb abbrechen, weil Washington mit einer militärischen Intervention droht? Diese Gefahr besteht doch immer und sollte kein Grund zur Kapitulation sein. Dr. sc. Griese erwähnt das chilenische Beispiel, welches – genauer betrachtet – doch wohl eher gegen die Möglichkeit friedlicher Übergänge zum Sozialismus im Zeitalter des Imperialismus spricht. Salvador Allende, der solchen Illusionen anhing, ist von den wahren Machthabern im eigenen Land unter Regie der USA zu Fall gebracht worden. Das chilenische Beispiel bestätigt daher die Lehren der Pariser Kommune und der Oktoberrevolution: Die Arbeiterklasse muß den bürgerlichen Staat zerschlagen und ihre eigenen revolutionären Machtorgane schaffen! Um die Arbeiter und andere Werktätige in den Kampf zu führen, bedarf es nach wie vor einer klassenkämpferischen Partei. Wenn die PDL sich perspektivisch in die Reihen der Parteien des bürgerlichen Blocks einordnen möchte, dann ist das ihre Sache. Doch Marxisten innerhalb der PDL sollten aus der sich entwickelnden Situation die richtigen Schlüsse ziehen. Ich betrachte die DKP als jene Kraft, welche bei weiterer Konsolidierung und fortschreitender Überwindung innerparteilicher Schwierigkeiten, eine wichtige Rolle im Kampf für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen in der BRD spielen könnte.
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