2.3
Die Wertgröße der Ware und die Arbeitsproduktivität
Der Wert stellt, wie jede andere ökonomische Kategorie, eine Einheit von Qualität und Quantität dar. Die qualitative Seite des Wertes bildet die Wertsubstanz, die quantitative Seite ist die Wertgröße. Sie gibt die Quantität der wertbildenden Substanz der Arbeit an, die zur Herstellung einer Ware benötigt wird.
Der von den einzelnen Warenproduzenten zur Herstellung einer bestimmten Ware benötigte Zeitaufwand ist, bedingt durch eine Reihe von Faktoren, wie Umfang und Niveau der angewandten Technik, Geschicklichkeitsgrad des Produzenten usw., unterschiedlich. Würde jeder individuelle Arbeitsaufwand als wertbildend anerkannt werden, dann würde die Gesellschaft diejenigen Warenproduzenten bevorteilen, die die längste Zeit für die Herstellung einer bestimmten Ware benötigen. Die Folge davon wäre Stagnation der Produktivkräfte und der gesellschaftlichen Produktion. Es ist offensichtlich, daß nicht jeder individuelle Zeitaufwand wertbildend sein und damit die Wertgröße bestimmen kann. Die Wertgröße einer Ware wird nur durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt.
Was ist unter gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit zu verstehen? Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist die Zeit, die erforderlich ist, „um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen.“38
Die Herausbildung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ist das Ergebnis objektiver gesellschaftlicher Prozesse. In der privaten Warenproduktion bildet sie sich als Ergebnis der freien Konkurrenz heraus, die die unterschiedlichen individuellen Arbeitszeiten zu einer durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ausgleicht. Marx hebt deshalb hervor, daß die individuell aufgewendete Arbeitskraft „den Charakter einer gesellschaftlichen Durchschnittsarbeitskraft“ besitzen muß.39
Die vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und der gesellschaftliche Durchschnittsgrad an Geschick und Intensität waren innerhalb der bäuerlichen und handwerklichen Produktion der einfachen Warenwirtschaft noch relativ überschaubar. Das änderte sich mit dem Eindringen des Geldes in die bäuerliche und handwerkliche Naturalwirtschaft und dem Aufkommen des Handels- und Wucherkapitals.40 Einerseits verbreitete und vertiefte sich dadurch der gesellschaftliche Charakter des Arbeitsaufwands der Warenproduzenten. Andererseits wurde die Herausbildung des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwands immer mehr zu einem für den Produzenten undurchschaubaren Prozeß.
Der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand ist also keine starre, ein für allemal gegebene Größe. Im Gegenteil, sie unterliegt einer ständigen Veränderung. Die Hauptursache für diese Veränderung ist die Entwicklung der Arbeitsproduktivität.
Marx versteht unter Arbeitsproduktivität die Ergiebigkeit oder den Wirkungsgrad der konkreten Arbeit. „Produktivkraft“, schreibt Marx, „ist natürlich stets Produktivkraft nützlicher, konkreter Arbeit und bestimmt in der Tat nur den Wirkungsgrad zweckmäßiger produktiver Tätigkeit in gegebenem Zeitraum.“41
Die Arbeitsproduktivität als Wirkungsgrad der konkreten Arbeit beeinflußt unmittelbar die Menge der in einer bestimmten Zeiteinheit produzierten Gebrauchswerte. Steigt bei gegebener Zeiteinheit und gleichbleibendem Arbeitsaufwand die Arbeitsproduktivität, steigt im gleichen Verhältnis auch die Menge der Gebrauchswerte. Die Entwicklung der Arbeitsproduktivität steht also in direktem proportionalem Verhältnis zur Menge der Gebrauchswerte, die in einer bestimmten Zeiteinheit hergestellt werden können.
