Zuschrift an die Lokalpresse zur Friedensdemonstration am 8. Oktober
Zur Demo „Die Waffen nieder!“ hatten zahlreiche Friedensinitiativen, Parteien, Gruppen und Vereine aus der ganzen Republik für den 8. Oktober nach Berlin gerufen, und das war ein hoffnungsvolles Event in bedrohlichen Zeiten. Den generellen Forderungen nach weltweiter Abrüstung, nach zivilen Konfliktlösungen und nach einem ausgleichenden System gemeinsamer Sicherheit schlossen sich offenbar alle Zusammengeströmten an – gleich, welchen Parteien und Glaubensrichtungen sie zuzuordnen waren, ob sie vom Norden oder aus dem Süden, von den Friedensforen Nürnberg und Lübeck, von pax christi aus Dortmund oder vom Deutschen Freidenkerverband aus Ostthüringen angereist waren, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes vertraten oder der Berliner Friedensglockengesellschaft angehörten, ob sie die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend repräsentierten oder das Aktionsbündnis Großmütter gegen den Krieg.
Schon die Anzahl und die Vielfalt der Erstunterstützer und Gruppenunterzeichner machten Mut und gaben trotz inhaltlicher Kontroversen Hoffnung. Und selten haben wir einen Aufruf gelesen, der so einleuchtend, so vernünftig und so verständlich formuliert war wie das Dokument, das in Anlehnung an die eindringliche Mahnung der Pazifistin Bertha von Suttner „Die Waffen nieder!“ zu Kooperation statt Konfrontation und zu Abrüstung statt Sozialabbau aufforderte. Es war uns eine Genugtuung, zu den schätzungsweise 8000 (die offiziellen Zahlenangaben schwankten, wie üblich, um mehrere 1000) alten und jungen Teilnehmern zu gehören, die nach dem Meeting am Alexanderplatz in fröhlicher Stimmung durch die herbstliche Berliner Mitte demonstrierten und ihre Forderungen und Hoffnungen in Wort und Schrift artikulierten.
Und was uns bei dem Treffen außerdem und besonders auffiel: Die Leute unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Couleur sprachen miteinander in althergebrachter Weise, also von Mund zu Mund, und sie sahen sich dabei sogar in die Augen, und das ging erstaunlicherweise ohne Handys, Smartphones, Apps oder schiefertafelähnliche Instrumentarien, die die in Berlin ohnehin schmalen Straßen noch zusätzlich eingeengt hätten.
Wir gingen davon aus, daß das Ereignis, dessen Inhalten sich jeder halbwegs vernünftige Mensch nur anschließen konnte, auch in den Medien einen gebührenden Niederschlag finden würde, sahen uns jedoch in dieser Erwartung in den beiden Tagen danach bitter enttäuscht. In einigen Redaktionen hatte sich die Veranstaltung offensichtlich noch nicht herumgesprochen, und in anderen, die dürftig und unter „ferner liefen“ darüber berichteten, wurde die Demonstration heruntergespielt. Andere Nachrichten, so die über die Ehekrise des Traumpaares Brangelina oder über das erste graue Haar im natürlichen Schopf von Heidi Klum, schienen für die Tagesberichterstattung von größerer Bedeutung zu sein.
Sollten die Zeitungen besser zu Demonstrationen zur Erhaltung des Ehefriedens von Promis oder zu Spenden für die Haarfärbung von Stars aufrufen, um danach großspaltig und unfrisiert über diese Ereignisse berichten zu können?
Aus „Ossietzky“, 21/2016
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