RotFuchs 218 – März 2016

Das Herz darf nicht fehlen

Klaus Steiniger

Heute wollen wir an dieser Stelle auf theoretische Abstraktionen und „große Politik“ weitgehend verzichten, um uns einem Thema zuzuwenden, das keineswegs unterschätzt werden sollte, wenn es um die Zusammenführung oftmals mit dem Rücken zur Wand stehender Gleichgesinnter geht: die menschliche Dimension der Beziehungen untereinander. In der Kälte der auch uns im Osten nun schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert umgebenden menschenfeindlichen Eiszeit des Kapitalismus ist die warmherzige Verbundenheit aller auf unserer Seite der Barrikade Kämpfenden geradezu ein Lebens- und Überlebenselixier.

Mujeres – Frauen, so nannte die kubanische Künstlerin Zaida del Rio ihr Werk. Mit ihm grüßen wir all unsere Gefährtinnen in nah und fern zum Internationalen Frauentag, dessen Forderungen, Ziele und Anliegen heute aktueller denn je sind.

Als in der DDR scharfe und meist auch pointierte politische Witze zu Unzulänglichkeiten der verschiedensten Art oder in bezug auf unterstellte wie tatsächliche Schwächen bekannter Persönlichkeiten gang und gäbe waren, nahm man auch die „Kaderarbeit“ gerne aufs Korn. So karikierte man einen Funktionär, der nach einem Einstellungsgespräch mit einem in Erwägung gezogenen Kandidaten zu folgender Charakterisierung gelangte: „Als Genosse ist er ja gar nicht so übel, doch als Mensch taugt er wenig.“ Womit wir beim Kern der hier zur Debatte stehenden Frage angelangt sind.

Den meisten Älteren unter uns begegneten im Laufe des Lebens auch in den eigenen Reihen sehr unterschiedliche Charaktere. Sie haben neben einer Vielzahl großartiger Menschen auch ganz andere Typen kennengelernt: Aufsteiger um jeden Preis, Wichtigtuer, Brunnenvergifter und Selbstdarsteller, die sich unablässig durch das Vergrößerungsglas betrachteten, ohne dadurch ihr eigenes Wachstum fördern zu können. Bei den geringsten Anlässen waren sie dazu imstande, wahre Stürme im Wasserglas zu entfesseln. Doch Blasen besitzen bekanntlich zwei Eigenschaften: zu schillern und zu platzen.

Weitaus wichtiger ist, daß jeder von uns charakterliche Vorbilder, menschliche Stützpfeiler und zuverlässige Markierer des zu beschreitenden Weges kennengelernt hat.

Einen von ihnen stellen wir in den Mittelpunkt dieser RF-Ausgabe: unseren inzwischen 96jährigen Genossen Heinz Keßler. Seine Rede vor dem Moabiter Gericht der Sieger auf Zeit ist eine Dokumentation menschlicher und politischer Größe. Die darin zum Ausdruck kommende Treue zur Sache und ein hohes Maß an Fachwissen imponierten nicht nur Freunden. Das Verhalten dieses standhaften deutschen Kommunisten ruft Erinnerungen an das in die Geschichte eingegangene Auftreten Georgi Dimitroffs vor dem Leipziger Tribunal der Hitlerfaschisten wach.

Als Vorsitzender der Berliner FDJ seit den späten 40er Jahren zeichnete sich Heinz durch Kontaktfähigkeit, Schlichtheit und Wärme sowie den Verzicht auf die Suche nach Abstand zu seinen Mitstreitern aus. Das verschaffte dem Mitbegründer und Frontbeauftragten des Nationalkomitees Freies Deutschland, den die faschistische Justiz in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatte, schon in jungen Jahren ein außerordentlich hohes Ansehen.

Ab 1991 saß ich Heinz – dem in die Hände des Feindes gefallenen Armeegeneral und Verteidigungsminister der DDR – zuerst in der Besucherzelle des Moabiter Gefängnisses und später in zwei weiteren Haftanstalten, in denen er mehrere Jahre verbringen mußte, wiederholt gegenüber. Er war sich auch in dieser mißlichen Situation treu geblieben.

Zu Menschen aus solchem Holz gehört auch Oberst a. D. Günter Strobel, der nun schon seit etlichen Jahren unsere Dresdner Regionalgruppe leitet. Reichtum an Erfahrungen und ein daraus resultierendes sicheres Urteilsvermögen sowie eine starke menschliche Ausstrahlung zeichnen den einstigen Kaderchef der DDR-Grenztruppen aus, der den „RotFuchs“ schon in der Gefängniszelle erhielt, in die ihn Richter aus dem Westen geworfen hatten.

In Eberswalde haben die Mitglieder der dortigen Regionalgruppe vor kurzem Eckhard Laurich, einem Arbeiter mittleren Alters, die Leitung übertragen. „Schrammel-Ecke“, wie unser auch künstlerisch engagierter Mitstreiter genannt wird, ließ wissen, daß er sich funktionierende Beziehungen unter Gleichgesinnten nicht ohne eine enge menschliche Verbundenheit vorstellen könne.

Unlängst rief mich ein emeritierter Pastor aus dem Brandenburgischen an, der dort am „Uhu“ – einer geistreichen und thematisch weit gefächerten linksliberalen Zeitschrift – mitwirkt. In einem „Bündnis gegen rechts“ aktiv, habe ihm ein daran ebenfalls Beteiligter in der Vergangenheit gelegentlich einige Ausgaben des RF zukommen lassen, erfuhr ich. Sohn eines auf dem Marsch vom KZ Bergen-Belsen ums Leben gekommenen antifaschistischen Geistlichen, erinnerte er mich daran, daß wir vor mehr als 65 Jahren gemeinsam die Schulbank im Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster gedrückt hatten. Ab 1949 sei ich FDJ-Sekretär an dieser noch recht konservativ geprägten Schule gewesen – wohl keine leichte Aufgabe. Am Schluß eines etwa einstündigen weiteren Telefongesprächs bat mich Pastor Dietrich Wegmann darum, ihm jeden Monat einen „Umschlag mit 100 Gramm“ – er meinte die unseren Lesern nicht unbekannte Publikation – zukommen zu lassen. Auch wenn er nicht mit allem darin Geschriebenen übereinstimme, betrachte er die Lektüre als Gewinn.

Festigkeit in der Verteidigung eigener Positionen und maximale Öffnungsbereitschaft gegenüber allen, die den Menschen wirklich Gutes tun wollen – wobei die gemeinsame Verteidigung des Friedens das Beste ist –, darauf kommt es jetzt mehr denn je an.