In der bürgerlichen Literatur wird die Arbeitsproduktivität falsch dargestellt. So definiert ein deutscher Autor die Arbeitsproduktivität wie folgt: „Produktivität ist das Verhältnis von Produkt zu Faktoreinsatz, also z.B. Arbeitsproduktivität = Produkt / Arbeitseinsatz; Kapitalproduktivität = Produkt / Kapitaleinsatz. Bezeichnen wir den Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz als Kapitalintensität, so ist die Arbeitsproduktivität = Kapitalproduktivität x Kapitalintensität.“42 Dieser Definition der Arbeitsproduktivität liegt die grundsätzlich falsche Auffassung der bürgerlichen politischen Ökonomie zugrunde, daß nicht nur die lebendige Arbeit, sondern auch das Kapital Wert schaffen könne.43 Hier sei noch einmal betont, daß nur die lebendige Arbeit Wert produzieren kann.
Das Niveau und die Entwicklung der Arbeitsproduktivität hängen von einer Reihe von Faktoren ab. Karl Marx führt folgende an: „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschicks der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse.“44
Marx führt also zunächst Faktoren an, die die wichtigste Produktivkraft, den arbeitenden Menschen betreffen, indem er auf die erhöhte Qualifikation der Arbeiter, auf ihre Arbeitsfertigkeit hinweist. Gleich anschließend verweist er auf die Wissenschaft und ihre technologische Anwendbarkeit. Er schließt mit naturbedingten Faktoren wie Reichhaltigkeit und Menge der Bodenschätze, Klima, Fruchtbarkeit des Bodens usw.
Im Verlauf der Entwicklung der privaten Warenproduktion erhöhte sich die Arbeitsproduktivität, in der kapitalistischen Warenproduktion stieg sie relativ schnell, aber ungleichmäßig und widerspruchsvoll.45
Zwischen der Arbeitsproduktivität und der Wertgröße besteht der folgende Zusammenhang: Da das natürliche Maß der Arbeit die Zeit ist und die Wertgröße durch die in der Ware enthaltene gesellschaftlich notwendige Arbeitsmenge bestimmt wird, folgt, daß die abstrakte Arbeit, bei sonst gleichbleibenden anderen Bedingungen (wie Arbeitsintensität, Qualifikation usw.) in einer bestimmten Zeit immer die gleiche Wertgröße schafft, unabhängig davon, ob die Arbeitsproduktivität steigt oder sinkt. Bei einer Steigerung der Arbeitsproduktivität wird in der gleichen Zeiteinheit eine größere Zahl von Gebrauchswerten als vorher produziert.
Das bedeutet, daß sich die produzierte Wertgröße auf eine größere Zahl von Wareneinheiten als früher verteilt. Das Ergebnis ist, daß die Wertgröße der einzelnen Ware sinkt. „Die Wertgröße einer Ware“, schreibt Marx, „wechselt also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirklichenden Arbeit.“46
„Umgekehrt wie die Produktivkraft“ heißt allerdings nicht, daß der Wert einer Ware im gleichen Verhältnis sinkt, wie die Arbeitsproduktivität steigt. Im gleichen Verhältnis zur steigenden Arbeitsproduktivität sinkt nur der neu-geschaffene Wert, der in einer einzelnen Ware enthalten ist. Die Wertgröße der Ware wird jedoch durch den gesamten Arbeitsaufwand gebildet, das heißt auch durch den Wert der Produktionsmittel.
Steigerung der Arbeitsproduktivität bedeutet vor allem Ersatz von lebendiger Arbeit durch Maschinenarbeit. Durch die Maschinen wird jedoch kein neuer Wert geschaffen, sondern die Produktivkraft der Arbeit erhöht. Bei steigender Arbeitsproduktivität nimmt der Anteil der lebendigen Arbeit am gesamten Arbeitsaufwand, der zur Herstellung einer Ware benötigt wird, ab, während der Anteil der vergegenständlichten Arbeit zunimmt. Die Wertstruktur der einzelnen Ware und der gesamten Warenmasse ändert sich. Damit wirklich eine Steigerung der Arbeitsproduktivität eintritt und die Wertgröße der einzelnen Ware oder die Größe der zu ihrer Herstellung benötigten gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit sinkt, muß der Aufwand an lebendiger Arbeit pro Produkt schneller abnehmen als die vergegenständlichte Arbeit zunimmt, so daß insgesamt Arbeitszeit eingespart wird.
