RotFuchs 223 – August 2016

Zwei für die Friedensarbeit
nützliche Zeitschriften

RotFuchs-Redaktion

In den einleitenden Worten zur Sonderausgabe „Feindbilder und Konflikteskalation“ der Vierteljahreszeitschrift für Friedensforschung, Friedensbewegung und Friedenspolitik W&F (Wissenschaft und Frieden) Nr. 4 / 2015, heißt es:

Eskalierende Feindbilder sind wich­tige Indikatoren für die Verschär­fung von Konflikten bis hin zur Kriegsvorbereitung; in Kriegen sind sie ein wesentlicher Bereich psychologischer Kriegsführung. Gert Sommer erläutert in diesem Dossier wesentliche Merkmale von Feindbildern, Bedingungen für ihr Entstehen, zudem ihre wesentlichen Funktionen – von Selbstwerterhöhung über das Stabilisieren von Gesellschaften bis zur politischen Manipulation hin zum Krieg. (Mit zahlreichen weiterführenden Literaturangaben.)

Claudia Haydt zeigt auf, wie Politiker und Medien Bedrohungen inszenieren, Kriegsgegner diskreditieren und bei der Vorbereitung von Kriegen schnelle Siege suggerieren. Kriegsfolgen, insbesondere das Ausmaß menschlichen Leids und dessen Urheber, werden hingegen allzu selten thematisiert. In ihrem Beitrag nennt sie Beispiele für unseriöse Berichterstattung über den Ukrainekonflikt, beschreibt die allzu enge Verbindung von Journalisten und politischen Eliten und gibt abschlie­ßend Hinweise für Friedensjournalismus.

Die Nahost-Korrespondentin Karin Leukefeld zeigt am Beispiel des Syrien­krieges, wie aus innerstaatlicher Unzu­friedenheit ein Krieg entwickelt werden kann, an dem inzwischen viele ausländi­sche Mächte beteiligt sind. Zentral ist dabei die Konstruktion des Feindbildes Bashar al-Assad und – damit zusammen­hängend – die Forderung, dieser müsse die Macht abgeben. Ergänzt wird dies durch das Torpedieren jeglicher gewalt­freien Konfliktlösungsversuche, einge­schlossen der der Vereinten Nationen.

Karin Kulow sieht eine wesentliche Funktion des westlichen Feindbildes „Is­lam“ darin, das Dominanzverhalten ge­genüber der islamischen Welt zu recht­fertigen. Sie belegt die doppelbödige Po­litik des Westens bezüglich Terrororganisationen: Am Beispiel von al Kaida und IS zeigt sie, daß diese als Kooperations­partner galten, solange sie im Interesse des Westens agierten. Entsprechend in­transparent erscheint die derzeitige US-Politik. Kulow plädiert für eine Neuaus­richtung der westlichen Politik gegen­über der islamischen Welt.

Die Beiträge in diesem Dossier belegen, daß Feindbilder nicht die alleinige Ursache für Konflikte sind. Feindbilder – und damit korrespondierend Selbst- und Freundbilder – können aber be­deutsame psychologische Waffen sein, um Konflikte zu eskalieren und Kriege vorzubereiten.

In seinem Beitrag „Zur Psychologie von Feindbildern“ schreibt Gert Sommer:

Eine große Bedeutung bei Entstehung und Festigung von Feindbildern kommt dabei Medien zu, die neben Fakten – häufig kaum bemerkt – Bewertungen mitliefern. Bildern kommt eine besonde­re Relevanz zu, da sie intensive Emotio­nen hervorrufen können, indem sie u. a. menschliches Leiden hervorheben. Überdies werden Kriege häufig mit Lügen begründet. Beispiele:

Ukraine-Konflikt 2014/2015. Die verschärften Sanktionen von USA und EU gegen Rußland wurden wesentlich damit begründet, Präsident Putin bzw. Rußland sei verantwortlich für den Abschuß des Flugzeuges von Linienflug MH17 der Malaysia Airlines. Dafür lie­gen auch nach Veröffentlichung des ab­schließenden Ermittlungsberichts des niederländischen Sicherheitsrats keine belastbaren Belege vor.

