RotFuchs 193 – Februar 2014

Sozialisten, Kommunisten und Christdemokraten in einem Boot

„Neue Mehrheit“ triumphierte in Chile

RotFuchs-Redaktion

In Chile wurde die von der einst durch Salvador Allende geführten Sozialistischen Partei aufgestellte Ärztin Michelle Bachelet am 15. Dezember mit einem Stimmenanteil von über 62 % zur neuen Staatspräsidentin gewählt. Schon einmal – von 2006 bis 2010 – hatte sie dieses Amt bekleidet. Damals lastete das Erbe der Ära Pinochets noch stark auf der Andenrepublik. Auch der Einfluß der zu Zeiten Luis Corvalans, Pablo Nerudas und Gladys Marins starken KP Chiles kam damals noch nicht wieder hinreichend zum Tragen. So war es möglich, daß der faschistoide Politiker Sebastian Piñera für vier Jahre als Präsident in die Moneda einziehen konnte. Er war das erste Staatsoberhaupt aus der politischen Rechten Chiles, dem das nach Pinochets Sturz im Jahre 1990 gelang. Nach der Rückkehr zu einer fragilen bürgerlichen Demokratie war das Land zunächst von Kräften der linken Mitte regiert worden.

Der jüngste Wahlsieg wurde erstmals wieder durch ein Parteienbündnis der Linken und des Zentrums – die Christdemokraten waren dabei mit im Boot – unter der Bezeichnung „Neue Mehrheit“ errungen. Ihm gehört auch die KP Chiles an. Unter anderem wurden als deren Vertreter die nicht nur im Inland für Schlagzeilen sorgende Anführerin des nationalen Studentenstreiks Camila Vallejo und die Vorsitzende des Kommunistischen Jugendverbandes Karol Cariola ins Parlament gewählt.

Michelle Bachelet ist die Tochter eines 1973 zu Allende haltenden und an den Folgen von Haft und Folter verstorbenen Generals. Nach dem Pinochet-Putsch lebte sie wie viele Mitglieder der SP gemeinsam mit ihrer Mutter in der DDR, wo sie auch das Medizinstudium abschloß.

In der Wahlkampagne bekannte sich Michelle Bachelet eindeutig zu linken Positionen. Sie kündigte an, in den ersten 100 Tagen ihrer Präsidentschaft 50 soziale Verbesserungen einführen zu wollen, darunter die Schaffung eines staatlichen Rentenfonds neben der bisher allein bestehenden privaten „Altersvorsorge“. Außerdem wolle sie für erhebliche Investitionen im Bildungssektor Sorge tragen. Es handelt sich dabei um Schritte, mit denen der gravierenden Ungleichheit zwischen einer winzigen schwerreichen „Oberschicht“ und der Masse der Landesbürger entgegengewirkt werden soll. In Chile gilt der „freie Markt“ bis heute gewissermaßen als sakrosankt. Auch Michelle Bachelet wagte ihn in ihrer ersten Amtszeit nicht anzutasten. So unternahm sie damals fast keinerlei Schritte zur Eindämmung der Armut – von der Einführung einer bescheidenen Witwenrente abgesehen. Gerade deshalb hatte Piñera mit seinen großspurigen Versprechungen leichtes Spiel. Da er dann jedoch nicht ein Jota davon einlöste und sich die bestehenden Mißstände sogar noch potenzierten, gaben ihm die Chilenen den Laufpaß.

Seit dem Ende der Pinochet-Ära bestimmen immer mehr Nachgeborene das politische Klima im Land. Sie wollen nicht, daß sich die Eltern für die Begleichung der enorm hohen Studiengebühren ihrer Kinder verschulden. Sie stellen auch die Frage nach der Beseitigung der krassen Unterschiede zwischen öffentlicher und privater Gesundheitsfürsorge, entfallen doch auf einen vom Staat angestellten Arzt 920, auf einen frei praktizierenden Mediziner aber nur 279 Patienten.

Die in den letzten Jahrzehnten unveränderte soziale Misere erklärt die hochprozentige Abstinenz an den Wahlurnen. So lag die Abstimmungsbeteiligung im Jahr 2012, als über die Zusammensetzung der Stadträte entschieden wurde, noch unter 40 %. Jetzt könnte Chile in gewisser Weise an einem Wendepunkt stehen. Obwohl breite Schichten seiner Bürger den meisten Politikern nicht vertrauen, glauben sie zugleich an die eigene Kraft. Das zeigte sich am deutlichsten in der landesweiten Unterstützung des bereits erwähnten Studentenstreiks. Um wirklich etwas zu erreichen, bedürfte es allerdings tiefgreifender Verfassungsänderungen, da die derzeitige Konstitution noch aus den Tagen der Pinochet-Ära stammt und so den Streitkräften ein erhebliches Interventions- und Entscheidungsrecht gegenüber gewählten Volksvertretern einräumt. Beispielsweise wird ein Fünftel aller Senatoren vom Militär bestimmt, ohne daß die Präsidentin dagegen einschreiten kann, selbst selbst bei einer linken Parlamentsmehrheit.

Wenn Chile der Hinterlassenschaft Pinochets tatsächlich ein Ende bereiten will, muß sich sein Volk dieser konstitutionellen Fessel entledigen. Michelle Bachelet hat schon während der Wahlkampagne die Absicht durchblicken lassen, „Kommissionen einsetzen zu wollen, um mögliche Wege zu einer Modifikation der Verfassung zu erkunden“. Das trägt dem innenpolitischen Kräfteverhältnis zwar Rechnung, bedeutet aber nicht allzuviel.

Chiles weitere Entwicklung bleibt also spannend.

RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel