„Charlie Hebdo“ war auch das Blatt Wolinskis und Charbs
Würdigung zweier Weggefährten
Zwei der Anfang Januar in Paris ermordeten Zeichner des buchstäblich über Nacht in das Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit geratenen Satiremagazins „Charlie Hebdo“ waren eng mit der französischen Linken verbunden. Darüber berichtete das belgische PTB-Monatsmagazin „Solidaire“ in seiner März-Ausgabe.
Am 7. Januar – dem Tag seines gewaltsamen Todes – ging eine letzte Arbeit von Charb, dem Chefredakteur des überfallenen Blattes – in Druck. Sie war nicht für „Charlie Hebdo“ bestimmt, sondern erschien tags darauf in der „l’Humanité Dimanche“, die eine ständige Rubrik „Charbs Woche“ eingerichtet hatte. Ein jammervoll bekleideter Obdachloser – in Frankreich als SDF – bezeichnet – sitzt auf dem Trottoir und vernimmt aus seinem Schrottradio: „Die Kälte hat wieder einen SDF getötet.“ Wutentbrannt entzischt es ihm: „Es ist nicht die Kälte, die tötet! Es sind die Obdachlosigkeit und das Fehlen sozialer Politik!“ Ein Bourgeois, die Zigarre im Mundwinkel, geht vorbei und wirft ihm statt einer Münze die Worte zu: „Passen Sie auf! Wut verbrennt Kalorien … Sie werden den Winter nicht überleben.“
Charbs letzte Karikaturenreihe erschien also in der einst durch den später gleichfalls ermordeten Sozialistenführer Jean Jaurés begründeten „Humanité“. Auch wenn dieses Blatt heute nicht mehr das politische Flaire der alten „Huma“ aus den Tagen einer von Maurice Thorez, Jacques Duclos und Marcel Cachin geführten grandiosen FKP besitzt – es ist noch immer eine vielbeachtete linke Publikation.
Da versteht es sich von selbst, daß die Medien der Bourgeoisie und die aus aller kapitalistischen Herren Länder angereisten illustren „Trauergäste“ – von Netanjahu über Poroschenko bis zu Merkel – diese letzte Wortmeldung des genialen Zeichners ganz und gar unbeachtet gelassen haben.
Georges Wolinski, der ebenfalls am 7. Januar in den Räumen von „Charlie Hebdo“ ermordet wurde, war ein nicht minder renommierter Weggefährte der „Humanité“ aus Zeiten, in denen dieses Blatt noch direkt mit der FKP verbunden war. Er löste gewissermaßen die Generation der unmittelbar aus den Kampfreihen der Résistance gekommenen Generation von Grafikern und Karikaturisten des Blattes ab. 1977 vollzog sich im Bündnis, das damals die von Georges Marchais, François Mitterrand und Robert Fabre geführten Kommunisten, Sozialisten und Radikalen Linken geschlossen hatten, ein Bruch. Der Konflikt wurde durch unterschiedliche Interpretationen des 1972 durch die Führer der drei Parteien unterzeichneten Gemeinsamen Programms ausgelöst. Auch Wolinski beteiligte sich mit seinen Mitteln an der hitzigen Debatte. Er zeichnete ein Bett, auf das es heruntertropfte und erfand dazu folgenden Dialog: „Es regnet auf mein Bett. Folgt man den Kommunisten, dann müßte man das Dach reparieren.“ „Aber nein! Hört lieber auf die Sozialistische Partei! Es genügt, das Bett zu verschieben!“
Wolinski, der nach dem Ende der alten „Huma“ seine Arbeiten auch in so auflagenstarken Blättern wie „Paris-Match“ und „Le Journal du Dimanche“ veröffentlichte, vergaß dabei nie seine Freunde von einst. Auf jedem „Huma“-Pressefest in La Courneuve sah man ihn und konnte am Stand von „Cuba Sí“ auch mal ein Gläschen mit ihm leeren.
Die linken Freunde von Wolinski und Charb hielten den beiden Karikaturisten bis zuletzt die Treue. In Pontoise, wo Charb bestattet wurde, erklang nach der Marseillaise die von vielen mitgesungene Internationale.
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