Warum man die Empörten nicht alle über einen Kamm
scheren sollte
Wortmeldung eines Schweriner Verlegers
Zunächst störte mich an den umstrittenen PEGIDA-„Spaziergängen“ nur der sonderbare Name, den sich diese Bewegung gab – holprig wie ein Landweg. Sie trifft den Kern der Proteste in keiner Weise. Daß sich auch Nazis daruntermischten, hielt ich anfangs lediglich für lästig – schlimm genug, daß es überhaupt welche gibt, dachte ich. Wissen jene oftmals selbst Irregeführten, die sich so nennen, überhaupt, welche Lumpenhunde sie zu sein vorgeben? Viele von ihnen würden vor sich selbst Reißaus nehmen, hätten sie auch nur eine blasse Ahnung davon, welche barbarischen Taten ihre derzeit noch verbrämten Idole eines Tages von ihnen verlangen könnten. Die skrupellosen Faschisten hingegen – jene, welche vorgeben, sie wollten die „weiße Rasse reinhalten“ – sollten wir davon unterscheiden. Gleichzeitig sollten wir die Gesellschaft – also uns alle – fragen, warum sich Menschen eine solche Gesinnung aneignen, die in einem neuen Auschwitz kulminieren könnte.
Doch was treibt die Mehrheit derer, die es zu PEGIDA oder ähnlichen Gruppierungen auf die Straße drängt, dorthin? Solange keine objektive Bestandsaufnahme über den Zustand der BRD in Ost und West zugelassen wird, entwickelt sich alles nur noch schlimmer, unberechenbarer und haltloser.
Spätestens damals, als man nach der sogenannten Wende den Osten unter fadenscheinigen Vorwänden deindustrialisierte und gezielt plattmachte, war glasklar, daß dort auf alle Ewigkeit die ärmeren Deutschen leben würden. Wo keine echte Wertschätzung erfolgt, sondern wohin lediglich ein Mindestmaß an Überlebensmitteln transferiert und planmäßig sozialer Bodensatz geschaffen wird, entsteht auf Dauer dumpfer Untergrund und gärendes Brodeln unter dem Deckel.
Die meisten Menschen, die zu DDR-Zeiten unterschiedliche Erfahrungen gesammelt hatten, befleißigten sich einst des aufrechten Ganges. Diese Haltung lassen sie sich auch heute nicht durch ständige Diffamierungen, Hetz- und Schmähreden austreiben. Im Gegenteil: Der Stolz auf ihr damaliges Leben wächst in dem Maße, in dem sie armgespeist und als Mittellose gedemütigt werden. Wer dies nicht sehen will, weil es ihm in Beamtenstuben und Politikerpalästen an jedweder Nähe zur Not der Menschen mangelt, sollte sich nicht wundern, wenn sich aus jenem dumpfen und fragwürdigen Untergrund Widerstände emporwinden. Wer den Leuten im eigenen Land die Heimat nimmt, darf nicht überrascht sein, wenn einige meinen, sie müßten nun ihrerseits von auswärts Hinzugekommenen das Leben hier streitig machen. Wer die wahren Gründe des Unmuts außer Betracht läßt und ohne echte innere Teilnahme leere Sprüche klopft, zerstört die Gesellschaft. Auf solche Leute zu hören, werden wir täglich von ebenso „unabhängigen“ wie kapitalhörigen Medien animiert. Aber genau sie sind die falschen Ratgeber. Um es ganz deutlich zu sagen: Das politische Establishment der BRD ist weder willens noch in der Lage, die gesellschaftliche Kluft in Deutschland zu überbrücken. Es wird allein vom globalisierten Kapitalismus getragen, der sich jedes, auch des infamsten Mittels bedient, um seine Existenz, nämlich die fortwährende Anwesenheit von Profit, zu sichern. Eine seiner Methoden ist die Isolierung des Individuums, der lange angezettelte Krieg jeder gegen jeden. Das Motto lautet: Einer ist des anderen Wolf. Das führt zu völliger Entsolidarisierung: Die so zur Wehrlosigkeit Verurteilten aber nimmt man aus wie eine Weihnachtsgans.
In einem Gespräch der „jungen Welt“ mit Ayse Demir wurde die Vorstandssprecherin des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg gefragt: „Es heißt aber auch, die rege Teilnahme an derartigen Aufzügen sei ein Ventil für Leute, die unter Niedriglöhnen, Arbeitslosigkeit oder Armut leiden. Wenn es so wäre, hätten Sie Verständnis dafür?“ Frau Demir antwortete: „Nein, erstens sind von prekären Arbeitsbedingungen in erster Linie auch Migranten betroffen. Zweitens: Für die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage vieler Menschen hierzulande sind nicht wir verantwortlich.“
Diese Auskunft kann mich nicht befriedigen. Unsere Haltung muß in dieser Frage sein: Es ist uns nicht egal, wie es Deutschen und Migranten geht.
Hierin sehe ich das Hauptproblem, das bewußt und mit großem Aufwand von den im Sinne des Kapitals Regierenden verschleiert wird. Ihre Strategie, durch Kriege und Verarmung anderer Völker Zuwandererströme aus vielen Ländern und von Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften sowie daraus resultierende Parallelgesellschaften entstehen zu lassen, wird scheitern, wenn nicht der Wille vorhanden ist, aus allen Bewohnern der BRD eine homogene Gesellschaft zu formieren. Der kapitalistische Staat hat überhaupt kein Interesse daran. Er diskreditiert all jene, welche zu erkennen beginnen, wie sie mißbraucht, benutzt, ausgestoßen, beraubt und entsorgt werden. Jetzt regt sich ein Teil von ihnen und greift in die geheiligte Hackordnung ein. Besonders aufreizend ist der von den Medien des Kapitals zum Unwort des Jahres erklärte Begriff „Lügenpresse“, weil doch gerade Leute wie der sichtlich beleidigte Herr Kleber vom ZDF-„heute-journal“ unablässig die Vorstellung verbreiten, nichts anderes als die Wahrheit zu verkünden. In Wirklichkeit manipulieren uns Leute dieses Schlages und lachen sich dabei noch ins Fäustchen.
Solange der Kapitalismus sich frei bewegen kann, können wir wählen, wen immer wir wollen, ohne etwas am Wesen der Dinge zu ändern. Siegen werden unter solchen Bedingungen stets jene, welche im Auftrag des Kapitals regieren und die Medien beherrschen. Wollen wir es anders, müssen wir die Vereinzelung aufgeben und uns verbünden. Aber mit wem? Und mit wem nicht?
Ich kenne keinen einzigen Teilnehmer der PEGIDA-„Spaziergänge“ persönlich. Doch zunächst schien mir diese protestierende Masse sympathisch zu sein. Daß sich überhaupt Menschen trauten, endlich gegen die verlogene Politik der Machtausübenden aufzutreten, stimmte mich zunächst hoffnungsvoll. Doch seitdem ich in Schwerin den Chef der NPD-Landtagsfraktion Udo Pastörs unter den an der Siegessäule versammelten „Patrioten Europas“ gewahrte, weiß ich um die Gefahr, die von PEGIDA ausgeht.
Unser Autor betreibt den Wieden-Verlag und ist durch seine auch im RF vorgestellte Schweriner „Schaufensterzeitung“ vielen Menschen ein Begriff.
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