RotFuchs 214 – November 2015

Ein weltmachtbessenes Imperium deckt seine Karten auf

Zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA

Oberst a. D. Dr. hc. Gerhard Giese

Im Februar 2015 wurde die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA fast unbemerkt von den Mainstream-Medien verkündet. Dabei handelt es sich um eine Aufzählung von Wunschvorstellungen und Absichten des Präsidenten, des Außen­ministeriums, des Pentagons und anderer Machtzentren der Vereinigten Staaten, von denen die vermeintlichen Bedrohungen der Sicherheit der USA und die Prinzipien des Schutzes der nationalen Interessen im In- und Ausland behandelt werden. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Behauptung der Weltführerschaft Washingtons. Diese US-Strategie wird zur Aufbesserung des durch die verheerenden Kriege und blutigen „Revolutionen“ untergrabenen Images des Landes, aber auch zur Abrichtung der Medien genutzt. Neben der angeführten gibt es eine neue Nationale Militärstrategie der USA (vom Juli 2015) und eine US-Nuklearstrategie in Überarbeitung, die als Umsetzung und Untersetzung der generellen Strategie zu verstehen sind.

Zbigniew Brzezinski
gehört seit Jahrzehnten
zu den strategischen Hauptplanern in Washington.

Alle diese Strategien der USA stellen Antworten auf die Doktrinen bzw. Strategien Rußlands und Chinas dar, die ihrerseits auf den von den USA proklamierten unilate­ralen Weltherrschaftsanspruch reagierten. Die Formulierungen in den US-Strategien sind oftmals oberflächlich, irreführend und sogar falsch, selbstüberschätzend und bisweilen ideologisch überfrachtet. Nicht selten werden Phantasieziele formuliert, wie z.B. „die Demokratisierung des Nahen Ostens“, „die Vernichtung des Terroris­mus“ u.a. Bei der Bewertung sämtlicher US-Strategien sind Freund wie Feind gut beraten, alle Formulierungen unbedingt zu hinterfragen. Die von den USA bisher präsentierten Kriegslügen und andere Erfindungen sowie mediales Aufbauschen und Täuschungs­manöver sollten Mahnung genug sein.

Folgende aktuelle Schlüsseltendenzen globaler Art wurden der Ausarbeitung der Strategie zugrunde gelegt:

  • Die gravierende Veränderung des Kräfteverhältnisses zwischen den Groß­mächten, was zu einer intensiven Beobachtung der G 20 durch die USA führt;
  • die Zunahme der Schwäche und Instabilität in Europa, Asien und im Nahen Osten, deren Ursachen uneffektive Regierungen und wachsende Ansprüche der Men­schen sein sollen;
  • das Anwachsen der wechselseitigen ökonomischen, technologischen und politi­schen Abhängigkeiten in der heutigen Welt, die einerseits das ökonomische Wachstum befördern, andererseits aber die Staaten den verschiedensten Bedrohungen aussetzen;
  • die Zunahme der Instabilität im Nahen Osten, hervorgerufen durch den Überfall auf Irak und die Varianten des „Arabischen Frühlings“ in maßgeblicher Regie der USA, die langfristig als die Quelle für Bedrohungen wie islamistischer Radika­lismus, Konflikte und Kriege, einschließlich Bürgerkriege, angesehen werden;
  • die dynamische Veränderung auf dem Welt-Energie-Markt, bei der die USA die Führung der Erdöl- und Erdgaserzeugung durch ihre zeitweisen Fracking-Erfolge übernahmen, ohne den Einfluß auf die Preisbildung verlieren zu wollen, um die Energiefrage zur politischen Einflußnahme zu nutzen; dafür wird Rußland durch den Westen gemaßregelt. 

Als Begründung der Sicherheitsstrategie Washingtons und zur Aufzählung der akuten Bedrohungen dient die folgende Formulierung des US-Präsidenten: „Ein hartnäckiger Extremismus und die stärker werdenden terroristischen Bedrohungen schaffen hand­feste Risiken für Überfälle auf die USA und unsere Verbündeten;  als Bedrohungen der globalen Sicherheit betrachten wir Cyberattacken, die Aggressionen Rußlands (Dieser Begriff taucht in dem Dokument dreizehnmal auf.) und des IS, die sich beschleunigenden Klimaveränderungen und plötzlich auftretende Infektions­krankheiten.“

Gott segne Amerika!

Hier sollte die Frage berechtigt sein, ob denn die Kriege, die verschiedenfarbigen „Revolutionen“, die Sanktionen und die Osterweiterung der NATO nicht Ausdruck gerade der Aggressivität der USA, ihrer Verbündeten, Partner und Willigen sind.

