RotFuchs 192 – Januar 2014

Wie Libyen durch die NATO von
seinen Errungenschaften befreit wurde

Tripolis versinkt im Chaos

RotFuchs-Redaktion

Es ist erst reichlich zwei Jahre her, daß Großbritanniens Verteidigungsminister Philip Hammond an die Geschäftsleute des Vereinigten Königsreichs appellierte, „schleunigst ihre Koffer zu packen“ und sofort nach Libyen aufzubrechen, um dort „am Wiederaufbau des Landes“ und der finanziellen Abschöpfung des nun zu erwartenden Öl-Booms teilzuhaben.

Doch daraus wurde nichts. Inzwischen ist die Ölförderung und -raffinierung in Libyen fast zum Erliegen gekommen. Die Regierung des von rivalisierenden und marodierenden Milizen mit Banditencharakter terrorisierten und weitgehend beherrschten nordafrikanischen Staates hat die Kontrolle über die Förderung des schwarzen Goldes de facto weitestgehend verloren. Tausende und aber Tausende meuternder „Sicherheitskräfte“ führen in den libyschen Ölhäfen an der Mittelmeerküste das Kommando, schalten und walten dort nach ihrem Ermessen. Das in erheblich reduzierter Menge geförderte Rohöl landet so fast ausnahmslos in Kanälen des schwarzen Marktes.

Libyens Ministerpräsident Ali Zeidan drohte daraufhin, er werde jeden Tanker aus der Luft oder von See aus bombardieren lassen, der auch nur den Versuch unternehme, von den Hafenwächtern illegal erworbenes Öl an Bord zu nehmen. Bei diesen „Sicherheitsleuten“ handelt es sich fast ausnahmslos um seinerzeit von den NATO-Interventen rekrutierte und gegen Gaddafi in Marsch gesetzte „Rebellen“, die wegen ihnen zwar durch Tripolis zugesagter, dann aber nicht gezahlter Bezüge in den Ausstand getreten waren.

Seitdem sich die Aufmerksamkeit von Libyen ab- und Ägypten sowie den gegen Syriens „Assad-Regime“ vorgeschickten „Rebellen“ zugewandt hat, befindet sich das Land in der schwersten politischen und ökonomischen Krise seiner jüngeren Geschichte.

Die in Tripolis installierte proimperialistische Marionettenregierung besitzt in den meisten Landesteilen keinerlei Autorität oder Mittel zur Durchsetzung von ihr großspurig proklamierter Vorhaben. Durch deren Debakel hat das 2010 von den USA, Großbritannien und Frankreich vorgespiegelte Ziel der NATO-Intervention, ein starkes und freies Libyen schaffen zu wollen, in den Augen vieler Bürger jegliche Glaubwürdigkeit verloren.

Nach jüngsten Angaben sank die tägliche Fördermenge des wegen seiner hohen Qualität auf dem Weltmarkt besonders gefragten libyschen Rohöls von 1,4 Millionen auf 160 000 Barrel (Fässer).

Während die Regierung außerstande ist, auch nur ein Minimum an Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, nehmen bereits seit langem unternommene Bestrebungen zur Abtrennung oder Verselbständigung einzelner Landesteile dramatisch zu. Während die Libyer dem Terror und der Gnade unzähliger „Milizen“ ausgesetzt sind, werden zugleich Proteste gegen deren Wüten blutig niedergeschlagen. Bei einer Demonstration vor den Kasernen der „Brigade Libyens Schild“ in der östlichen Hauptstadt Bengasi wurden 31 Menschen erschossen und zahlreiche weitere verletzt. Während die NATO-Intervention als „humanitäre Aktion zur Verhinderung eines Blutbades unter den sich in Bengasi konzentrierenden Abweichlern durch Gaddafis Panzer“ ausgegeben wurde, nahmen Libyens imperialistische „Befreier“ und „Schirmherren“ von diesem Massaker keinerlei Notiz. Auch Reporter westlicher Medien, die während der angeblichen Operation zur Erlösung des libyschen Volkes vom Gaddafi-Terror sämtliche Hotelbetten in Tripolis und Bengasi frequentiert und sich am damaligen Geschehen lebhaft interessiert gezeigt hatten, läßt der drohende Kollaps der derzeitigen Regierung Libyens völlig kalt.

Einflußreiche Kräfte der östlichen Region Cyrenaica, wo sich die ergiebigsten Erdöllagerstätten des arabischen Landes befinden, forcieren seit geraumer Zeit ihre Lostrennungsbestrebungen unter dem Vorwand, Tripolis stecke den Löwenanteil der Öleinnahmen in den Westen des Landes.

Nach der Ermordung des Botschafters der Vereinigten Staaten in den Räumen des US-Konsulats von Bengasi haben die meisten Ausländer die Stadt fluchtartig verlassen. Die Panik verschärfte sich dann noch mehr, nachdem auch der zur Untersuchung des Anschlags auf den Diplomaten dorthin entsandte Militärstaatsanwalt durch eine Autobombe getötet worden war.

Fast täglich wird Tripolis seitdem von mit Sprengstoffeinsatz verbundenen Gewaltakten erschüttert. Weder der Angriff ethnischer Berber, die 2011 als Sturmspitze der vom Westen gegen Gaddafi mobilisierten Banden gefeiert wurden, auf das zeitweilig von ihnen sogar besetzte Parlamentsgebäude in der Hauptstadt noch die brutale Niederschlagung des Hungerstreiks von 500 Gefängnisinsassen in Tripolis vermochten für größere Schlagzeilen in den westlichen Medien zu sorgen.

Die zahnlose Marionettenregierung appellierte unterdessen an das nicht minder ohnmächtige „Oberste Sicherheitskomitee“, es solle endlich für Ordnung sorgen und die einstigen Anti-Gaddafi-Milizen dem Innenministerium unterstellen. Der für dieses Ressort verantwortliche Minister trat übrigens zum gleichen Zeitpunkt aus Frustration über seine völlige Machtlosigkeit zurück und bezichtigte den Premier, beim Aufbau regulärer Armee- und Polizeieinheiten total versagt zu haben. Er warf der weitgehend von der Moslembruderschaft beherrschten Regierung Schwäche im Umgang mit einzelnen libyschen Stämmen vor. Zwei von diesen lieferten sich nur wenige Kilometer vom Sitz des Regierungschefs einen blutigen Bandenkrieg.

Auch Diplomaten einer Reihe anderer Staaten wurden wiederholt unter Feuer genommen. Nach einem Überfall auf den Leiter der EU-Vertretung in Tripolis zerstörte eine Autobombe den Wagen des französischen Botschafters.

Wie inzwischen zu erfahren war, haben mehrere EU-Staaten, die zugleich der NATO angehören, unterdessen eine von ihnen zum „Schutz der Ölhäfen“ und zu ähnlichen dubiosen Zwecken rekrutierte Gendarmerie-Truppe ausgebildet. Die verharmlosend als „Grenzwächter“ bezeichnete Formation ist dem Verteidigungsministerium unterstellt worden und soll der „Eigenständigkeit von Milizen“ Zügel anlegen.

RF, gestützt aus „The Guardian“, Sydney