Wie sich der Bremer Donat-Verlag
um das künstlerische Erbe verdient macht
Zwei beeindruckende Ehrungen
Heinrich Vogelers
Aufmerksame RF-Leser erinnern sich wahrscheinlich noch an den eindrucksvollen Beitrag von Marianne Walz über das Leben der faszinierenden und zugleich tragisch zu Tode gekommenen Künstlerpersönlichkeit Heinrich Vogeler sowie an den Bericht Gert Thiedes über den Aufenthalt seines Vaters im Worpsweder Heim der Roten Hilfe.
Skizzen Heinrich Vogelers aus „Reise durch Rußland. Die Geburt des neuen Menschen“ (Reissner-Verlag, Dresden 1925)
Schon wieder etwas über Heinrich Vogeler? Warum nicht, meinte auch Genossin Walz aus gutem Grunde. „Es ist hohe Zeit, seine Leistungen und seinen Bekennermut gebührend zu würdigen.“
Unterdessen sind zwei bemerkenswerte Publikationen beim rührigen Bremer Donat-Verlag erschienen, die zusätzlich Wissenswertes über den hochbegabten Maler, Grafiker, Designer, Buchillustrator, Architekten und Bühnenbildner vermitteln.
Da ist einmal der Roman „Adieu Märchenprinz“ von Renate von Rosenberg – eigentlich mehr eine Biographie –, in dem die Autorin einfühlsam den komplizierten Charakter des aufstrebenden Künstlers schildert, der sich 1893 als „Jugendstilbewegter“ (Donat) der Künstlerkolonie in Worpswede anschließt. Nach Heirat seines Lieblingsmodells Martha, eines Dorfmädchens, und im schöpferischen Austausch mit den befreundeten Künstler-Ehepaaren Clara Westhoff/Rainer Maria Rilke und Otto Modersohn/Paula Modersohn-Becker gelangt Vogeler um die Jahrhundertwende mit seiner vielseitigen Kunst im Jugendstil zur höchsten Vollendung, erreicht beim Bürgertum und international enorme Anerkennung und ist auch wirtschaftlich sehr erfolgreich. Er gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Künstler des vergangenen Jahrhunderts und neben Paula Modersohn-Becker als Begründer der Worpsweder Schule.
Die Autorin schildert sensibel die Abhängigkeit des Malers von seinem vergötterten Modell Martha als zentralen Teil seiner Manie, aus dem Worpsweder Barkenhoff ein „Gesamtkunstwerk“ zu machen, die bedrohliche Realität durch eine friedvolle Phantasie zu ersetzen, wie Dr. Andrea Fromm diese Phase seines Lebens erfaßt. Martha wendet sich jedoch von ihm ab. Der Maler verzweifelt, denn ohne seine Kultfigur fehlt ihm bald die Inspiration.
Er begibt sich auf Reisen nach Ceylon und England, sieht dort haarsträubende Ungerechtigkeiten, liest u. a. Werke von Gorki und „erkennt die reale Welt der ausgebeuteten Masse“. Aus einer für ihn neuen Sicht betätigt er sich nach 1909 zunächst als Sozialreformer, entwirft Möbel und Wohnsiedlungen für Arbeiter, die aber nie verwirklicht werden.
Dann gerät Vogeler in eine Schaffenskrise, auch weil das Interesse am Jugendstil zurückgeht. „Seine Produktivität erlahmt“ (Donat) derart, daß er sich gewissermaßen in einem Akt der Verzweiflung und unter dem Eindruck nationalistischer Euphorie 1914 als 42jähriger (!) freiwillig zum Kriegsdienst meldet. Durch glückliche Fügung gerät er unter das Kommando kunstsinniger Vorgesetzter, ja ist als militärischer Aufklärer sogar angehalten, realistische Zeichnungen des Kriegsgeschehens zu fertigen. Auch wenn er nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt ist, wendet er sich mehr und mehr von den Schrecknissen des Krieges ab und wandelt sich zum radikalen Pazifisten.
