Friedenserziehung in der DDR?
Niemand – und alle. Die Antwort war den jungen Pädagogen aus der BRD, die uns besucht hatten, natürlich allzu knapp und rätselhaft, um nicht einer näheren Erklärung zu bedürfen. Sie hatten gefragt, wer sich in der DDR mit „Friedenserziehung“ befasse.
Niemand – weil Erziehung zum Frieden bei uns keine Angelegenheit bestimmter Personen, besonderer Organisationen oder Institutionen ist, die sich gegen die widerstreitenden Zwänge herrschender gesellschaftlicher Mächte durchsetzen müssen. Hierzulande gibt es niemanden, der aus dem Kriegsgeschäft Profit ziehen könnte, und deshalb auch keine Gruppe von Rüstungskonzernen, die die Regierungspolitik dirigieren. Die hier herrschen, „profitieren“ allein vom Frieden, und dieser Umstand bestimmt notwendigerweise auch ihre Erziehungspläne. Insofern haben bei uns alle an der Erziehung zum Frieden teil.
Das Problem stellt sich anders, wo Kräfte und Mächte am Werke sind, die mit amerikanischen Präsidenten-Direktiven oder bundesdeutscher Revanchisten-Frommheit einen neuen – atomaren – Krieg ins Kalkül ziehen, ihn „denkbar“, sprich praktikabel machen wollen. Zwar etikettieren sie ihre Absichten heuchlerisch als „Abwehr“ einer „kommunistischen Bedrohung“, indessen richten sich die Pläne der Rüstungsmafia und ihrer politischen Agenturen – zumal beim heutigen Stand der Waffentechnik – gegen die Menschheit insgesamt. Es nimmt daher nicht wunder, daß sich Widerstand dagegen regt, daß sich der Friedensforschung und Friedenserziehung Menschen ganz unterschiedlicher Weltanschauung und politischer Couleur zuwenden (von jenen hier einmal abgesehen, die sich eines Friedens-Etiketts zur Tarnung ganz andersartiger Absichten bedienen). Wo es um die Lebensfrage der Menschheit geht, kann es auch keine Rolle spielen, welche Unterschiede nach sozialer Stellung, politischer Ansicht, weltanschaulicher Überzeugung oder konfessionellem Bekenntnis es jeweils geben mag.
Gerade die Ehrenhaftigkeit ihres Anliegens verlangt es aber, die Verfechter der Friedenserziehung in der BRD auch auf Irrtümer und falsche Denkansätze aufmerksam zu machen. Die können gerade dort besonders schwerwiegend sein, wo die für die Verhinderung von Kriegen zentrale Frage aufgeworfen wird: die Frage nämlich nach den Ursachen des Krieges. Daß sie eben denen höchst unwillkommen sein muß, die sozusagen berufsmäßig das Geschäft des Krieges betreiben, ist begreiflich. Daher war es wohl kaum ein Zufall, daß diese Kräfte sofort mobil wurden, als Friedensforschung und Friedenserziehung in der BRD ihre ersten Anläufe nahmen.
Den Kriegsursachen auf den Grund gehen zu wollen, bezeichnete ein Hauptmann d. R. in der offiziösen BRD-Zeitschrift „Wehrkunde“ damals kurzweg als utopisch, „weil die bisherigen Versuche, die Kriegsursachen zu finden, gescheitert sind“. Wenn die Medizin nach dieser Logik verführe, würden wir noch heute von der Cholera dahingerafft werden, einmal ganz abgesehen von der Borniertheit dieses Reservehauptmanns, dem natürlich entgangen ist, daß die Kriegsursachen längst bekannt sind. „Das Ideal des ewigen Friedens“ – so der wackere Hauptmann dann weiter – „entzieht sich dem wissenschaftlichen Denken.“
Das möchten sie gerne: die Kriegsursachen dem wissenschaftlichen Denken entziehen, das Geheimnis, wie Kriege gemacht werden, hinter dem Schleier der Mythen verbergen.
Zu den unwissenschaftlichen Auffassungen und Theorien, von denen auch manche bürgerlichen Vertreter der Friedenserziehung nicht frei sind, gehören nun allerdings auch solche, die den Krieg aus der „Natur des Menschen“, aus einem angeborenen „Aggressionstrieb“ oder überhaupt aus psychischen Faktoren erklären, als sei der zweite Weltkrieg ausgebrochen, weil ein gewisser Alois Schicklgruber seiner Triebe nicht Herr werden konnte. Gewiß gibt es, wo man auf unsicherem ideologischem Boden steht, Gründe, die es schwermachen, zu den entscheidenden, nämlich sozialökonomisch bedingten Grundursachen der Kriegspolitik und des Krieges vorzustoßen. Sie sind letztlich nur über marxistisches Denken zu erschließen. Aber ohne „Vorurteile“, „Stereotypien“, „Verzerrungen des Partners“, „Vereinfachungen“ an die nackten Tatsachen heranzugehen, diese Tatsachen nüchtern zu analysieren und Schlußfolgerungen für das Handeln daraus zu ziehen, das würde schon einen wesentlichen Erkenntnisgewinn erbringen.
Wenn die Grundprämissen falsch sind, von denen man ausgeht, dann stoßen nun einmal auch die Schlußfolgerungen ins Leere – oder kehren sich gar gegen die eigene Intention. Wenn von der Friedenserziehung gefordert wird, „für das als richtig Erkannte einzutreten“, kann man aus vollem Herzen zustimmen. Nur muß man, wofür einzutreten ist, eben auch richtig erkennen.
Redaktionell bearbeitet aus „Weltbühne“ 45/1980
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