Zensur in der Alt-BRD
Die Stunde Null – 1945. Das 3. Reich hatte auf seiner Höllenfahrt Gestapo, Wehrmacht, Wirtschaft und Kultur mitgerissen und mich, in Abwesenheit, noch rasch zum Tode verurteilt.
Mit der Niederlage der Nazis, meinte ich, würde alles anders werden. Das Volk wird sein Schicksal selber bestimmen. Wir werden hungern müssen, für Wiedergutmachung schuften, aber frei unsere Meinung äußern, in echter Demokratie des Volkes, ohne Kapitalisten. Selbst unter fremder Besatzung bekam ich die Lizenz für einen Verlag. Aber der Publications Officer meinte schon bald, in der literarischen Revue seien zu viel Russen und Kommunisten vertreten.
Es kam in der Tat anders. Langsam rückten alle wieder in ihre alten Positionen: die Juristen, die Unternehmer und die Polizisten ... Die Währungsreform machte mit vielen Illusionen radikal Schluß, weitgehend auch schon mit der deutschen Einheit. Eine verlogene Moral überdeckte die Wiederherstellung der alten wirtschaftlichen Mächte.
Ost-West-Konflikt – aber „ohne mich“, meinte ich. Es ging mir um die Gemeinsamkeit unserer Kultur. Deshalb wurde ich einer der Mitbegründer des Deutschen Kulturbundes. Unsere Auffassung war, daß die in Ostdeutschland nicht allein den Krieg verloren hätten. Damit geriet man aber sofort in Gegensatz zu den Leuten um Adenauer. So hatte ich bald Gelegenheit, Männern vor der Haustür Kaffee und Zigaretten zu reichen, die mich dort im Auftrag von Geheimdiensten observierten. Das Telefon wurde überwacht, und schon bekam ich auch keinen Interzonenpaß mehr. Das Wort „Frieden“ war Synonym für Kommunisten geworden, und wer nicht „SBZ“ sagte, war ein Aufrührer.
Plakat: Guido Zingert
Endgültig als „Kommunist“, „Fellowtraveller“ und „Agent“ aber hatte ich mich entlarvt, als ich 1950 Schriftsteller aus Ost und West zu einem Gespräch nach Starnberg einlud. Über 300 waren erschienen. Die Presse war nicht zugelassen, weil viele sich sonst gefürchtet hätten, frei zu reden. Das Aufsehen war um so größer. „Schriftsteller in den Katakomben“ war eine bezeichnende Überschrift, und die Zeitung der Amerikaner nannte mich einen bezahlten Sowjet-Agenten. Der Beschluß, gemeinsam das Buch „Wir heißen euch hoffen“ herauszugeben, ging vollends zu weit. Die Schriftsteller wurden in ihre Schranken verwiesen: sie hätten mit Politik nichts zu tun. Die Autoren wurden unter Druck gesetzt, keine Beiträge für das Buch zu geben. Als es dennoch erschien, hielt der Terror an.
Mir schien, gerade die Schriftsteller seien aufgerufen, für das Volk zu sprechen und ganz besonders in dieser Situation. Das 3. Reich hatte das Volk Schweigen und Gehorsam gelehrt. Das neue Regime, das soeben die allgemeine Wehrpflicht wieder einführte, hätte es wohl gerne dabei belassen. So wurde das nächste Buch: „Worte wider Waffen“ zu einem besonderen Ärgernis.
Als ich einen Reisepaß beantragte, wurde mir dieser versagt, weil ich lt. § 7a – so die Begründung – „die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik“ gefährde. Da hieß es: „… hat an einer Tagung des Deutschen Kulturbundes teilgenommen“; hat den sowjetzonalen Aufruf zum Frieden unterzeichnet“; „gehört zu dem Personenkreis, mit dem Mitglieder der nationaldemokratischen Ostpartei in Briefwechsel treten sollen“.
Um einen praktischen Beitrag für Frieden, Verständigung und Wiedergewinnung einer einheitlichen deutschen Kultur und Nation zu leisten, begann ich mit dem Interzonenhandel: Ich importierte Bücher aus der DDR und vertrieb sie in der Bundesrepublik.
Nun trat der Staatsanwalt auf den Plan. Die Einfuhr von Kinderbüchern wurde gleich grundsätzlich verboten, und alle Sendungen aus der DDR mußten seiner Behörde vorgeführt werden.
Die Strafkammer des Landgerichts München bescheinigte mir, daß ich „hinreichend verdächtig“ sei, „Bücher eingeführt zu haben, die zur Unterdrückung der demokratischen Freiheit dienten“. Aber Ludwig Renns Spanienbuch mußte schließlich freigegeben werden. Doch dieser Engels hatte 1845 einen Text zur Unterwühlung der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FdGO) geschrieben: „Grundsätze des Kommunismus“. Das Buch kam mit den Titeln von Franz Mehring in den staatsanwaltschaftlichen Reißwolf.
Inzwischen war die KPD verboten worden. So war wohl klar, was mit Büchern wie Otto Gotsches „Märzstürme“ oder Larissa Reisners „Hamburg auf den Barrikaden“, die man bei einer Haussuchung fand, geschah: Sie wurden allesamt geschreddert. Das Gericht konstatierte: „Diese Bücher (aus den 20er und 30er Jahren – W. W.) gehören zur sogenannten Bürgerkriegsliteratur, deren sich die illegale KPD bedient, um die arbeitende Bevölkerung auf den mehr oder weniger gewaltsamen Sturz der kapitalistischen Gesellschaft ideologisch vorzubereiten.“
Von besonderer Gefahr für die FdGO erschien dem Staatsanwalt Alexander Abuschs „Irrweg einer Nation“. Der Titel diente als Anlaß eines Prozesses, wohl weil der Verfasser Minister in der DDR geworden war. Das Gericht zitierte in seinem Beschluß Abuschs Nachwort. Dort heißt es: „Es ist und bleibt dort die Aufgabe des Volkes, die historisch notwendige demokratische Reform der Gesellschaft an Haupt und Gliedern nachzuholen.“ Das Gericht zog daraus den Schluß, das sei „die Aufforderung zur Beseitigung aller Verfassungsgrundsätze und zur Unterdrückung der demokratischen Freiheit“.
Hinter solchem Schwulst wurde deutlich, warum der Justiz gerade dieses Buch so gefährlich erschien. Abusch hatte geschrieben: „14 Generäle, die einst an Hitlers Seite paradierten, jetzt Generäle der Bundeswehr, tausend Richter und Juristen, die zu Hitlers Zeiten die Antifaschisten auf das Schafott schickten, nun in bundesrepublikanischer Würde.“ Als Klaus Gysi, der spätere Kulturminister der DDR, damals Leiter des Aufbau-Verlages, als Zeuge vernommen werden sollte, beabsichtigte der Staatsanwalt, ihn gleich im Saal verhaften lassen, um nachher, etwas kleinlaut, darauf zu verzichten.
Die FdGO der BRD wurde also schon damals gefährdet: durch Bücher aus den Jahren 1845 bis 1933, durch die „Spalterflagge“, durch die drei Buchstaben DDR … Ich habe die Folgen als Verleger erlebt, andere erfuhren sie als Autoren, als Buchhändler oder als Käufer.
Redaktionell leicht bearbeitet aus: „kürbiskern. Literatur, Kritik, Klassenkampf“. 2/1976
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