Ware und Geld

Vorbemerkung

Karl Marx stellte sich in seinem Lebenswerk „Das Kapital“ die Aufgabe, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen“.1 Er meinte damit das Bewegungsgesetz des Kapitalismus. Mit der Lösung dieser Aufgabe wies er wissenschaftlich nach, daß es die historische Mission der Arbeiterklasse ist, die kapitalistische Ausbeutung und mit ihr jede Form der Ausbeutung im revolutionären Kampf zu beseitigen und die von jeder Ausbeutung freie, klassenlose, kommunistische Gesellschaft aufzubauen.

„Das Kapital“ beginnt aber nicht unmittelbar mit der Untersuchung und Darstellung der kapitalistischen Ausbeutung, sondern mit dem Abschnitt „Ware und Geld“. Das Studium dieses Abschnitts bereitet verhältnismäßig große Schwierigkeiten. Karl Marx schrieb selbst im Vor- und im Nachwort zur französischen Ausgabe des „Kapitals“: „Die Untersuchungsmethode, deren ich mich bedient habe und die auf ökonomische Probleme noch nicht angewandt wurde, macht die Lektüre der ersten Kapitel ziemlich schwierig …“ Er schließt seine Bemerkungen mit dem Hinweis: „Das ist ein Nachteil, gegen den ich nichts weiter unternehmen kann, als die nach Wahrheit strebenden Leser von vornherein darauf hinzuweisen und gefaßt zu machen. Es gibt keine Landstraße für die Wissenschaft, und nur diejenigen haben Aussicht, ihre lichten Höhen zu erreichen, die die Mühe nicht scheuen, ihre steilen Pfade zu erklimmen.“2

Die Untersuchungsmethode, von der Karl Marx spricht, ist die Methode des dialektischen Materialismus, zu deren wichtigen Bestandteilen die logische und die historische Methode der Darstellung gehören.3 Daran muß der Studierende denken, wenn er mit dem Studium des ersten Abschnitts des „Kapitals“ beginnt.

Historisch und logisch steht vor der kapitalistischen Produktionsweise, die eine Form der privaten Warenproduktion ist, die einfache Warenproduktion der Bauern und Handwerker.

Historisch betrachtet, ist die einfache Warenproduktion einige Jahrtausende älter als die kapitalistische Warenproduktion.4 Die kapitalistische Warenproduktion hat sich aus der einfachen Warenproduktion entwickelt, nachdem sich im Feudalismus die gesellschaftlichen Voraussetzungen dazu entwickelt und in der ursprünglichen Akkumulation und der industriellen Revolution durchgesetzt hatten.

Logisch betrachtet, sind die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Warenproduktion nur aus der Analyse der einfachen Warenproduktion zu verstehen, ist der Mehrwert erst zu begreifen, wenn der Wert, sein gesellschaftlicher Charakter und seine Quelle, enthüllt worden ist. In diesem Sinne schrieb Karl Marx an Friedrich Engels: „… daß gleich in der einfachsten Form, der der Ware, der spezifisch gesellschaftliche, keineswegs abolute Charakter der bürgerlichen Produktion analysiert ist.“5

In dieser Äußerung von Karl Marx kommt zugleich die eminent praktisch-politische Bedeutung der Analyse der Ware und des Geldes für das Verständnis der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft zum Ausdruck. Sowohl die bürgerlichen Ökonomen als auch die kleinbürgerlichen Sozialisten gingen von der These aus, die Warenproduktion wäre eine von Natur gegebene Form der Produktion. Die bürgerlichen Ökonomen erklärten und erklären auch heute, daß die kapitalistische Produktionsweise von ewigem Bestand sei. Die kleinbürgerlichen Sozialisten verbreiteten ihrerseits die Auffassung, die kapitalistische Ausbeutung könne auch bei Fortbestand der kapitalistischen Warenproduktion aufgehoben werden.

Beide verwirrten die sich entwickelnde Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung mit ihren falschen Theorien und hinderten sie daran, den Klassencharakter der kapitalistischen Produktionsweise und damit das Ziel ihres Kampfes gegen den Kapitalismus zu erkennen.

Die Analyse der Ware, ihrer Widersprüche und ihrer Existenzbedingungen gab Karl Marx die Möglichkeit, nachzuweisen, daß die Behauptung, die Warenproduktion sei die dem Menschen von Natur gegebene Produktionsweise, vor der Geschichte nicht standhält und daß die „Mängel“ der kapitalistischen Warenproduktion ihr nicht durch subjektive Fehlleistungen der Kapitalisten aufgepflanzt, sondern untrennbar mit ihr verbunden sind.

Karl Marx schätzte selbst die Bedeutung seiner Entdeckung, daß die Warenproduktion keine natürliche, sondern eine spezifische gesellschaftliche Form der Produktion ist, für den Klassenkampf der Arbeiterklasse in einem Brief an Ludwig Kugelmann ein: „Mit der Einsicht in den Zusammenhang“ – nämlich der historischen Bedingtheit der Warenproduktion und des Wertes der Waren – „stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände“6, also der ewigen Dauer der kapitalistischen Produktionsweise.

Die Marxschen Lehren von der Ware und dem Geld sind heute mehr denn je entscheidend sowohl für das Verständnis der Marxschen Mehrwerttheorie als auch unmittelbar für die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen und reformistischen Theorien von der „freien Marktwirtschaft“ oder der „sozialen Marktwirtschaft“.