Ware und Geld

5.
Der Fetischcharakter der Ware und des Geldes

Die bisherige Untersuchung der Ware und des Geldes läßt eine Erscheinung der privaten Warenproduktion sichtbar werden, die Marx als Waren- und Geldfetischismus charakterisierte. Sowohl im „Kapital“ als auch in den „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“ beschäftigte er sich ausführlich mit dieser Erscheinung.

Als einzelner Gebrauchsgegenstand scheint die Ware eine ganz einfache Sache zu sein, die keine besonders auffallenden Eigenschaften hat. „Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr“, stellt Marx fest.126 Sie dient als Gebrauchswert dazu, bestimmte menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.

In ihrer Beziehung zur übrigen Warenwelt zeigt die Ware jedoch eine völlig andere Daseinsweise. Sie scheint mit den verschiedensten eigentümlichen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgestattet zu sein. In der privaten Warenproduktion, die auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht, werden die Produzenten gewissermaßen von ihren Produkten beherrscht, die ihnen gegenüber als eine „außer ihnen stehende Gewalt, von der sie nicht wissen woher und wohin, die sie also nicht mehr beherrschen können, die im Gegenteil nun (als) eine eigentümliche, vom Wollen und Laufen der Menschen unabhängige“127 Macht auftritt. Es entsteht der Schein, als wäre die Ware mit selbständigem Leben erfüllt und habe entscheidende Macht über Produzenten erlangt. Das Leben und Wohlergehen ihres Besitzers ist der Bewegung der Ware unterworfen und von ihr abhängig. Die Warenproduzenten befinden sich in sachlicher Abhängigkeit. „Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“128

Diese Erscheinung, daß die gesellschaftlichen Beziehungen als Natureigenschaften der Waren zutage treten und Gewalt über die Menschen zu erlangen scheinen, nennt Karl Marx, in Analogie zur „Nebelregion der religiösen Welt“, den Fetischcharakter der Waren.

Bekanntlich werden in religiösen Vorstellungen bestimmten Dingen geheimnisvolle Kräfte zugeschrieben, wodurch diese als Fetisch angeblich Gewalt über die Menschen erhalten. Der Fetischcharakter der Waren ist keine subjektive Illusion, sondern eine objektive reale Erscheinung, die sich auf der Grundlage der entfalteten privaten Warenproduktion entwickelt. „Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt … aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.“129

Die letzte Grundlage des Warenfetischismus sind die gesellschaftlichen Verhältnisse der privaten Warenproduktion. Durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln erscheinen die Warenproduzenten als von der Gesellschaft unabhängig. Ihre Arbeit tritt unmittelbar als private Arbeit auf. In der Tat sind sie aber durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung in der gesellschaftlichen Produktion miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. Ihre Arbeit trägt dem Wesen nach gesellschaftlichen Charakter. Dieser gesellschaftliche Charakter wird aber nur indirekt, auf dem Umweg über den Warenaustausch, verwirklicht und sichtbar.130

Die Warenproduzenten treten im Rahmen des Reproduktionsprozesses erst über den Warenaustausch in gesellschaftliche Beziehungen zueinander. Bei diesem Tausch setzen die Menschen faktisch ihre Arbeit gleich. Eine entscheidende Frage hierbei ist die Anerkennung der privat geleisteten Arbeit als gesellschaftliche Arbeit. An der Oberfläche nimmt diese Gleichsetzung der Arbeit der Produzenten die Form der Gleichsetzung der Waren an.

Die Waren vermitteln somit den gesellschaftlichen Kontakt der durch das Privateigentum isolierten privaten Warenproduzenten und erhalten dadurch eine besondere gesellschaftliche Rolle.

Produzieren beispielsweise ein Bauer Weizen und ein Weber Leinen für den Markt und tauschen sie danach ihre Waren aus, so treten sie in bestimmte gesellschaftliche Beziehungen miteinander. Aber ihre Beziehungen vollziehen sich nur über die Beziehungen der Waren. Die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen zueinander treten in Form von Warenbeziehungen auf. Sie treten in dinglicher Hülle zutage.

Der Warenfetischismus ist also eine entstellte, objektiv in der privaten Warenproduktion selbst wurzelnde Erscheinung des Wesens gesellschaftlicher Verhältnisse. Er spiegelt den Widerspruch zwischen konkreter und abstrakter, zwischen privater und gesellschaftlicher Arbeit wider.131 Dabei wird der Fetischcharakter der Waren wesentlich durch das spontane Wirken des Wertgesetzes in der privaten Warenproduktion gefestigt.

Die privaten Warenproduzenten produzieren infolge der Existenz des Privateigentums an den Produktionsmitteln isoliert voneinander. Erst auf dem Markt zeigt sich der gesellschaftliche Zusammenhang ihrer Privatarbeiten, indem sich jedes Arbeitsprodukt und die zu seiner Produktion aufgewandte Arbeitszeit als nützlich und gesellschaftlich notwendig erweisen muß. Dabei kommt es unweigerlich zu spontanen Veränderungen der Wertgröße der Waren, die sich in den Abweichungen der Preise vom Wert äußern. Das führt dazu, daß der Wert in den Augen der Warenbesitzer als eine geheimnisvolle Eigenschaft der Waren an sich erscheint, die ihnen gewissermaßen von Natur eigen ist.

