Ware und Geld

6.1
Das Wesen des Wertgesetzes.
Seine Wirkungsbedingungen in
der einfachen Warenproduktion

Unter den Bedingungen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und des Privateigentums an den Produktionsmitteln ist der Warenaustausch die Form, in der der gesellschaftliche Zusammenhang der Produktion sichtbar wird. Das Wertgesetz besagt, daß sich die Wertgrößen der Waren zueinander entsprechend der zu ihrer Produktion und Reproduktion gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit verhalten.138 Es ist das ökonomische Gesetz der privaten Warenproduktion, das die Bedingung der Austauschbarkeit von Produkten gleicher gesellschaftlichen Arbeit gegeneinander beinhaltet.

Ist der Wert der Ware in der einfachen Warenproduktion ein unter sachlicher Hülle verstecktes gesellschaftliches Verhältnis, so realisiert das Wertgesetz über den Austausch diesen objektiven, inneren, notwendigen und wiederholbaren gesellschaftlichen Zusammenhang der Privatproduzenten. Das erklärt sich in erster Linie daraus, daß der Austausch der Waren selbst der Prozeß der „Erzeugung bestimmter gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse ist“, die die Privatproduzenten untereinander eingehen.139 Das Wertgesetz ist die Grundlage der Reproduktion der bestehenden Produktionsverhältnisse der privaten Warenproduktion. Vor allem durch das Wertgesetz entfalten sich über den Austausch der Grundwiderspruch der einfachen Warenproduktion, das heißt der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher und privater Arbeit,140 der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert, zwischen Ware und Geld und alle anderen Widersprüche.

Alle Widersprüche der einfachen Warenproduktion werden durch seine Wirkung im Austausch zeitweilig gelöst und dadurch wieder neu reproduziert.

Das Wertgesetz ist in der einfachen Warenproduktion der Regulator der Produktion. Es ist der Motor der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Es bewirkt die sozialökonomische Differenzierung der Produzenten. Das Wertgesetz reproduziert über diese drei Funktionen innerhalb der einfachen Warenproduktion die Produktionsverhältnisse der Warenproduzenten als den Produzenten gegenüberstehende, scheinbar unabhängige, fremde Machtverhältnisse. Je mehr auf der Grundlage des Wertes der Warenaustausch und mit ihm der gesellschaftliche Charakter der Produktion wächst, desto mehr setzt sich das Tauschverhältnis als eine von den Warenproduzenten unabhängige Macht fest. Dabei entwickelt sich mit der Wirkung des Wertgesetzes eine zunehmende Entfremdung der gesellschaftlichen Beziehungen der Produzenten. Je mehr sich die private Warenproduktion vertieft und verbreitet, desto stärker verselbständigen sich die wechselseitigen Produktionsbeziehungen. Ihre Entfremdung und Mystifizierung gegenüber den Menschen erreicht in der kapitalistischen Produktionsweise ihren Höhepunkt.

Das Wertgesetz setzt sich auf dieselbe Weise durch, wie sich alle anderen ökonomischen Gesetze in einer Gesellschaft von Privatproduzenten durchsetzen müssen: „als in den Dingen und Verhältnissen liegendes, vom Wollen … der Produzenten unabhängiges, blind wirkendes Naturgesetz“.141 Aus diesem Grunde macht sich das Wertgesetz gegenüber den Warenproduzenten als Zwangsgesetz der Konkurrenz geltend.

Unter den Bedingungen des Privateigentums an den Produktionsmitteln signalisieren nur die Abweichungen der erzielten Preise vom Wert den Warenproduzenten, ob ihre Waren zu gesellschaftlich durchschnittlichen Produk-tionsbedingungen produziert wurden und ob überhaupt im gesellschaftlichen Rahmen ein entsprechendes Bedürfnis der betreffenden Waren existiert.

Ohne diese durch den erzielten Preis gegebenen Signale wüßten die Warenproduzenten in der einfachen Warenproduktion nicht, welche Waren tatsächlich in welcher Menge und Qualität gebraucht werden.

Nur auf der Grundlage des Äquivalentenaustausches realsieren die unmittelbaren Produzenten den alten Wert, der in ihren Waren enthalten ist, und haben entsprechend dem von ihnen geschaffenen neuen Wert Anteil an der gesellschaftlich neu geleisteten Arbeit.

Das Wertgesetz drückt daher aus, daß nur der Äquivalentenaustausch, der Tausch zu gleichen Werten, den reibungslosen Fortlauf des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses sichert.

