Zwischenbilanz der EU-Osterweiterung
Am 1. Januar 2007 wurde mit der Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in die EU der Prozeß der Einverleibung der ehemaligen sozialistischen Staaten in Europa in das imperialistische Bündnissystem NATO und EU im Wesentlichen abgeschlossen. Damit haben die imperialistischen Mächte mittels NATO und EU die militärische, ökonomische und politische Kontrolle über eine ganze Region, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, übernommen. Aus dem Territorium der Warschauer Vertragsorganisation, die seit ihrer Gründung als entscheidender Faktor und Initiator des Friedens und der Sicherheit gewirkt hat, wurde ein geschlossener Bogen vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer an den Grenzen Rußlands.
Groß war damals der propagandistische Aufwand, mit dem der „Sieg der Freiheit über die kommunistische Diktatur“ gefeiert wurde. Gepriesen wurden rosige Aussichten für die Entwicklung dieser Ländergruppe, „blühende Landschaften“ wurden versprochen. Heute schreibt der ehemalige Ministerpräsident Rumäniens, Adrian Nastase: „Das erste Jahrzehnt hat sich doch irgendwie als enttäuschend erwiesen. … Billig wurde die Kontrolle der rumänischen Gesellschaft und die Destrukturierung der politischen Klasse mit Hilfe einiger NGOs und einiger Losungen wie ,Rechtsstaat‘, ,Antikorruption‘, ,Integritätskriterien‘ durchgeführt. Aber auch das Fehlen von Vernunft und die Unterwürfigkeit von Institutionen des rumänischen Staates gehörten dazu.“
So richtig diese Feststellungen auch sind, kann nicht übersehen werden, daß es derselbe Mann in seinen Funktionen als Außenminister und dann als Ministerpräsident war, der eine Außenpolitik des Landes einleitete und betrieb, die eindeutig auf den Westen orientierte. Als Ministerpräsident führte er bis 2004 die Verhandlungen mit der EU, paßte das politische System und die Rechtsordnung des Landes dem Verlangen der EU an und führte ebenso die geforderten „Reformen“ in Wirtschaft und Gesellschaft durch, die eine Mitgliedschaft ab 1. Januar 2007 erst möglich machten. Das eigene Volk wurde damit eingeschläfert. Und das war in allen diesen Ländern so!
Bei der Suche nach den Ursachen wird von verschiedenen Autoren vor allem auf die Gleichzeitigkeit dreier Krisen verwiesen: die Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone, die Ukraine-Krise und die Flüchtlingskrise. Und woher kommen diese Erscheinungen? Unerwähnt bleiben die Krise des kapitalistischen Gesellschaftssystems, die Verstärkung der inneren und äußeren Widersprüche des Imperialismus, die unmittelbare Gefahren für den Frieden heraufbeschwören. Keine Berücksichtigung finden die zunehmenden Risiken für die staatliche Existenz besonders der Staaten in Ost- und Südosteuropa sowie auf dem westlichen Balkan. Selbst ein Wirtschaftsexperte des Kapitals, Joseph Stiglitz, wies kürzlich in der Zeitschrift „Fortune“ darauf hin, daß die Hoffnung, fiskale und monetäre Disziplin könne die Probleme lösen, trügerisch ist. Die reichen Länder seien noch reicher und die armen Länder noch ärmer geworden. Auch innerhalb der Staaten zeige sich das gleiche Bild. „Das führt zu Entzweiung statt zu mehr Solidarität“, schlußfolgert Stiglitz.
Die Staaten Osteuropas distanzieren sich immer mehr von der EU – aber auch voneinander. Wenn man berücksichtigt, daß auch Italien, Spanien, Portugal und Griechenland mit sich zuspitzenden Widersprüchen in ihrem Verhältnis zur EU konfrontiert sind und Großbritannien austritt, so ergibt sich: die EU bröckelt von den Rändern her. Ungarns Verhalten gegenüber der Politik des Diktats der EU nahm rebellische Züge an. Die polnische Regierung sieht ihre Sicherheit mehr durch die US-Präsenz gewährleistet. Die Visegrad-Gruppe vertritt Positionen, die den von Deutschland diktierten Positionen der EU widersprechen. Bulgariens neuer Präsident plädiert für eine Politik, die stärker auch die Beziehungen zu Rußland einkalkuliert. Rumäniens neu gewählte Regierung will auf stärkere Beachtung der nationalen Interessen des Landes innerhalb der kapitalistischen Bündnissysteme pochen. Der erst kürzlich gewählte Präsident Moldawiens erhielt die Mehrheit, weil er gegen den Ausverkauf des Landes an die imperialistischen Mächte aufgetreten ist.