„Der gesellschaftliche Charakter der Tätigkeit, wie die gesellschaftliche Form des Produkts, wie der Anteil des Individuums an der Produktion erscheint hier als den Individuen gegenüber Fremdes, Sachliches; nicht als das Verhalten ihrer gegeneinander, sondern als ihr Unterordnen unter Verhältnisse, die unabhängig von ihnen bestehn und aus dem Anstoß der gleichgültigen Individuen miteinander entstehn. Der allgemeine Austausch der Tätigkeiten und Produkte, der Lebensbedingungen für jedes einzelne Individuum geworden, ihr wechselseitiger Zusammenhang, erscheint ihnen selbst fremd, unabhängig, als eine Sache. Im Tauschwert ist die gesellschaftliche Beziehung der Personen in ein gesellschaftliches Verhalten der Sachen verwandelt; das persönliche Vermögen in ein sachliches.“132

Der Warenfetischismus entfaltet sich mit der Entwicklung der privaten Warenproduktion. Eine entwickelte Form des Fetischcharakters der Waren ist der Geldfetischismus. Für Geld ist in der kapitalistischen Warenproduktion alles käuflich, und es scheint, als sei das eine natürliche Eigenschaft des Geldes oder des Goldes. Unter den Verhältnissen der kapitalistischen Warenproduktion verkörpert das Geld tatsächlich eine Macht (wie schon in früherem Zusammenhang erläutert wurde). Diese Macht ist aber dem Geld nicht von Natur eigen. Das Geld erlangt diese Verkörperung von gesellschaftlicher Macht vielmehr dadurch, daß es als Verkörperung abstrakter, anerkannter gesellschaftlicher Arbeit wichtige gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt.

Das ist möglich, weil es als historisches Produkt der Warenproduktion die Funktion eines allgemeinen Äquivalents ausübt.133 Dabei drückt sich der Fetischcharakter nicht darin aus, daß das Geld gesellschaftliche Macht verkörpert, sondern darin, daß dem Geld diese Macht als naturgegeben zugeschrieben wird.

„Das Rätsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Rätsel des Warenfetischs“, charakterisiert Marx die Entwicklung des Geldfetischismus.134

Die höchste Form des Fetischcharakters der Waren in der privaten Warenproduktion ist der Kapitalfetischismus, wonach angeblich die Produktionsmittel von Natur aus Kapital seien und einen Profit abwürfen. Die Produktionsmittel werden aber nur dann zu Kapital, wenn sie zur Ausbeutung der Lohnarbeiter dienen. „Diese ihre kapitalistische Seele ist aber im Kopfe des (bürgerlichen) politischen Ökonomen so innig mit ihrer stofflichen Substanz vermählt, daß er sie unter allen Umständen Kapital tauft“, bemerkt Karl Marx hierzu.135 Damit wird die Eigenschaft, Kapital zu sein, als natürliche Eigenschaft der Produktionsmittel ausgegeben und auf diese Weise sein Wesen als gesellschaftliches Ausbeutungsverhältnis verschleiert.

Der Warenfetischismus hängt in seinen verschiedenen Erscheinungs- und Entwicklungsformen eng mit der Entfremdung der Arbeit, insbesondere im Kapitalismus zusammen.136 Ähnlich wie der Waren- und der Geldfetischismus bedeutet die Entfremdung der Arbeit die Lostrennung und Verwandlung der Produkte der Menschen in selbständige Subjekte, die Macht über die Menschen gewinnen. Die vom Arbeiter für den Kapitalisten geschaffenen Waren treten ihm als eine fremde Macht gegenüber und seine eigene Arbeit entfremdet sich ihm. Sie wird zu einem Zwang. Dadurch wird das menschliche Wesen des Arbeiters stark deformiert.137

Somit ist auch die Entfremdung der Arbeit in der kapitalistischen Warenproduktion ihrem Wesen nach fetischistisch. Obgleich Entfremdung und Fetischismus viele gemeinsame Züge haben, gibt es doch bestimmte Unterschiede. Während der Waren- und der Geldfetischismus vor allem die Verdinglichung der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellen, drückt die Entfremdung vorrangig die Scheidung der Arbeitsbedingungen von der Arbeit und die Lostrennung der Arbeit und ihrer Früchte von den Produzenten, den Arbeitern, aus. Sie charakterisiert so den Gegensatz zwischen Arbeitern und Kapitalisten. Dem Waren-, Geld- und Kapitalfetischismus unterliegen dabei Arbeiter und Kapitalisten, während die Entfremdung prinzipiell die Ausgebeuteten betrifft.

Aus den Existenzbedingungen und der Herausbildung des Warenfetischismus wird bereits sichtbar, daß er eine historische Erscheinung ist. In der Naturalwirtschaft gab es ihn nicht. Er findet seinen Nährboden erst in der privaten Warenproduktion und entwickelt sich in der kapitalistischen Warenproduktion zur vollen Blüte. Hier wird die Warenform zur „Elementarform“ des gesellschaftlichen Reichtums, und alles gerät in den Strudel des Kaufs und Verkaufs. Alle wesentlichen gesellschaftlichen Beziehungen werden durch Waren und Geld vermittelt.