Besonders empört ihn der Gewaltfrieden von Brest-Litowsk. Dieser ist für ihn Anlaß, sich im Januar 1918 an Wilhelm II. und Ludendorf mit einem christlich-moralischen Aufruf zu wenden, den Krieg endlich zu beenden.
Vogeler hat Glück, nicht wegen Hochverrats angeklagt, sondern für Monate in eine Irrenanstalt eingewiesen zu werden. „Er genoß Narrenfreiheit und konnte sich ganz der Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse hingeben“ (Tom Weege), wobei er nun expressionistisch zeichnet und malt. So vollzieht er eine radikale Abkehr von seiner bisherigen mystisch überhöhten Romantik.
Vogeler tritt der KPD bei, bietet politisch Verfolgten Unterschlupf auf dem Barkenhoff, gründet im Sommer 1919 dort eine Kommune und Arbeitsschule, nimmt später Kinder gefallener Soldaten und ehemals inhaftierter Sozialisten und Kommunisten auf, wird Mitglied eines Arbeiter- und Soldatenrates. Gemeinsam mit Clara Zetkin und Wilhelm Pieck gründet er 1924 in Berlin die Rote Hilfe Deutschland, übereignet schließlich auf Vermittlung des polnischen Kommunisten Julian Marchlewski Haus und Hof als Kinderferienheim der Roten Hilfe, geht folgerichtig als überzeugter Marxist 1931 in die Sowjetunion, die er zuvor schon dreimal bereist hatte. Mit seinen künstlerischen Mitteln kämpft er seit 1933 von dort aus gegen die Hitlerfaschisten, wird aber im Herbst 1942 wie andere Deutsche nach Kasachstan umgesiedelt. Dort gerät er in eine schier ausweglose Lage, als seine Rente ausbleibt. Er muß betteln, stirbt krank, einsam und verlassen. Sein Grab ist unbekannt.
Renate von Rosenberg:
Adieu Märchenprinz
Donat-Verlag, Bremen 2012
240 Seiten, 9 Abbildungen
ISBN 978-3-943425-10-9
14,80 Euro
Bei der zweiten Edition, die hier zu besprechen ist, handelt es sich um das eindrucksvoll gestaltete Katalogbuch zur Ausstellung im Spätherbst 2015 „Heinrich Vogeler – Traum vom Frieden“ im Kunsthaus Apolda Avantgarde.
Diverse Leihgaben aus den Jahren 1894 bis 1927, von den Kuratoren für die Besucher hervorragend aufbereitet, machten die Ausstellung besonders sehenswert. Der Katalog von Andrea Fromm und Tom Weege ist selbst fast ein Kunstwerk. Es werden 180 der ausgestellten Werke Vogelers in hervorragender Druckqualität wiedergegeben, ihre Entstehungsgeschichte kurz kommentiert. Wann und wo bekam man jemals einen solchen Einblick in sein Gesamtwerk, sieht man von Buchillustrationen ab!
Es gelingt den beiden Kunsthistorikern, in den Textteilen über den zuerst rezensierten Roman aus Vogelers künstlerischem und politischem Werdegang hinausgehende Details verständlich nachzuvollziehen. So erlebt man den frühen Maler und Grafiker in seiner Traumwelt von Märchenfiguren, Minnesängern und Rittern, begleitet den gereiften Vogeler als Meister des Jugendstils in etlichen Facetten und verfolgt seine Wandlung zum Impressionisten, der sich nach Ankunft in der Sowjetunion der Ästhetik des sozialistischen Realismus zuwendet. Das professionell gemachte Katalogbuch liest sich mit großem Gewinn „hintereinander weg“, weil es mit enormer Sachkenntnis für den interessierten Laien leicht verständlich geschrieben ist.
Andrea Fromm und Tom Weege:
Heinrich Vogeler – Traum vom Frieden (Katalogbuch)
Donat-Verlag, Bremen 2015
176 Seiten, 233 Abbildungen
ISBN 978-3-943425-55-0
19,80 Euro
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