RotFuchs 229 – Februar 2017

Oppositionsfähig werden!

Eckart Spoo

Demokratie braucht Opposition. Das klingt, als wäre es selbstverständlich. Aber für die Herrschenden klingt es anders. Sie bekämpfen oder lassen bekämpfen, was ihre Herrschaft gefährden könnte. Die alljährlichen „Verfassungsschutz“-Berichte der Innenminister sagen es deutlich: Gegen die real existierende Herrschaft des Kapitals darf man nicht opponieren – obwohl die nach der Niederschlagung des Nazi-Regimes beschlossene Verfassung die Entscheidung über das Wirtschaftssystem offen läßt und Sozialisierungen fürs Gemeinwohl ausdrücklich vorsieht. Permanent wird gesellschaftlich hervorgebrachter Reichtum privatisiert, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich, und die vorhandenen Institutionen und Mechanismen zur demokratischen Kontrolle der Wirtschaft sind so schwach, daß durch brutale Ausbeutung von Mensch und Umwelt die natürlichen Lebensgrundlagen irreparable Schäden erleiden. Die Medien, weitgehend konzentriert bei wenigen großen Konzernen, vertreten zuverlässig das Interesse des Kapitals an Festigung seiner Herrschaft, das ihr eigenes Interesse ist. Ihre tägliche Hauptleistung besteht darin, Interessengegensätze zu verschleiern. Zum nationalen Konsens, um den sie sich bemühen, gehört mehr und mehr auch die Akzeptanz von Angriffskriegen zur Eroberung von Rohstoffvorkommen und Absatzmärkten und zur Ausschaltung von Konkurrenz.

Opposition braucht Grundrechte, vor allem Meinungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Streikrecht, Widerstandsrecht. Die Herrschenden brauchen nichts davon. Im Gegenteil: Sie versuchen, alle Grundrechte unwirksam zu machen. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist eine Geschichte der Einschrän­kung und Aushöhlung von Grundrechten. Bewegungen wie die Kampagne für Demokratie und Abrüstung (Ostermarschbewegung) haben sich dem Grundrechts­abbau entgegengestellt, ihn aber nicht verhindern können.

Und doch: Trotz aller Diffamierung und Einschüchterung und Massenverdummung regen sich immer neue Proteste. Viele Menschen lassen sich auch nicht mehr mit Demokratie-Ersatz wie Talkshows oder von Werbeagenturen geführten Wahlkämpfen zufriedenstellen.

Die Herrschenden, die weiterherrschen wollen und erfahrungsgemäß zu größten Verbrechen fähig sind, um das Aufkommen von Demokratie (Volksherrschaft) zu verhindern, gestehen uns zu, daß wir uns für verschiedene politische Parteien engagieren, solange diese das Profitmaximieren als Prinzip aller Gesellschaftspolitik anerkennen und auch zu Aufrüstung und imperialistischem Krieg nicht nein sagen. Parteien, die sich auf diese Bedingungen nicht einlassen, erhalten keine Spenden­gelder und werden als nicht kompromiß-, nicht politik-, nicht regierungsfähig dargestellt. Wenn Oppositionsparteien dann ihr Programm herunterschrauben, um bald mitregieren zu dürfen, verlieren sie schnell ihre Oppositionsfähigkeit, alle Parteien werden beliebig auswechselbar – zum Schaden der Demokratie.

Oppositionsfähig werden! Damit ist gemeint, nein sagen zu lernen, die Grundrechte zu verteidigen und selbstbewußt von ihnen Gebrauch zu machen, sich nicht von der Propaganda der Herrschenden einschüchtern und spalten zu lassen, Forderungen zu stellen, die die Herrschaft des Kapitals direkt angreifen:

  • Vollbeschäftigung durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf weniger als 30 Stunden und
  • Demokratisierung der Medien

Dadurch würde das Kapital zwei seiner wirksamsten Herrschaftsinstrumente verlieren: Massenarbeitslosigkeit und Medienmacht.

Aus: Oppositionsfähig werden! Ossietzky-Verlag, Hannover 2011