Zur Restauration des Kapitalismus
in Tschechien
Der Prager Philosoph, Soziologe und Politologe Miloslav Formánek war Vorsitzender des theoretisch-analytischen Bereichs beim ZK der KP Böhmen und Mährens und gehört derzeit dem Zentrum für strategische und theoretische Studien beim ZK seiner Partei an. Als bewußter Mitgestalter sozialistischer Verhältnisse in der ČSSR bis 1990 und aktiver Teilnehmer der Kämpfe für die Bewahrung und Durchsetzung marxistischer Ideen bis in die Gegenwart legt er eine wissenschaftlich fundierte Analyse der konterrevolutionären Vorgänge in seinem Lande und der damit verbundenen Politik der „neuen Eliten“ sowie ihrer Folgen vor. Sie wurde von dem DDR-Diplomaten Klaus Kukuk, einem profunden Kenner der tschechischen Verhältnisse und der Entwicklungen nach 1989, ins Deutsche übertragen und herausgegeben.
Formánek analysiert und bilanziert, was sich wirklich ereignete und welche Auswirkungen diese Abläufe für das Land und dessen Bewohner hatten und bis heute haben. Er trifft die Feststellung: „Der Sinn der kapitalistischen Restauration bestand nicht darin, Wohlstand für alle zu sichern, sondern in der Wiederherstellung privatwirtschaftlichen Eigentums. Dafür waren die rechtskonservativen Politiker alles zu opfern bereit: die sozialen Errungenschaften der Gesellschaft, den gemeinsamen Staat von Tschechen und Slowaken, sogar die staatliche und nationale Souveränität des Landes. … Selbstkritisch muß in diesem Zusammenhang auch gesagt werden, daß die linken Kräfte die demagogische Gleichsetzung von Demokratie und Kapitalismus unwidersprochen hinnahmen. Mehr noch: Ein großer Teil wurde selbst zu Apologeten und redete der Restauration des Kapitalismus das Wort. … Eine gewöhnliche Konterrevolution nahm ihren Lauf und restaurierte in Böhmen und Mähren ein Gesellschaftssystem von gestern.“
Eingehend untersucht der Autor den Verlauf des Privatisierungsprozesses, dessen politischer Charakter daran sichtbar geworden sei, daß nicht etwa von „nationalisiertem“, „verstaatlichtem“ oder „genossenschaftlichem Eigentum“ gesprochen wurde, sondern ausnahmslos von einem „durch die Kommunisten gestohlenen Eigentum“.
Formánek konstatiert: Die Mehrzahl bedeutender tschechischer Firmen wurde letzten Endes von supranationalen Gesellschaften geschluckt. „Offensichtlich war die konkrete Tendenz einflußreicher politischer Kreise in Deutschland, sich wirtschaftlich und sprachlich an deutsche Unternehmen gebundene Bereiche im Sinne der Subregionalisierung Mitteleuropas unterzuordnen.“ In Tschechien seien 3500 bis 4000 bundesdeutsche Unternehmen tätig. „Die tschechische Ökonomik ist mit der deutschen nicht nur verknüpft, sondern von ihr geradezu existentiell abhängig und kopiert nahezu restlos ihre Bewegungen.“
Zur Entwicklung des politischen Systems konstatiert Miroslav Formánek, die Staatsmacht habe sich „in die Abhängigkeit von Grüppchen, Cliquen und Familien einflußreicher Politiker begeben, die sich in Verbindung mit Kapitalgruppen (Paten) durchsetzten“.
Die Prager Außenpolitik nach 1989 sei „die konsequente Fortsetzung der dominierenden Richtung der Innenpolitik“ gewesen.
Der Sinn des Beitritts Tschechiens zur EU habe darin bestanden, „die kapitalistischen Strukturen in der tschechischen Gesellschaft zu festigen, zu versuchen, bessere Bedingungen in der internationalen Konkurrenz zu schaffen“. Die Entwicklung sei aber ungleichmäßig geblieben. Immer häufiger war es notwendig, auch „nüchtern die dunklen Seiten wahrzunehmen und zu bewerten, wie das reale Maß der sozialen Differenzierung, den Grad der Beschäftigungslosigkeit und das Ausmaß der Armut“.
Miloslav Formánek zieht den Schluß: „Unsere kleine tschechische Erfahrung bestätigt eine große Erfahrung: Wie unendlich riskant es ist, scheinheilig die Emanzipation durch Rückkehr zum früheren Regime, zu einem System, das sich nie aus inneren zerstörerischen Widersprüchen herauswinden konnte, zu erklären.“
Miloslav Formánek:
Rollback
Die Restauration des Kapitalismus in Tschechien
Verlag am Park, Berlin 2015, 310 Seiten
ISBN 978-3-945187-29-6
16,99 €
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