„Wir haben unsere Allianzen“, so Präsident Obama weiter, „vor allem in Europa und in Asien erneuert. Als Gespann mit unseren europäischen Partnern handelnd, realisieren wir, bei Bedrohung unserer Kerninteressen, verlustbringende Sanktionen gegen Rußland, … um das Land von weiteren Aggressionen abzuhalten.“

Wer hat den USA dazu das Recht erteilt? Etwa die UNO?

Barack Obama unterstrich, daß die Ressourcen der USA trotz begrenzter finanzieller Mittel fortan auf Asien und den Pazifikraum, auf den Nahen Osten und auf die Ent­wicklung von konventionellen Präzisionswaffen sowie Kernwaffen einer neuen Generation konzentriert werden sollen. „Mit Indien wollen wir das vorhandene Potential gemeinsam heben. Der Maßstab unserer Zusammenarbeit mit China ist unvergleichbar, jedoch gibt es Vorbehalte Amerikas gegenüber der Modernisierung der chinesischen Armee.“

Ich könnte mir vorstellen, daß es den USA in Wirklichkeit darum geht, China und Indien von einer selbstbestimmten Entwicklung (z. B. innerhalb der BRICS-Staaten) abzubringen und an ihre Kette zu legen.

Obama ging auch auf Kuba ein. Originaltext: „Wir fühlen uns der Weiterverbreitung der Demokratie, der Durchsetzung der Menschenrechte, der Schaffung neuer Koali­tionen gegen die Korruption und der Unterstützung offener Regierungen und Gesell­schaften verpflichtet.“ Wird da nicht gerade die Einmischung in die inneren Angele­genheiten anderer Staaten und der Sturz nicht genehmer Regimes proklamiert? Diese und weitere Aussagen des US-Präsidenten finden ihre Untersetzung in seinen Äußerungen zur strategischen Zielsetzung.

George W. Bush und
Henry Kissinger trieben
die US-Kriegspolitik auf
die Spitze.

Obama erklärte: „Diese Strategie der USA gibt eine Vorstellung über die Stärkung und den Ausbau der amerikanischen Führung in der Welt in diesem Jahrhundert; sie ist ausgerichtet auf das Vorantreiben der Interessen und Werte der USA aus der Position der Stärke; die USA verfügen über das Potential, jeden Gegner abzuschrecken oder zu vernichten, wenn dieser unsere Nationale Sicherheit und die der Verbündeten, Partner und Willigen bedrohen sollte. Die USA wollen alles unternehmen, damit das nach dem 2. Weltkrieg unter ihrer Führung geschaffene internationale System weiterhin „Amerika und der ganzen Welt dient“.

Dazu passen die Begriffe Realitätsschwund und Selbstüberschätzung.

Der Führungsanspruch der USA wird in der gesamten Strategie ständig untersetzt. Die Vereinigten Staaten sind der Ansicht, sie hätten es verdient, die Führungskraft der Welt zu sein, da sie „die internationalen Anstrengungen zur Bestrafung und Zurückdrängung Rußlands, zur Schwächung und Vernichtung des IS, zur Überwin­dung des Ebola-Virus und zur Unterbindung der Verbreitung von Kernwaffen mobilisiert und angeführt“ hätten. Das ist reine Hochstapelei. Die immer mehr Führungsprozesse in der Welt an sich reißenden USA geben sich als globale Kraft des Guten aus und orientieren sich dabei allein auf ihre Interessen. Ihnen geht es um „eine geregelte internationale Ordnung, die sich auf die amerikanische Ordnung stützt“.

Die Aussagen zur äußeren und inneren Sicherheit bilden offensichtlich das Kernstück der Strategie. Führende Militärs der USA trafen die von ihr übernommene Feststel­lung, daß die U.S. Army nach dem Scheitern der traditionellen Kriegführung des Pentagons in den bewaffneten Konflikten und Aggressionen kosteneffektiver und zeitgemäßer werden müsse. Sie solle sich hauptsächlich auf die Raketenabwehr­systeme (in Europa und global), die Entwicklung und den Einsatz von konventionellen Präzisionswaffen („intelligenten Waffen“), den Einsatz von Mitteln für die Führung von Cyber- und Hybridkriegen sowie auf Spionage und den Einsatz von Spezial­truppen stützen. In der im Juli dieses Jahres vorgestellten US-Militärstrategie wurden die bisher angeführten Drohungen noch verschärft und Rußland, Iran, die KDVR und der IS zur Achse des Bösen hochstilisiert, der die Vereinigten Staaten mit allen Mitteln entgegenwirken müßten. In diesem Sinne wird als Hauptmaßnahme gegen die Weiterverbreitung und den Einsatz von Massenvernichtungswaffen die Erreichung von Sicherheit ohne Kernwaffen propagiert. Das hindert die USA indes keineswegs daran, selbst enorme Mittel für die Unterhaltung und Modernisierung der eigenen Nuklearwaffen einzusetzen, um so die militärstrategische Überlegenheit in bezug auf potentielle Gegner gewährleisten und gegenüber Rußland die Abkehr von der „Politik der ausbalancierten Abschreckung“ vollziehen zu können.

