RotFuchs 207 – April 2015

Die Zukunft der Linkskräfte

Zwei Plädoyers für konstruktiven Gedankenaustausch

Ingo Hähnel

In seinem Beitrag „Für freimütige Debatten über Zukunftsmodelle“ hat Dr. Dieter Müller die Frage nach der Aufgabenskala unserer Zeitschrift thematisiert. Er meint, wir sollten 25 Jahre nach dem staatlichen Ende der DDR die Debatte zum Thema „Wie weiter?“ aktiver gestalten. Ich stimme dem zu. Allein aus der retrospektiven Beurteilung der Geschichte bis 1989, auf die sich der „RotFuchs“ bisweilen zu stark konzentriert, könnten junge Menschen und andere Ratsuchende keine direkten Antworten auf ihre Frage nach den Perspektiven derzeitiger und künftiger Kämpfe erfahren.

Dr. Müller verweist überdies auf Probleme, die sich aus dem Debakel wesentlicher Teile des BRD-Regierungskurses ergeben. Manche sprechen inzwischen vom „Mehltau“ Merkelscher Politik. Es wurde versucht, gesellschaftliche Widersprüche und Konflikte durch Entmündigung und teilweise soziale Ruhigstellung der Bürger zu übertünchen. Ungehindert und möglichst unbemerkt sollte Schritt für Schritt die zügellose Herrschaft der multinationalen Konzerne bis in jede Stube durchgesetzt werden. Die für alternativlos erklärte Politik der „marktgerechten Demokratie“, wie sie von der angeblich „besten Regierung seit 1990“ verfolgt wird und zu denen die volksverdummende Eskorte der bürgerlichen Medien gehört, stößt an ihre Grenzen.

Die weitere Öffnung der Schere zwischen Arm und Reich sowie die Auseinandersetzungen zwischen den kapitalistischen Zentren der Welt verursachen eine ständige Zunahme an Konflikten und Widersprüchen. Um die BRD machen sie keinen Bogen. Sichtliches Zeichen dafür war die Tatsache, daß die CDU seit dem Parteitag 2004 ihr schroffes Konzept der Marktliberalität à la Thatcher modifizieren mußte, während die FDP auf der Strecke blieb. Merkels Partei nahm Rentenerhöhungen vor, führte die Mütterrente sowie die Rente ab 63 und den Mindestlohn ein. All das änderte nichts am Auseinanderklaffen des Lebensniveaus von Besitzenden und Besitzlosen, am Sinken der Reallöhne und an den brachialen Langzeitwirkungen von Hartz IV. Ständig werden die Mieten erhöht, das Armutsrisiko wächst, auch Akademiker und andere Hochqualifizierte schuften oftmals in prekären Arbeitsverhältnissen. Der soziale Zusammenhalt bröckelt unterdessen sogar in der „Mittelschicht“. Die allgemeine Unsicherheit nimmt zu. Die Menschen kommen sich als „gebrauchtes, benutztes Humankapital“ vor und fühlen sich durch die herkömmlichen politischen Strukturen nicht mehr vertreten.

Als Desaster stellt sich die Migrationspolitik dar, bei der eine jahrelange Integrationsverhinderung sowie das Verschweigen der Notwendigkeit von Einwanderung sowohl im Zusammenhang mit Kriegen und politischen Wirrnissen als auch aus wirtschaftspolitischen Gründen zur Katastrophe geführt haben. Daraus erwachsen Unsicherheit und Furcht, welche große Mengen Entrüsteter auf die Straße treiben. Die Menschenfänger von PEGIDA und AfD versuchen, davon zu profitieren.

Auf die Politik der Bundesregierung wirken derzeit die Folgen des den EU-Nachbarn aufgezwungenen „Sparkurses“ verstärkt ein. Der Zusammenhalt in der EU zeigt Risse, alternative Konzepte wie die berechtigten Forderungen Athens führen zur Schwächung der BRD-Position. Gröbster Ausdruck des Scheiterns der EU-Europastrategie ist Brüssels „Ukraine-Politik“.

Man muß Dr. Müller zustimmen, daß Alternativen dazu möglich und notwendig sind. Vor allem geht es um die Durchsetzung der sozialen und politischen Rechte. Nicht nur Griechen und Spanier versuchen heute, neue Wege zu beschreiten und modifizierte Formen ihres Kampfes zu bestimmen, auch um früher Erkämpftes zu retten. Es gibt ein weitaus umfassenderes, sich ständig wandelndes Bild dieser sozialen Bewegungen in einer Zeit, in der revolutionäre Veränderungen nicht auf der Tagesordnung stehen. Thematische Schwerpunkte bilden vor allem Frieden, Ökologie, Abrüstung, Frauengleichberechtigung, Bürger- und Menschenrechte und Bewahrung der sozialen Sicherungssysteme.

Die derzeitige Führung der Partei Die Linke besitzt offenbar nicht die Fähigkeit, diesen Prozeß wesentlich mit zu beeinflussen und ihm einen konsequent antikapitalistischen Charakter zu verleihen.

Wie in der Vergangenheit ist es auch heute die Aufgabe Linksorientierter und darüber hinaus aller Verfechter der Menschenrechte wie des Friedensgedankens, nach weiteren Bündnispartnern zu suchen und diese zu gewinnen.