„Der Wert der Ware ist bestimmt durch die Gesamtarbeitszeit, vergangne und lebendige, die in sie eingeht. Die Steigerung der Produktivität der Arbeit besteht eben darin, daß der Anteil der lebendigen Arbeit vermindert, der der vergangnen Arbeit vermehrt wird, aber so, daß die Gesamtsumme der in der Ware steckenden Arbeit abnimmt; daß also die lebendige Arbeit um mehr abnimmt als die vergangne zunimmt.“47
Dieser allgemeinen Tendenz wirken andere Prozesse entgegen, die ihre Wirkung verlangsamen, aber sie nicht aufheben können. So können im Zuge des technischen Fortschritts und der Massenproduktion durch sinkende Materialintensität bestimmte Einsparungen an Arbeitsgegenständen, Hilfsstoffen und Energie eintreten, die das Wachstum des Anteils der vergegenständlichten Arbeit vermindern.
Eine Ware durchläuft gewöhnlich eine Reihe von Produktionsstufen, und an ihrer Herstellung sind verschiedene konkrete Arbeiten beteiligt. Dabei schafft die Arbeit in ihrer jeweils konkreten Form nicht nur den neuen Gebrauswert, sondern überträgt gleichzeitig auch den in den verbrauchten Produktionsmitteln (Arbeitsmitteln und Arbeitsgegenständen) und in dem jeweiligen Zwischenprodukt vergegenständlichten Wert auf die neue Ware. Bei der Produktion von Mehl wird zum Beispiel dem Wert des Korns ein Teil des Wertes der Mühle durch die konkrete Arbeit des Müllers auf das Mehl übertragen. Im gleichen Produktionsprozeß schafft der Müller, indem er auch abstrakte Arbeit verausgabt, noch einen zusätzlichen Wert. Der Wert des Mehls setzt sich daher aus dem übertragenen Wert und dem durch die abstrakte Arbeit des Müllers neu geschaffenen Wert zusammen. Dieser im Mehl vergegenständlichte Wert wird in der nächsten Produktionsstufe, nämlich in der Bäckerei, durch die konkrete Arbeit des Bäckers auf das Endprodukt Brot übertragen.
Der Bäcker überträgt, ebenfalls durch seine konkrete Arbeit, auch einen Teil des Wertes der Bäckereiausrüstung auf das Brot und fügt dem Brot durch seine abstrakte Arbeit ebenfalls einen zusätzlichen neuen Wert hinzu.
Somit setzt sich die Wertgröße des Brotes, wie bei jeder beliebigen anderen Ware, aus zwei Wertbestandteilen zusammen: erstens aus dem in früheren Produktionsstufen geschaffenen und in den Produktionsmitteln vergegenständlichten alten Wert, der durch die konkrete Arbeit auf die neue Ware übertragen wird; zweitens aus dem neuen Wert, der durch die Verausgabung von abstrakter Arbeit neu geschaffen wird.
Da sich der Arbeitsaufwand zur Herstellung einer Ware durch steigende Arbeitsproduktivität verringert, ergibt sich, daß die Wertgröße der Ware durch die zu ihrer Reproduktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt wird.
Angenommen, eine Ware wurde mit einem gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand von zwei Stunden produziert, der Verkauf erfolgt aber erst nach Jahren. Erfordert inzwischen die Produktion dieser Ware nur noch eine Stunde gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit, dann wird ihre Wertgröße zum Verkaufstermin nur noch durch diese eine Stunde bestimmt. In diesem Falle tritt durch erhöhte Arbeitsproduktivität eine Entwertung oder ein Wertverlust ein.