Auf der Sicherheitskonferenz, die im April dieses Jahres in Moskau stattfand, wurde dazu vom russischen Generalstab festgestellt, daß das nukleare Gleichgewicht durch die nichtnuklearen Hochpräzisionswaffen der USA und die angedrohte Stationierung von kernwaffenfähigen Raketensystemen in Europa außer Kraft gesetzt wird. Um diesen Effekt noch zu verstärken, sind die USA und die NATO dabei, das „Prompt Global Strike Concept“ (PGS) und die „Taktik der farbigen Revolutionen“ gegen Rußland umzusetzen. Auf Grund der begrenzten finanziellen Mittel und der gewach­senen Möglichkeiten potentieller Gegner ist in der neuen Pentagon-Strategie einschränkend fixiert, daß die USA künftig dazu imstande sein müssen, einen Krieg siegreich zu führen und einen zweiten Gegner vom Erreichen seiner Ziele abzuhalten. Realität oder Wunschdenken?

Zur Stärkung der inneren Sicherheit seien die US-Bürger vor extremistischen Ideo­logien zu schützen, was nur die diesbezügliche Abschottung sowie den Gesinnungsterror gegen Andersdenkende, besonders Linke, bedeuten kann. Ein weiterer Hauptaspekt der Strategie trägt die irreführende Bezeichnung „Wohlstand“, bedeutet aber „die Konturen einer neuen ökonomischen Weltordnung zu schaffen, in welcher auch künftig unsere Interessen und Werte reflektiert werden“. Von den Supergewinnen der Finanzoligarchen und internationalen Konzerne ist hier natürlich nicht die Rede. Im Originaltext heißt es weiter: „Der Zugriff auf neue Energiequellen ist einer der stärksten Anreize zur Schaffung neuer Märkte für amerikanische Technologien und Investitionen. Wir treten für allumfassendes ökonomisches Wachstum ein, welches die Nachfrage nach amerikanischem Export schafft. Wir treten gegen solche sich entwickelnden Kräfte auf – vom Staatskapitalismus bis zum Versuch des Lebens auf fremde Kosten –, die den Markt sprengen wollen.“

Das Strategiepapier befaßt sich „mit den amerikanischen Werten, welche die allge­meinen Werte reflektieren und die wir in der ganzen Welt verteidigen“.

Ein weiterer Abschnitt gilt der internationalen Ordnung, welche die Vereinigten Staaten nach ihrem Gusto ausbauen und führen wollen, wobei sie sich als einzig möglichen Weltenlenker und -verbesserer darstellen. Ihre Herrschaft soll durch ein globales Ordnungs- und Finanzsystem sowie durch ein weltweites militärisches Stützpunktsystem und durch die NATO, aber auch durch Garanten wie gleiche Medieninhalte in den Staaten ihres Einflußbereichs gesichert werden.

Die NATO wird von den USA als stärkste und sich ständig erweiternde politisch-militärische Allianz der Welt beschrieben, deren Verpflichtungen entsprechend Artikel V für alle Mitgliedsstaaten bindend seien. Abgeschwächt trifft das inzwischen de facto auch auf die Ukraine zu. Aus den strategischen Darlegungen zu Europa geht eindeutig hervor, daß die NATO ihren Drang nach Osten und Süden fortzusetzen gedenkt. Die aus Neokonservativen und Vertretern des Pentagons bestehende Kriegsfraktion der USA vertritt bei Anhörungen im Kongreß offen die Meinung, daß ein möglicher großer Krieg nicht auf dem Boden der USA, sondern in Europa stattfinden werde. George Friedman von Stratfor, einem US-Unternehmen für strategische Studien, äußerte, daß eine Vereinigung der Kräfte Deutschlands und Rußlands nicht zugelassen werden dürfe, da beide Staaten zusammen eine ernsthafte Bedrohung für die USA darstellen würden. Diese käme aus Rußland, weshalb von den NATO-Mächten eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben und militärischen Anstrengungen sowie der Ausbau von sechs osteuropäischen Staaten zu einer Front an Rußlands Grenzen erfolgen müsse. Der BRD ist dabei die Rolle eines global agierenden regionalen Hegemons zugedacht, was man in dem aktuellen Dokument „Neue Macht, neue Verantwortung“ nachlesen kann. Europa müsse der wichtigste geostrategische Brückenkopf der USA bleiben, der besonders im Osten des Kontinents weiter ausgebaut werden solle.

Diese Aussagen dürften auch dem letzten vor Augen führen, daß die USA kein friedliebender Staat, sondern ein auf militärische Überlegenheit setzendes macht­besessenes und aggressives Imperium sind. Daran ändert der formell eher lockere Stil, in dem die neue Nationale Sicherheitsstrategie Washingtons gehalten ist, keinen Deut.