Ware und Geld

3.2
Die totale oder entfaltete Wertform

Mit der weiteren Entwicklung des Warenaustausches treten die Unzulänglichkeiten der einfachen Wertform immer klarer zutage: Die Ware A befindet sich in nur einem Austauschverhältnis zu irgendeiner einzelnen von ihr selbst verschiedenen Warenart. Die Ware B besitzt nur die Äquivalentform oder die Form unmittelbarer Austauschbarkeit in bezug auf eine einzelne Ware. Dies ist ein entscheidender Ausdruck dafür, daß das Wertverhältnis selbst noch nicht allgemein gilt, sondern nur ausschnittweise und vorübergehend. Die historische Entwicklung muß zu einer höheren Stufe des Warenaustausches und damit der Wertform führen.

Die totale oder entfaltete Wertform resultiert aus einer weiteren Entwicklung der Produktivkräfte und bestimmten Veränderungen der Beziehungen der Menschen untereinander. Mit der ersten großen gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Aussonderung der Hirtenstämme aus der Masse der übrigen Stämme, mit der Weiterentwicklung der Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität und dem regelmäßigen Überschuß über den eigenen Bedarf sind die Bedingungen für einen regelmäßigen Austausch gegeben.

Zugleich führt das sich in Wechselwirkung mit den Produktivkräften, insbesondere der Arbeitsteilung, herausbildende Privateigentum, besonders an Viehherden und Luxusgegenständen (Schmuck), das aber gegenüber dem gesellschaftlichen oder Gruppeneigentum noch eine untergeordnete Stellung einnimmt, allmählich zum Austausch zwischen einzelnen Privateigentümern. „Und hier“, schrieb Engels, „liegt der Keim der ganzen folgenden Umwälzung. Sobald die Produzenten ihr Produkt nicht mehr direkt selbst verzehren, sondern es im Austausch aus der Hand gaben, verloren sie die Herrschaft darüber. Sie wußten nicht mehr, was aus ihm werde, und die Möglichkeit war gegeben, daß das Produkt dereinst verwandt wurde gegen den Produzenten, zu seiner Ausbeutung und Unterdrückung.“69 Mit der Entwicklung des Warenaustauschs geht die einfache Wertform in eine vollständigere über. Jede Ware kann jetzt ihren Wert in den Gebrauchswerten vieler anderer Waren ausdrücken. Es entstehen verschiedene einfache Wertausdrücke, Tauschwerte ein und derselben Ware.

x Ware A { = y Ware B
= z Ware C
= usw.

Gerade in dieser Häufung einfacher Wertausdrücke liegt der gesellschaftliche Fortschritt. Der Wert einer Ware unterscheidet sich jetzt vollständiger von ihrer eigenen Naturalform. In dieser totalen oder entfalteten Wertform ist aber noch jeder gemeinsame Wertausdruck, der für alle Waren gilt, ausgeschlossen. Es gibt noch kein allgemeines Äquivalent. Jede Ware hat viele Tauschwerte.

Mit der größeren Erfahrung und Häufigkeit befestigt sich das quantitative Verhältnis, in dem der einzelne Produzent seine Ware gegen eine Vielzahl anderer austauscht.

Die totale oder entfaltete Wertform ist in diesem Sinne ein Ausdruck der sich vertiefenden direkten gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Gemeinwesen und der allmählichen Herausbildung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Damit verbunden, entwickelt sich der Austausch zwischen den Stämmen, innerhalb der Stämme und mehr und mehr zwischen einzelnen Privateigentümern. Die Existenzbedingungen der einfachen
Warenproduktion und ihr Grundwiderspruch bilden sich heraus. Die Wert- oder Austauschverhältnisse haben sich erweitert. Die totale oder entfaltete Wertform ist eine Erscheinungs- und Entwicklungsform des auf höherer Ebene reproduzierten Widerspruchs zwischen Gebrauchswert und Wert. Dieser
Widerspruch umfaßt jetzt die Gesamtheit der Waren, da nun die Ware A nicht mehr nur einer einzelnen anderen Ware gegenübersteht, sondern der gesamten Warenwelt. Der Wert erscheint erst jetzt als wahrhaft unterschiedslose Arbeit, betont Marx. „Als Ware ist sie Bürger dieser Welt. Zugleich liegt in der endlosen Reihe seiner Ausdrücke, daß der Warenwert gleichgültig ist gegen die besondere Form des Gebrauchswerts, worin er erscheint.“70

Aber auch in dieser Entwicklungsform ist der relative Wertausdruck der Ware, wie Marx fortfährt, noch unfertig. Seine Darstellungsreihe schließt nie ab. Jede Ware, die als Äquivalent dient, erfüllt diese gesellschaftliche Funktion nur vorübergehend. Dadurch entsteht eine Vielzahl von Äquivalentfunktionen, die einander ausschließen und so den Austauschprozeß in seiner Ausbreitung noch hemmen. Auch der Widerspruch zwischen privater und gesellschaftlicher Arbeit, zwischen konkreter und abstrakter Arbeit ist in seiner vollen Entfaltung noch gehemmt. Das liegt daran, daß die konkrete, private Arbeit der Privatproduzenten zwar ihre totale Erscheinungsform in einer Summe von abstrakten, gesellschaftlichen Arbeiten findet, aber noch nicht über eine einheitliche Erscheinungsform verfügt.

Der Wert einer Ware muß solch eine Form annehmen, die sie in ein Verhältnis qualitativer Gleichheit und quantitativer Proportionalität zu allen anderen Waren setzt.

Auf der erreichten Entwicklungsstufe der Arbeitsteilung und der sich verfestigenden Austauschbeziehungen wird die Notwendigkeit eines allgemeinen Äquivalents, einer speziellen Ware, die Geldfunktionen übernehmen kann, immer dringender.