Die Widersprüche, die sich aus den Entwicklungsunterschieden zwischen „Kerneuropa“ und den Staaten der Regionen an der Peripherie ergeben, können offensichtlich unter den Bedingungen des Wirkens der Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus/Imperialismus nicht in der Angleichung des ökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklungsniveaus in positivem Sinne gelöst werden.
Die gesamte Periode seit der Aufnahme dieser Länder in die EU hat gezeigt, daß deren Zugehörigkeit zu EU und NATO günstigere Bedingungen für die Ausbeutung durch die imperialistischen Mächte und für die Erhöhung des Profits der Konzerne, aber nicht für die Entwicklung der Länder geschaffen hat. Die Schere zwischen den armen und den reichen Ländern in der EU hat sich drastisch geöffnet. Statt einer Angleichung im Entwicklungsniveau haben sich durch die unterschiedliche Entwicklung die Unterschiede und damit die Widersprüche zwischen den Staaten und Regionen verstärkt!
Wir erleben aber nicht nur einen Prozeß der Differenzierung der Interessen zwischen den ost- und südosteuropäischen Staaten und den imperialistischen Mächten, sondern haben es zweitens mit einem intensiven Prozeß der Differenzierung der Interessen zwischen den ost- und südosteuropäischen Staaten selbst zu tun. Dies führt wiederum nicht nur zu Schwächung des Potentials zur Verwirklichung der nationalstaatlichen Interessen der einzelnen Länder, sondern auch zur Vermehrung der Möglichkeiten, diese Staaten im Interesse der sich auch widersprechenden Vorhaben der imperialistischen Mächte gegeneinander zu mißbrauchen.
Es verstärkt sich zugleich die Tendenz der Gruppenbildung von ost- und südost-europäischen Staaten mit unterschiedlich ausgerichteten Zielen. Dabei bilden sich vor allem zwei Plattformen heraus:
- Die USA und ihre politischen und militärischen Aktivitäten zur Mobilisierung von Bündnispartnern, die sich an der Durchsetzung amerikanischer Ziele in Europa und in globalem Maßstab orientieren und
- die von Deutschland verfolgte Politik, mittels der EU und auch bilateral mit diesen Staaten (Östliche Partnerschaft) Bedingungen zu schaffen, um die in Europa aus deutscher Sicht noch bestehende strategische Schieflage in ein neues Gleichgewicht im Sinne Deutschlands zu verwandeln.
Das Territorium der ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten ist zu einem Feld geworden, auf dem zwischen USA und EU, besonders Deutschland, offen ein Konkurrenzkampf um bestimmenden Einfluß auf die Politik der Regierungen dieser Länder, um Vorherrschaft in der Region ausgetragen wird. An der westlichen Grenze Rußlands wird vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer ein Gürtel instabiler Staaten geschaffen.
Es wächst damit die Instabilität in Europa insgesamt, aber auch die Unberechenbarkeit in den Beziehungen in der EU sowie im Verhältnis EU–NATO. Unter Berücksichtigung der Russophobie, die beiden eigen ist, kann das zu einem gefährlichen Substrat für die künftige Entwicklung der zwischenstaatlichen Beziehungen in Europa führen, die zunehmende politische Konflikte einschließt und die Gefahr des Einsatzes militärischer Mittel vergrößert.
Die gesamte Entwicklung schafft gegenwärtig für die USA günstige Bedingungen, um mit wechselnden Partnern ihre Konzeption der Isolierung bzw. Neutralisierung der EU in wichtigen Fragen der globalen Strategie und des Verhältnisses zu Rußland zu verfolgen.
Die gesamte Region ist zu einem Raum geworden, in dem sowohl die USA als auch die EU, deren Entwicklung durch systematischen Machtzugewinn für Deutschland charakterisiert wird, ihre Herrschaft verfestigen wollen, um eine strategisch wichtige Aufmarschbasis für die Verwirklichung ihrer Expansionsziele gegenüber Rußland und für den Zugang zum Nahen und Mittleren Osten zu schaffen.
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