Zum Ausgang der Wahlen in Venezuela
Das dem politischen Vermächtnis von Hugo Chávez folgende Linksbündnis Großer Patriotischer Pol, zu dem sich die Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV), die KP Venezuelas (PCV) und weitere linke Kräfte zusammengeschlossen haben, kam bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 6. Dezember auf 5,6 Millionen Stimmen (38,9 %). Der Pol gilt nach allgemeiner Darstellung als der große Verlierer, obwohl er rund 175 000 Stimmen dazugewonnen hat. Der Erfolg des Rechtsblocks „Tisch der Demokratischen Einheit“ (MUD), der die Unterstützung von 7,7 Millionen Wählern (53,6 %) erhielt, ist vor allem dem Umstand zuzuschreiben, daß es ihm aufgrund der gezielt verschlechterten Versorgungslage und unter Ausnutzung anderer Defizite gelang, bisherige Nichtwähler in großer Zahl für den Urnengang zu mobilisieren. Sein Zuwachs betrug 2 387 000 Stimmen. Zur erheblichen Beeinträchtigung des sozialen Lebens in Venezuela trug neben dem Boykott und der Sabotage bestimmter in- und ausländischer Handelsketten auch der vor allem gegen Venezuela und Rußland gerichtete jahrelange Absturz der Erdölpreise maßgeblich bei. Dadurch verlor Lateinamerikas führender Petrol-Produzent allein 2015 etwa 68 % seiner Außenhandelseinnahmen.
Spontane Kundgebung beim Präsidentenpalast nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses. Maduro erklärte dort: „Es handelt sich nicht um einen Sieg der Opposition, sondern um einen der Konterrevolution.“
Jetzt stellt der Rechtsblock in der Nationalversammlung eine deutliche Majorität der Abgeordneten, besitzt aber keine ihm weitreichende Möglichkeiten einräumende Zweidrittelmehrheit. Natürlich zielt er, zu dessen Spitzenkandidaten auch der sattsam bekannte Capriles gehörte, der vor seinem Einstieg in die große Politik etliche Jahre bei der USA-Botschaft in Caracas tätig war und als CIA-nah gilt, vor allem auf eines ab: Es will Präsident Maduro so schnell wie möglich aus dem Sattel stoßen. Venezuelas Bolivarische Verfassung von 1999 sieht vor, daß sich ein Präsident in der Mitte seiner Amtszeit – das wäre bei Maduro im Sommer 2016 – einem Referendum stellen muß. Bis dahin will die Reaktion ihren zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Rädelsführer Leopoldo Lopez freibekommen, um ihn gegen Maduro antreten zu lassen. Bei Lopez handelt es sich um einen eloquenten Hardliner, der bereits seit Jahren darauf hinarbeitet, die unter Chávez beschlossene Konstitution wegzufegen. Die Mehrheit der Venezolaner würde ihn – käme es dazu – wohl kaum wegen seiner politischen und ideologischen Inhalte wählen, über die im Lande nahezu nichts bekannt ist, da die Rechte es stets vermieden hat, ihre Karten im leider erfolgreichen Wirtschaftskrieg gegen die Regierung aufzudecken. Parolen wie das Land stehe am Abgrund, es sehe sich der größten Krise seiner Geschichte gegenüber und „Wandel“ tue not, waren wohl das einzige, was man diesbezüglich von ihm zu hören bekam. Dabei leisteten die Medien, die auch nach 17 Jahren Linksregierung noch immer zu etwa 60 % in Privathand sind und unablässig ihre Schreckensbilder von der „sozialistischen Mangelwirtschaft“ verbreiten, ganze Arbeit. Sie unterschlugen indes jegliche Berichte über die von der Nationalgarde ausgehobenen reichlich gefüllten Lagerhallen von Spekulanten und Saboteuren.
Man sollte nicht so optimistisch sein anzunehmen, daß die von Präsident Maduro angekündigte Verteidigung der Ergebnisse des Umwandlungsprozesses von allen bisherigen Anhängern der PSUV tatsächlich entschlossen geführt werden dürfte. Wer diesen Prozeß die letzten 17 Jahre mit Sympathie und Anteilnahme für die Fortschrittskräfte verfolgt hat, besitzt ein durchaus differenziertes Bild von den Positionen und dem Wirken unterschiedlicher Sektoren innerhalb der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas. Bis heute gebricht es ihr an klaren ideologischen Konturen. In ihren Reihen finden sich neben aufrechten Verteidigern sozialistischer Ziele auch klassische Karriere-Sozialdemokraten und ultralinke Abenteurer. In der PSUV-Führung wird die marxistische Weltanschauung nicht von allen geteilt. Auch Hugo Chávez widersprach zumindest nicht der Auffassung eines in Mexiko lebenden und Einfluß auf ihn ausübenden deutschen Professors, daß der Marxismus-Leninismus eine Ideologie des 20. Jahrhunderts sei. Damit wurden wichtige Erfahrungen Kubas, zu dem Chávez wie Maduro stets ein enges Freundschaftsverhältnis unterhielten, nicht genutzt.
Die KP Venezuelas hat wiederholt darauf hingewiesen, daß der Klassenkampf gegen die Reaktion nicht mit der notwendigen Konsequenz geführt worden sei. So habe man den verbal angestrebten sozialistischen Aufbau in der Praxis kaum voranbringen können. Hier wurden nur wenige erfolgreiche Vorstöße zur Verwirklichung der in der Bolivarischen Verfassung formulierten Positionen unternommen. Die führende Rolle der PSUV war eher plakativ und auf Proklamationen gerichtet. Präsident Maduro verkündete am 18. November 2014 im Fernsehen den Beginn der „dritten und letzten Phase des Übergangs zum Sozialismus“. Staatlich finanzierte Volksräte sollten in den Kleinkommunen geschaffen werden. Diese waren dann, wie sich herausstellte, lediglich für Versorgung und Produktion zuständig – zweifellos wichtige Aufgaben, um dem allgemeinen Mangel entgegenzuwirken. Es handelte sich dabei aber nicht um neue Machtorgane. Inzwischen verlautete aus Caracas, man wolle das Projekt der Volksräte unbedingt wieder aufgreifen.
Würden sich Wendehälse und Karrieristen unter den Anhängern der PSUV fortan neu orientieren, käme dies sicher einer wirklichen Stabilisierung dieser bedeutenden linken Sammlungspartei zugute.
Von großem Gewicht wird die Frage sein, ob und in welchem Grade es gelingt, die ärmeren Schichten des Volkes für die aktive Verteidigung des in den letzten 17 Jahren Errungenen zu mobilisieren. Dabei dürfte die Tatsache zu Buche schlagen, daß Venezuela trotz des empfindlichen Rückgangs seiner Außenhandelseinnahmen auch weiterhin 42 % der im Budget 2016 vorgesehenen Ausgaben für Erziehung und Wissenschaft, Gesundheitswesen, den zügigen Fortgang des Baus von Sozialwohnungen und andere gemeinnützige Zwecke vorgesehen hat.
Mit dem „Großen Kongreß des Heimatlandes“, den Venezuelas linke und demokratische Kräfte am 15. Januar abhielten, wurde der auf Sieg setzenden Reaktion eine Kampfansage erteilt.
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