Jugoslawien-Kosovo-Krieg 1999. Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen zeigte vor Beginn des Jugoslawien-Koso­vo-Krieges immer wieder kosovo-albanische Flüchtlingsgruppen, und mit dem Argument der „systematischen Vertreibung“ begründete die NATO wesentlich den Krieg gegen Jugoslawien als „huma­nitäre Intervention“ bzw. als Verhindern einer „humanitären Katastrophe“ (z. B. Sommer 2001). Mit Kriegsbeginn, d. h. als Folge des Krieges, ergriffen erheblich mehr Menschen die Flucht – darüber wurde kaum berichtet. Nach Kriegsende wurden etwa 200 000 Serben und 100 000 Roma von den Kosovo-Alba­nern vertrieben – darüber wurde nahe­zu gar nicht mehr berichtet.

Zweiter Golfkrieg 1990/91. Der iraki­sche Diktator Saddam Hussein hatte u. a. Oppositionelle und Minderheiten unter­drückt und ermordet sowie im Krieg ge­gen den Iran (Erster Golfkrieg 1980–1988) völkerrechtlich geächtetes Giftgas eingesetzt. Vom Westen wurde dies igno­riert oder sogar unterstützt, z. B. mit Waffen, da Hussein als Schutzschild gegen den Iran bzw. Islam galt (er war der Feind „unseres“ Feindes). Erst als er im August 1990 das Nachbarland Kuwait überfiel und damit westliche Interessen (am Erdöl) gefährdete, wurde er vom Westen, insbesondere den USA, zum be­drohlichsten Feind erklärt (Sommer 1991) und in deutschen Medien u. a. als „Irrer von Bagdad“ bezeichnet; er avan­cierte „gleichsam über Nacht vom hofierten Partner zum neuen Hitler“. Die zunächst zögerliche Kriegs­bereitschaft in den USA bekam eine ent­scheidende Wende durch Berichte über Greueltaten und die dadurch provozierte Empörung: Irakische Soldaten hätten in Kuwait Brutkästen aus Frühgeborenenstationen entfernt und damit 312 Babies ermordet. Diese Berichte wurden u. a. im US-Menschenrechtsausschuß und im UN-Weltsicherheitsrat vorgetragen und von Medien weltweit verbreitet. Erst nach Ende des Zweiten Golfkrieges wur­de der „Brutkastenmord“ als Propagan­dalüge entlarvt, die von der großen US-Werbeagentur Hill and Knowlton im Auftrag der kuwaitischen Regierung pro­duziert worden war.

Dritter Golfkrieg (2003). Der völker­rechtswidrige Krieg wurde von den USA damit begründet, daß Irak Massenver­nichtungswaffen besitze und Terrorgrup­pen unterstütze – beide Behauptungen konnten nicht belegt werden. Es gibt aber Belege dafür, daß die USA nach dem 11. 9. 2001 sieben Kriege planten (gegen Irak, Syrien, Liba­non, Libyen, Somalia, Sudan und schließ­lich Iran), um den Nahen und Mittleren Osten „umzukrempeln“ und US-freundli­che Regierungen zu installieren.

Friedensdemonstration, 8. Mai 1981, Westberlin

Friedensdemonstration,
8. Mai 1981, Westberlin

Im Editorial der Zweimonatszeitschrift „Friedensjournal“ (Nr. 6/2015) schreibt die Redaktion:

Vor kurzem bekannte der frühere britische Premierminister Tony Blair in aller Offenheit, daß der Irak-Krieg 2003 ein Fehler gewesen sei und zur derzeitigen Situation im Nahen Osten beigetragen habe. Die Konsequenzen dieses „Fehlers“ sind: mindestens eine Million Tote, viele Millionen Menschen auf der Flucht und mit dem Irak, Syrien und Libyen mehrere „failed states“ (gescheiterte Staaten). Leider wird dies nicht dazu führen, daß Tony Blair sich dafür gerichtlich als Kriegsverbrecher verantworten muß. Als Entschuldigung führte er an, daß man falschen Geheimdienstinfor­mationen geglaubt habe …

Die früheren CIA-Analysten Elizabeth Murray und Ray McGovern bekannten vor kurzem, daß Sie es in früheren Jahrzehnten als ehrenwerte Aufgabe angesehen hätten, die Weltlage richtig zu analysieren, und das falsche „Briefing“ von Politikern und Medien erst vor dem Irak-Krieg 2003 dominant ge­worden sei – weshalb sie sich inzwischen von ih­rem früheren „Arbeitgeber“ abgewendet haben und dessen Methoden jetzt in Interviews anprangern.

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