Die Wertgröße wird durch weitere Faktoren beeinflußt. Als Einheitsmaß für die Messung der Wertgröße gilt die Arbeitsstunde einfacher Arbeit. Als einfache Arbeit wird die Arbeit bezeichnet, die jeder normale Mensch mit durchschnittlichen Fähigkeiten zu der betreffenden Zeit und ohne besondere Ausbildung leisten kann. Eine Reihe von Arbeiten verlangt aber spezielle Kenntnisse und setzt eine spezielle Ausbildung voraus. Diese Arbeit ist komplizierte Arbeit. Die komplizierte Arbeit ist potenzierte einfache Arbeit. Sie schafft in der gleichen Zeit einen höheren Wert. Daraus ergibt sich, daß die Wertgröße, die in einer bestimmten Zeit geschaffen wird, um so größer ist, je höher der Anteil der komplizierten Arbeit an der insgesamt geleisteten Arbeit ist.
Die Arbeitsintensität, das heißt der Grad der physischen und psychischen Beanspruchung des Arbeiters während des Arbeitsprozesses, beeinflußt die Wertgröße ebenfalls. Steigt die Arbeitsintensität in einem Einzelbetrieb oder in einer Gruppe von Betrieben über den zur gegebenen Zeit geltenden gesellschaftlichen Durchschnitt hinaus, so steigt auch das Quantum der hier verausgabten Arbeit. Das wirkt erhöhend auf die Wertmasse, die in einer bestimmten Zeiteinheit produziert wird. Unter sonst gleichbleibenden Bedingungen verteilt sich der durch die Steigerung der Arbeitsintensität vergrößerte Wert auf entsprechend mehr Gebrauchswerte. Die Wertgröße pro Produkt bleibt gleich.48
Wird nun die höhere Arbeitsintensität zum allgemeinen gesellschaftlichen Durchschnitt, geht sie ein in die Bestimmung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, dann sinkt allgemein die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung dieser Ware in allen Betrieben, und ihre Wertgröße sinkt allgemein.
Manche Ressourcen, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen, sind begrenzt und nicht reproduzierbar. Das trifft insbesondere für einige Zweige der extraktiven Industrie und für die Landwirtschaft zu. In diesen Zweigen bestimmen nicht die durchschnittlichen, sondern die schlechtesten Produktionsbedingungen, die zur Befriedigung des Bedarfs noch genutzt werden müssen, den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand und damit die Wertgröße der Produkte dieser Zweige. Das bedeutet, daß nicht der durchschnittliche, sondern der größte Arbeitsaufwand, der für die Gewinnung der für die Gesellschaft erforderlichen Menge von Produkten benötigt wird, die Wertgröße bestimmt.49
Die Wertgröße einer Ware wird durch den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand bestimmt. Die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (oder die Wertgröße) wird noch durch einen weiteren Umstand beeinflußt.
Sie wird ferner dadurch bestimmt, wieviel davon „notwendig zur Befriedigung des gesellschaftlichen Bedürfnisses“ ist.50 Die Bedürfnisse der Gesellschaft für jede besondere Warenart sind quantitativ bestimmt. Dadurch ist aber auch die Menge der gesellschaftlichen Arbeit, die für die Herstellung der einzelnen Warenarten im Rahmen der gesamten gesellschaftlichen Produktion erforderlich ist, abgegrenzt. Das erfordert eine proportionale Aufteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit auf die verschiedenen Produktionszweige. Wird zum Beispiel von der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit für die Produktion einer bestimmten Warenart zuviel gesellschaftliche Arbeitszeit aufgewendet und werden dementsprechend zuviel Gebrauchswerte dieser Art hergestellt, dann ist ein Teil dieser Warenart nutz- und wertlos für die Gesellschaft, obwohl für die Herstellung jeder einzelnen Ware der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand eingehalten wurde. „Die Wirkung ist dieselbe, als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt.“51 Der Wertverlust verwirklicht sich zum Beispiel durch die direkte Vernichtung eines Teils der Überproduktion. Es handelt sich dabei um Vergeudung eines Teils der gesellschaftlichen Arbeit, die sich aus dem anarchischen, planlosen Charakter der privaten, besonders der kapitalistischen Warenproduktion ergibt. Hier zeigt sich auch deutlich der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert: Der Gebrauchswert ist die Voraussetzung, ist der Träger von Tauschwert und Wert. Kann die Ware nicht verkauft werden, treten Wertverluste (mit allen weiteren Folgen) auf.52