Da sich die gesellschaftliche Produktion der privaten Warenproduzenten anarchisch, das heißt ohne gesellschaftliche Planung vollzieht, kennt keiner von ihnen die Wertgröße der Waren und das gefragte Sortiment unmittelbar. Als Verkäufer versuchen sie, möglichst viel für ihre Ware zu erhalten. Als Käufer von Waren dagegen sind sie bestrebt, den Preis möglichst niedrig zu halten, ihn zu drücken. Welcher Preis nun wirklich erzielt wird, das hängt von den wechselnden Verhältnissen zwischen Angebot und Nachfrage ab, die selbst wieder durch die Härte und die Ausdehnung des Konkurrenzkampfes der einfachen Warenproduzenten untereinander auf dem Markt bestimmt werden.

So zeigt sich, daß das Wertgesetz bereits in der einfachen Warenproduktion einen inneren dialektischen Widerspruch einschließt: Obwohl der Äquivalentenaustausch die unbedingte Voraussetzung des Wirkens des Wertgesetzes ist, wird die ständige Verletzung dieses Äquivalentenaustausches die un-mittelbare Form, in der es sich entfaltet.

Der Äquivalentenaustausch ist das Gesetzmäßige, das Rationelle, zu dem die gesamte Entwicklung des Reproduktionsprozesses immer wieder tendiert.142 Dadurch jedoch, daß sich die Produktion anarchisch und spontan entwickelt, ist die Abweichung des Preises vom Wert die Regel, die Übereinstimmung von Preis und Wert jedoch das Zufällige, das Vorübergehende. Die Verletzung des Äquivalentenaustausches ist in der einfachen und in besonderem Maße in der kapitalistischen Warenproduktion die spezifische, charakteristische Form der Durchsetzung des Wertgesetzes.

Das Wertgesetz setzt um den Preis wachsender Vergeudung gesellschaftlicher Produktivkräfte jene Entwicklungsbedingungen der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse durch, die für die Entfaltung der einfachen Warenproduktion notwendig sind. Es bereitet die Entstehung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse vor, indem mit der Ausdehnung von Warenaustausch und -produktion die Herrschaft der feudalen Produktionsverhältnisse, der Verhältnisse persönlicher Abhängigkeit und Knechtschaft, gebrochen wird.143

Das Wertgesetz kann sich erst auf der Grundlage der kapitalistischen privaten Warenproduktion voll durchsetzen.144 In der einfachen Warenproduktion
waren folgende Wirkungsbedingungen des Wertgesetzes nicht voll entfaltet:

  • Es gab noch keine gesamtgesellschaftliche Herausbildung einer relativ festen Arbeitsteilung zwischen den Produzenten. In der Warenproduktion im Mittelalter waren beschränkter Austausch und beschränkter Markt, lokaler Abschluß nach außen und lokale Vereinigung nach innen Merkmale der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
  • Weder die ganze Tätigkeit, noch das ganze Arbeitsprodukt des Produzenten waren vom Austausch abhängig. Nur ein bestimmter Überschuß wurde im gesamten nationalen Rahmen ausgetauscht, schreibt Marx.145
  • Nur das, was in den Austausch gelangte (zum Beispiel an den Markttagen der Städte die Produkte der Bauern und der städtischen Handwerker), und die am Austausch teilnehmenden Produzenten waren der Wirkung des Wertgesetzes unterworfen.
  • Die Tauschfähigkeit der Produkte war noch begrenzt. Die einzelne Ware konnte noch nicht mit einer beliebig großen Anzahl anderer Waren ausgetauscht werden.
  • Produktionszeit und -aufwand sowie Arbeitsproduktivität konnten sich noch nicht als gesellschaftliche Durchschnittsgrößen realisieren. Die Wertgröße existierte noch nicht als nationales gesellschaftliches Maß. Erst durch ihre Betätigung als Wertgrößen wird der Wertcharakter der Arbeitsprodukte gesellschaftlich stabil.146

Die ganze innere ökonomische Struktur der vorkapitalistischen Ausbeutergesellschaften wurde also noch relativ wenig vom Wertgesetz beeinflußt. Es entfaltet sich erst voll unter solchen Bedingungen, wo das Wertverhältnis alle Wirtschaftsbereiche und alle Phasen des Reproduktionsprozesses durchdringt. In der einfachen Warenproduktion beruhte die Erzeugung der Waren auf der Identität von Arbeit und Eigentum. Der Produzent war Eigentümer der Produktionsmittel, die er selbst anwendete. Bedingung der vollen Entfaltung des Wertgesetzes ist jedoch gerade die Trennung des Eigentums von der Arbeit und damit die Entwicklung der kapitalistischen Warenproduktion. Die historisch progressive Auswirkung des Wertgesetzes in der einfachen Warenproduktion besteht darin, daß es wesentliche Voraussetzungen für die kapitalistische Warenproduktion hervorrief.